Vaterschaft ist Interpretationssache

Vaterschaft ist Interpretationssache
Schadet das negative Ergebnis eines DNA-Tests einer innigen Vater-Kind-Beziehung? Experten meinen, nicht unbedingt.

Zwischen einem biologischen "Vater" und einem gefühlten "Papa" liegen Welten, macht die aktuelle Diskussion um Kuckuckskinder deutlich. Schätzungen zufolge soll jedes zehnte Kind in Österreich ein Kuckuckskind sein. Albert S. aus dem Bezirk Steyr-Land hat gleich vier davon, wie sich kürzlich herausstellte. Der 48-jährige zog über 20 Jahre lang unwissentlich Kinder groß, die nicht seine leiblichen sind. Trotz aller Empörung liebt er sie als "seine" Kinder.

Wie sich ein Mann dabei fühlt, kann der Linzer Psychotherapeut Robert Karbiner nur erahnen: "Den Männern zieht es im ersten Moment sicher den Boden unter den Füßen weg. Zum Schock mischen sich dann Zorn, aber auch Schamgefühl." Nicht selten zweifle auch das Umfeld am Urteilsvermögen des Betrogenen - für Karbiner unverständlich: "Man darf in einer funktionierenden Paarbeziehung nicht von Untreue ausgehen. Das wäre paranoid."

Vertrauensbruch

Die seelische Verletzung werde oft verdrängt, wodurch sich einige Männer nicht nur von der Frau, sondern auch von den Kindern entfernen. Der Kinder- und Jugendpsychiater Werner Gerstl kennt aber auch die andere Richtung: So komme es durchaus vor, dass Kinder ihre langjährige väterliche Bezugsperson plötzlich ablehnen: "Da fehlt die Differenzierung zwischen psychischer und biologischer Vaterfigur. Wenn die Atmosphäre der Geborgenheit zerstört wird und Sorgen nicht ernst genommen werden, ziehen sich Kinder ganz zurück."

Wichtig sei laut Gerstl ein offenes Gesprächsklima. Zu einer Eskalation wie im Fall Albert S. hätte es nicht kommen müssen: "Die Toleranzbereitschaft ist heute größer, als man den Menschen zutraut." An eine Dunkelziffer von 8-10 % Kuckuckskindern glaubt Gerstl nicht: "Man sollte die Familienintegrität nicht mit vagen Zahlen zerpflücken. Es gibt dieses Phänomen, aber in unserer liberalen Gesellschaft muss man offen darüber sprechen können."

Diskrepanzen

Was im schlimmsten Fall passiert, wenn sogenannte "Vaterschaftsdiskrepanzen" ans Tageslicht kommen, weiß Michael Merl, Leiter der Kinder- und Jugendpsychatrie der Landes-Frauen- und Kinderklinik: "Wenn Kinder in solchen Krisen nicht aufgefangen werden, gibt es eine ganze Palette an Verhaltensauffälligkeiten. Angefangen bei Rückzug über Depressionen bis hin zu Selbstmordgefahr."

Der psychosoziale Stellenwert der Genetik in einer Vater-Kind-Beziehung sei laut Merl stark vom Alter abhängig. "Kleinen Kindern ist nur wichtig, dass der Papa der Papa bleibt. In der Pubertät begeben sich viele auf Sinnsuche und dann spielt der eigene Ursprung eine große Rolle", so Primar Merl. Ungewiss ist nun, welchen Weg die Familie S. aus Steyr-Land in dieser Krise beschreiten will. Die Experten sind sich einig: "Ohne Familientherapie wird sich der Konflikt nicht lösen lassen."

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