Trawöger: „Bruckner wäre heute ein erfolgreicher Filmkomponist“
Oberösterreich feiert heuer den 200. Geburtstag des Komponisten Anton Bruckner (1824-1896). Norbert Trawöger ist Musiker, künstlerischer Leiter der ersten oö. KulturEXPO „Anton Bruckner 2024“ und Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchesters Linz. Er hat über den Komponisten Balduin Sulzer eine Biographie verfasst, heuer erschien im Residenz-Verlag sein Buch „Bruckner! Journal einer Leidenschaft“. Trawöger ist in Bad Schallerbach aufgewachsen und feiert heute, Sonntag, seinen 53. Geburtstag.
„In meinem Tun trenne ich nicht zwischen der Organisation und dem eigentlichen künstlerischen Ereignis. Das gehört für mich zusammen“, sagt er über sich selbst. „Die Flöte ist nach wie vor mein Zentrum. Die Kraft der Kunst treibt mich. Mehr denn je glaube ich an das Wunder der Musik.“
KURIER: Wie läuft die KulturEXPO?
Norbert Trawöger: Sie ist das Nachfolgeformat der Landesausstellungen. Ich habe ein Konzept vorgelegt, weil ich Bruckner viel zugetraut habe, das ihm viele Menschen nicht zugetraut haben, die meinten, das ist schwere, verstaubte Musik, er als Musikant Gottes. Ich bin mit acht Jahren über Bruckner gestolpert, als ich habe die Vierte Symphonie in der Schallplattensammlung meines Vaters entdeckt habe. Ich habe sie stundenlang gehört.
Was faszinierte Sie an Bruckner?
Es war ein Staunen, dass es so etwas überhaupt gibt. Staunen kann man nicht herstellen, das passiert. Warum gefällt einem ein Popsong, ein Mensch, die Natur?
Was zeichnet Bruckner für Sie aus?
Der Raum, die Sphäre, die Skulptur, die Höhlenmalereien. Sein künstlerisches Konzept war ein völlig anderes in der Musikgeschichte. Wenn jemand dazu keinen Zugang hat, nenne ich die Hollywood-Tracks von John Williams. Sie stehen auf den Schultern von Bruckner, auf seinem künstlerischen Konzept.
Man könnte sagen, Bruckner wäre heute ein erfolgreicher Filmkomponist. Es ist keine Ich-Musik, sondern eine Wir-Musik. Man betritt einen Raum. Ich spreche absichtlich nicht von einer Kathedralen-Musik, denn da würden wir ihn ins religiöse Eck drängen. Da gehört er aber nicht hin, wie man allgemein glaubt.
Obwohl das Stift St. Florian für ihn ganz wesentlich war.
Er ist mit 13 Jahren nach St. Florian gekommen, weil der Vater gestorben ist und die Mutter schauen musste, ihre fünf Kinder durchzubringen. Sie hat den Ältesten zu den Sängerknaben geben können, das war ein sozialer Akt.
Das Stift St. Florian war ein Zentrum der Kultur und Wissenschaft. Es wurde zum Beispiel Arabisch unterrichtet. Schubert war dort. Bruckner hat dort Anton Kattinger getroffen, der als Beethoven der Orgel gegolten hat.
Was beeindruckt Sie bei Bruckner?
Das, was mich über die Musik hinaus an der Figur so rührt, war, dass er das gesamte Leben lang gelernt hat. Trotz der enorm vielen Krisen hat er immer weitergemacht. Er bewies Resilienz. Er litt an Burn-outs, er musste nach Bad Kreuzen zur Nerven-Kur. Er war ein unsicherer Mensch, der sich leicht irritieren ließ.
Auf der anderen Seite hatte er die Gewissheit, dass er in der Musikgeschichte etwas zu sagen hat. Er hat in seiner Wiener Wohnung vier Porträts von sich selbst gehabt. Er hat schon gewusst, wer er ist. Am Ende seiner Karriere wurde er auch Ehrendoktor der Wiener Universität. Er erhielt eine kaiserliche Wohnung auf ebener Erde im Kustodenstöckl, weil er nicht mehr gut beieinander war. Ich kenne auch keinen Giganten in der Musikgeschichte, der dermaßen prominent bestattet ist.
Bruckner ist eine unglaublich zeitgemäße Figur, die sich in seiner Vielgestaltigkeit als Vergrößerungsspiegel für die EXPO sehr gut eignet. Bruckner hat keine oberösterreichische Musik gemacht, sondern Weltmusik. Ich stelle mir immer vor, wenn er im Alten Dom improvisiert hat, dann ist in dieser 29.000-Einwohner-Stadt eine andere Tür aufgegangen, denn das war nicht ortsüblich. Natürlich sind Spuren eines Landlers drinnen, aber das ist Meta-Ebene.
Worauf zielt die EXPO ab?
Es war Konzept der EXPO, das auszurufen, und den Menschen zu sagen, macht etwas zu Bruckner. Wir kommen drauf, dass in den Fußballstadien mit Seven Nation Army von den White Strips ein Thema aus Bruckners fünfter Symphonie weltweit gesungen wird. Bruckner steckt auch in der Kennmelodie von Mister Bean drinnen. Ohne Bruckner und Wagner ist die Filmmusik Hollywoods nicht denkbar.
Bei Bruckner trifft die Tradition die Avantgarde. 35 Jahre hat er letztlich studiert, bis er mit 40 beschließt, er wird Symphoniker und legt sich mit Beethoven an. 50 Jahre lang haben die Komponisten nicht gewusst, was man nach Beethoven überhaupt schreiben soll. Johannes Brahms hat gehadert. Bruckner legt bis zum letzten Tag sein Genie frei, um in der neunten Symphonie unvollendet zu bleiben.
Die Auftritte des Bruckner Orchesters sind meist umjubelt. In der internationalen Vermarktung gibt es aber Schwächen. Woran liegt das?
Wir begreifen uns in Linz und Oberösterreich immer stärker auch als Kulturregion. Das Kulturhauptstadtjahr 2009 brachte hier einen Schub. Wenn ausländische Gäste nach Linz kommen, sind sie vom Angebot überrascht: vom Ars Electronica Center bis zum Musiktheater , das bis zu 350.000 Besucher verzeichnet. Es gibt in der gesamten Schweiz kein Haus, das so viele Besucher hat. Auch nicht in Köln. Die Nahversorgung funktioniert sehr gut.
Aber international ...
Hier ist ein Transformationsprozess im Gang. An der Spitze eines unglaublich klingenden Landstrichs mit 478 Blasmusiken in 438 Gemeinden steht ein Spitzenkollektiv namens Brucknerorchester. Die Internationalität ist ein permanenter Prozess. Da gibt es die großen Orchestertanker wie die Wiener oder Berliner Philharmoniker. Sie sind in ihrer Qualität ausverhandelt.
Das Brucknerorchester braucht sich in der Qualität nicht hinter den großen Orchestern verstecken. International ist es aber unterbewertet.
Unser Selbstbewusstsein wird immer stärker. Das ist notwendig, damit wir denken, wir spielen in der Welt eine Rolle. Es ist hier ein Innen- und Außenprozess im Gange. Es kann immer mehr da sein, aber Schritt für Schritt steigt unsere Fernsehpräsenz.
Wo bitte?
Zum Beispiel mit dem Konzert in Gmunden, das mittlerweile eine Marke ist.
Wo sieht man das Brucknerorchester zum Beispiel auf 3sat? Dort wird jedes Jahr das Adventkonzert aus der Dresdner Frauenkirche übertragen.
Es wird unser Festkonzert am 4. September übertragen. Das heurige Bruckner-Jahr ist wichtig. Es gibt kein Orchester weltweit, das heuer nicht Bruckner spielt. Im Herbst erscheint unsere Gesamtaufnahme Bruckners, für die wir sogar einen europäischen Oscar bekommen haben.
Eine Gesamtausgabe der Bruckner-Symphonien von den Wiener Philharmonikern liegt schon ein dreiviertel Jahr vor. Linz ist zu spät.
Wir sind noch vollständiger und bringen zum Geburtstag 19 CDs in einer Box heraus. Wir haben jede Fassung eingespielt. Ich sehe, dass insgesamt etwas in Bewegung kommt. Unsere Konzerte im Wiener Musikverein haben ausgezeichnete Kritiken. Bis vor vier Jahren hat sich kein Kritiker zu uns ins Konzert verirrt. Sie merken, dass da eine unglaubliche Qualität da ist.
Man muss täglich dranbleiben. Die Latenzzeiten sind lang. Wir haben in den vergangenen Jahren viel getan, um noch präsenter zu sein. Es ist völlig richtig, das auszubauen, wir brauchen Fernsehformate. Es ist ein zäher Prozess, sich in die Spitzenkollektive einzuordnen, mit der dafür nötigen Sichtbarkeit.
Sollte für Fernsehübertragungen und internationale Konzertreisen nicht mehr Geld in die Hand genommen?
Es wird Geld in die Hand genommen. Es kann immer mehr sein. Das Ganze ist doch ein organischer Prozess. Das Orchester bekommt mehr Selbstbewusstsein. Früher war die Fluktuation höher, heute gehen die jungen Leute kaum mehr weg.
Denn die Qualität, die Bandbreite, die wir spielen, und die Resonanz des Publikums veranlassen sie zu bleiben. Wir spielen regelmäßig Konzerte in München, Wien und Salzburg. Im Herbst wird es wieder eine größere internationale Konzertreise geben. Wir spielen 160 bis 180 Abende hier in Oberösterreich.
Chefdirigent Markus Poschner wird 2027 sein Engagement beenden.Wer soll ihm folgen?
Es ist heute gar nicht mehr so selbstverständlich, zehn Jahre einen Chefdirigenten zu haben. Jetzt sind wir gerade in der Kulmination. Es ist geradezu unfassbar, wie Chefdirigent und Orchester zueinandergefunden haben und vertraut sind.
Welche Kriterien soll die künftige Chefdirigentin/Chefdirigent erfüllen?
Das ergibt sich durch das Orchester selbst. Es ist ein Kollektiv, das in hoher Qualität unterwegs ist, und das eine Vielfalt hat. Es kann gut Musicals, Oper, Operette spielen. Es ist auch zeitgenössisch unterwegs. Die Bandbreite ist viel größer als die der Philharmoniker. Es ist auch ein Symphonieorchester, das alles vom Barock bis zur Moderne spielt. Die Exzellenz in der Vielfalt ist ein Alleinstellungsmerkmal.
Der neue Dirigent/in soll eine Affinität zu Bruckner haben. Die Wahl ist nicht einfach, denn je höher man hin aufkommt, umso dünner wird die Luft. Es braucht eine Persönlichkeit, um den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, eine/n Chefdirigenten/in, der das Orchester im und außerhalb des Landes positioniert.
Welche Bedeutung kommt den Musikschulen und der Bruckner-Universität zu?
Man braucht nur die Wiener Philharmoniker anschauen, da ist der Anteil der Oberösterreicher/innen der weitaus größte. Das, was heute an Qualität in den Musikschulen ist, war vor 20 Jahren an Konservatorien nicht vorstellbar. Wer die Spitze haben will, braucht auch die Breite.
Die Probespiele für die Aufnahme ins Brucknerorchester ist etwas vom Brutalsten, was es gibt. Es bewerben sich 200 bis 300 aus der ganzen Welt für eine Stelle. 30 bis 40 werden zum Vorspiel eingeladen. Das ist hinter dem Vorhang, 20 Experten sitzen in der Jury. Obwohl 25 Nationen im Orchester vertreten sind, ist der Anteil der Oberösterreicher hoch. Gerade unter den Jungen.
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