„Temelin stabilisiert mitteleuropäisches Stromnetz“

08.03.2013, Temelin, AKW, Atomkraftwerk, CEZ Group, Foto Alfred Reiter
Trotz österreichischer Proteste wird das Atomkraftwerk Temelin ausgebaut. 2017 werde mit dem Bau von zwei weiteren Reaktoren begonnen, erklärt Direktor Milos Stepanovsky im KURIER-Interview.

Das Atomkraftwerk Temelin belastet die Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien. Ein Interview mit Milos Stepanovsky, dem Direktor von Temelin. Der 55-Jährige ist seit 1982 bei der Energiegesellschaft CEZ beschäftigt. Im Kernkraftwerk Dukovany hatte er verschiedene Führungspositionen inne, seit 2007 ist er Chef von Temelin.

KURIER: Der tschechische Industrie- und Handelsminister hat erklärt, wenn Temelin abgeschaltet werden würde, wäre es in Wien dunkel. Ist das tatsächlich so?
Milos Stepanovsky: Die Sache ist sehr kompliziert. Die Stabilität des mitteleuropäischen Stromnetzes ist nicht gut. Das Netz wurde auf eine bestimmte Kapazität ausgerichtet. Das hat sich geändert. Die Hochspannungsleitungen, die Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien verbinden, haben nur eine bestimmte Kapazität. Sie sind nun an ihren Grenzen angelangt.
Das Problem ist der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen im Norden Deutschlands, deren Produktion vom Wetter abhängig und schwer vorherzusagen ist. Ähnlich ist die Situation auch in Tschechien, wo in den vergangenen Jahren 2000 Megawatt fotovoltaische Paneele installiert wurden. Wenn die Sonne scheint, haben wir auf einmal 2000 Megawatt Sonnenenergie im Netz. Wenn es aber nebelig ist, sind wir bei null.
Diese Energie, dank der Tatsache, dass sie subventioniert wird, wird deswegen auch in der Schweiz, in Italien und in Österreich gekauft, wo sie zum Pumpen des Wassers in den Pumpwasserkraftwerken verwendet wird. Das Problem besteht darin, dass die Leitungen dafür nicht ausgelegt sind. Deshalb ist es gut und wichtig, dass die Energie von Kern- oder Kohlkraftwerken in diese Netze eingespeist wird. Damit werden die Netze stabilisiert.

Wie viel Strom geht von Temelin nach Österreich?
Es gibt keine direkte Linie aus Temelin nach Österreich. Es gibt eine große Leitung aus der Schaltung Slavetice, die sich bei Dukovany in Südmähren befindet. Nach Österreich fließt die Elektrizität also nur aus dem Kernkraftwerk Dukovany. Im Jahr 2012 war der Elektrizitätstransport durch die Linie aus Slavetice nach Dürnrohr in Niederösterreich mehr als zehn Terawattstunden (Tera = eine Billion).

Es gibt ein Überangebot an Strom, die Preise sind niedrig. Trotzdem soll Temelin um zwei Reaktorblöcke bis 2025 erweitert werden.
Wir werden 2025 viel weniger Kohlekraftwerke haben. Der dritte und vierte Block des Kernkraftwerks Temelin werden diese Kohlekraftwerke ersetzen.

Vor zwei Jahren kam es zum Reaktorunglück von Fukushima in Japan. Verstehen Sie die Ängste der Österreicher vor der Kernenergie?
Meiner Meinung nach sind diese Ängste durch mangelnde Information verursacht.

Aber die Reaktorunfälle von Tschernobyl und Fukushima sind eine Tatsache. Auch hier wurde immer wieder betont, dass alles sicher ist.
Es gab noch mehr Unfälle. Zum Beispiel in Three Mile Island in den USA. Es hatte einen ähnlichen Sicherheitsbehälter wie Temelin. Sowohl Tschernobyl als auch Fukushima hatten keinen. Unsere Grundprinzipien der Sicherheit lauten: Wir tun alles dafür, dass kein Unfall passiert. Falls es doch dazu kommen sollte, haben wir den Sicherheitsbehälter. Diese Hülle schützt davor, dass Radioaktivität in die Umgebung austritt. In Three Mile Island kam es zum Schmelzen des Kernbrennstoffs, trotzdem wurde die Umwelt nicht beeinträchtigt. Der zweite Reaktor konnte nach dem Unfall weitergefahren werden.

Sie sagen, dass die österreichische Bevölkerung zu wenig informiert sei und sie deshalb Angst habe. Was tun Sie, damit die Österreicher entsprechend informiert werden?
Wir haben hier in Temelin ein Informationszentrum, das jährlich von 30.000 Menschen besucht wird. Wir bemühen uns, für die Besucher ein offenes Kernkraftwerk zu sein. Wir arbeiten mit den Medien zusammen. Wir haben auch gute Kontakte zum österreichischen Zivilschutz, mit deren Vertretern wir über verschiedene Risiken des Lebens diskutieren. Wie zum Beispiel über Brände in chemischen Fabriken, in Werken, wo Düngemittel produziert werden, oder in Eishockeystadien. Darüber spricht man nicht so viel, aber trotzdem bestehen auch hier Risiken. Unser Nachteil ist, dass wir über die Risiken reden und uns darauf vorbereiten. Als ich mit dem österreichischen Zivilschutz gesprochen habe, haben sie mir gesagt, das sie sich der anderen Risiken bewusst sind. Aber das will niemand hören.

Wie lange dauert es, bis die österreichische Bevölkerung im Fall eines Unglücks informiert wird?
Die Information läuft über die Staatsbehörde für Kernsicherheit. Das ist eine staatliche Behörde. Die Information erfolgt umgehend.

Was heißt umgehend? Dauert das eine Stunde oder länger?
Ein paar Minuten.

Nicht geklärt ist die Lagerung des Atommülls. Es gibt Pläne, den radioaktiven Abfall im österreichischen Grenzgebiet zu deponieren.
Vor allem gibt es in dieser Sache keinen zeitlichen Druck. Wir können die abgebrannten Brennstäbe chemisch aufbereiten und neu verwenden. England und Frankreich verfügen über die entsprechende Technologie.
Die abgebrannten Kernstäbe halten wir für eine nächste Kernquelle. Der abgebrannte Brennstoff ist in einem Zwischenlager untergebracht und wir warten auf die nächste Entscheidung. Gleichzeitig läuft der Suchprozess nach geeigneten Standorten für ein Endlager in Tschechien. Es gibt mehrere geeignete Standorte.

Welche sind das?
Der Standort Skalka. Wir gewinnen dort heute Uran. Es gibt einige Standorte im Bezirk Vysocina, nördlich von Niederösterreich. Geprüft wird auch noch der Truppenübungsplatz Boletice in der Nähe des Moldaustausees. Dieser ist aber nur eine theoretische Überlegung, ob man hier mit geologischen Untersuchungen beginnen soll.

Ein tschechischer Journalist hat kürzlich gemeint, dass der österreichische Widerstand gegen Temelin Rückenwind für die Atomlobby gebracht hat, weil sich die Bevölkerung gegen die österreichische Einmischung gewehrt hat. Ist das so?
Laut den Rechtsdokumenten der EU, dem Vertrag von Lissabon, ist die Entscheidung über Energiefragen nationales Recht. Es gibt auch EU-Bestimmungen, die sagen, über was alles man mit den Nachbarstaaten verhandeln muss. Diese Bestimmungen halten wir ein. Wir wollen darüber hinaus ein guter Nachbar sein – sowohl für unsere Umgebung als auch für Österreich.

Was tun Sie, um die Nachbarschaft zu verbessern? Temelin belastet ja die Beziehungen.
Ich spüre es auch so. Das beste Mittel ist die Kommunikation. Unser Interview hier ist ein Beispiel dafür. Wir haben die Gespräche zu den tschechischen Nichtregierungsorganisatonen wie zum Beispiel Duha (=Regenbogen) festgesetzt. Besuche des deutschen Vereins „Die Grünen“ bei uns haben bereits Tradition. Sie waren bereits zwei Mal hier. Aktuell lade ich ihre Vertreter innerhalb der Stilllegung zu einem Besuch ein.

Das tschechische Umweltministerium hat grünes Licht für den Bau von zwei weiteren Reaktoren gegeben. Die Kernkraftgegner kritisieren, dass diese Genehmigung gegeben wurde, ohne zu wissen, um welche Reaktoren es sich handeln wird.
Es geht um die Bewertung der Auswirkungen auf die Welt. Dabei ist es nicht notwendig zu wissen, um welche Reaktoren es sich handelt. Die gewählte technische Lösung muss dann in den vorgegebenen, bewerteten Rahmen hineingehen.

Welche Reaktoren bevorzugen Sie, welche werden installiert werden?
Wir wissen es zurzeit noch nicht. Wir wollen uns bis Ende 2013 entscheiden. Wir werden realistischerweise 2017 zu bauen beginnen. In diesem Zeitraum werden wir auch die technischen Bedingungen bewerten.

Der Strompreis ist sehr niedrig. Die Atomkraftgegner argumentieren, dass auch die Kernenergie staatlich subventioniert wird. Ansonsten würde sie sich nicht rechnen.

„Temelin stabilisiert mitteleuropäisches Stromnetz“
In Tschechien wird die Kernenergie vom Staat nicht gefördert. Ganz im Gegenteil. Wir zahlen in unserer Energieproduktion bereits eine bestimmte Summe für die künftige Entsorgung. Unser Preis ist nicht subventioniert. Diese Diskussion über den Preis ähnelt jener vor 20 Jahren, als über den Aufbau der ersten zwei Blöcke entschieden wurde. Auch damals ist schon behauptet worden, dass sich Temelin nicht rechnen wird. Heute ist ganz klar, dass Temelin wirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Auch unter Einberechnung der Entsorgungskosten.
Die Kernkraftwerke Temelin und Dukovany tragen zur Stabiliserung der Stromversorgung bei. Denn wegen der erneuerbaren Energie steigen die Preise immer höher. Das bedroht die tschechische Industrie und meiner persönlichen Meinung nach auch die Umwelt.

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