Autor Kaiser-Mühlecker: „Die Welt und sich selbst retten“
Reinhard Kaiser-Mühlecker ist ausgebildeter Landwirt und Schriftsteller in Eberstalzell (Bez. Wels-Land). Der 41-Jährige verfasste zahlreiche Romane und einen Band mit drei Erzählungen. Im vergangenen Jahr erschien „Wilderer“. Der Roman war für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert. Kaiser-Mühlecker ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, so mit den Bayerischen Buchpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Kunstpreis Berlin, dem Literaturpreis des Kulturkreises der deuschen Wirtschaft, dem Peter-Horvath-Preis und dem Anton-Wildgans-Preis.
KURIER: Bauer und gleichzeitig Schriftsteller zu sein, ist eine außergewöhnliche Kombination. Wie darf man sich das vorstellen?
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Es ist vielleicht selten, aber es gab sie immer wieder. Zum Beispiel Robert Frost (1874–1963, der populärste Dichter in den USA, Anm. d. Red.). Ein anderes Beispiel ist Hans Fallada (1893–1947), ein Bestseller-Autor in den 1930er-Jahren, der jetzt wieder entdeckt wurde.
Für ein Kind sind Landwirtschaft und Schreiben kein Widerspruch, für mich ist es auch überhaupt kein Widerspruch. Landwirtschaft betreiben heißt für mich, die Welt retten, Schreiben, sich selbst retten, und beides täglich, und beides ist sehr notwendig.
Sie sind am Hof Ihrer Eltern in der Ortschaft Hallwang groß geworden. Wie schaut ein typischer Tagesablauf aus?
Die Landwirtschaft steht natürlich immer im Vordergrund. Die Anforderungen des Betriebs müssen erfüllt werden, die Tiere müssen versorgt werden, dann kann man ans Schreiben denken. Was der Betrieb verlangt, ändert sich anhand der Jahreszeit. Im Winter ist es ruhiger, was dem Schreiben zugutekommt.
Es entstehen keine gravierenden Probleme, wenn man einen Tag nicht schreibt. Dann kann man das auf morgen verschieben und zur Not auf nächste Woche.
Sie führen einen Schweine- und Ackerbaubetrieb.
Es ist ein geschlossener Betrieb, also Schweinezucht und -mast, mit momentan 15 Mutterschweinen. Wir führen ihn biologisch.
Der Ackerbau dient zur Fütterung der Schweine.
Ausschließlich. Getreide, Mais, Eiweißkulturen. Es sind gut 16 Hektar Acker, Wiesen und ein bisschen Wald. Arrondiert, der Hof ist in der Mitte, rundherum ist der Grund.
Den Autobahn-Lärm, den Sie in „Wilderer“ beschreiben, gibt es tatsächlich?
Es führen sowohl die West- als auch die Pyhrnautobahn in einer Entfernung von drei bis fünf Kilometern Entfernung vorbei. Je nach Witterung und Jahreszeit hört man den Verkehr. Durch das erhöhte Verkehrsaufkommen fallen vor allem die Abrollgeräusche der Reifen auf. Durch die SUV ist die Geräuschbelastung stärker geworden. Im Buch ist der Hof direkt an der Autobahn, was tatsächlich nicht der Fall ist.
Landwirtschaft bedeutet körperliche Arbeit, Schreiben , sich hinzusetzen und diszipliniert zu schreiben.
Es ist eine Frage der Dosierung. Wenn man den ganzen Tag draußen ist und es ist anstrengend, dann ist es schwierig, sich abends hinzusitzen und nachzudenken. Man ist zu erschöpft. Aber in der Regel ist es so, dass man es so dosieren kann, dass sich beides ergänzt.
Ich bin ein schlechter Sitzer geworden, ich kann kaum noch länger sitzen und will es auch gar nicht. Ich bin gerne in Bewegung und empfinde es als sehr positiv, dass diese Bewegung automatisch abläuft. Ohne dass ich in ein Fitnessstudio gehen muss.
Wie oft stehen Sie auf?
Ich schreibe eine oder zwei Stunden in der Früh oder am Vormittag, je nachdem, wie es mir im Betrieb passt. Den Rest bin ich draußen. Am Abend schreibe ich wieder, aber das ist nicht mehr am Schreibtisch, das ist eher ein Skizzieren, beim Lesen oder beim Herumgehen.
Haben Sie immer einen Block oder ein Diktiergerät bei sich?
Meistens einen Schreibblock. Bei monotonen Tätigkeiten kann ich auch nachdenken. Am besten ist es, man notiert sich die Notizen, schreibt sie auf den Handrücken oder tippt sie ins Handy. Man muss alles aufschreiben, was einem einfällt.
Sonst ist es weg?
Sonst ist es weg. Auch wenn man momentan meint, es ist nicht wichtig. Es ist immer wichtig. Wenn man gerade an etwas schreibt, ist jedes Detail, das einem einfällt, wichtig. Manchmal denke ich mir, das schreibe ich nicht auf, am nächsten Tag denke ich mir, das hätte ich mir aufschreiben sollen, das wäre wichtig gewesen, ich weiß aber leider nicht mehr, was es war.
Sie sammeln den ganzen Tag über Gedanken und Notizen?
Absolut. Man muss die Inseln und Lücken am Tag finden, wo das auch möglich ist, wo man sich dieser Mischung aus Konzentration und Zerstreutheit ausliefern kann, dass man sich wieder in diese Geschichte begeben kann, an der man gerade schreibt.
Schreiben ist harte Arbeit. Es erfordert Selbstdisziplin und bedeutet Einsamkeit. Manche Schriftsteller legen sich ein zeitliches Korsett auf und schreiben täglich eine bestimmte Anzahl von Stunden. Wie ist das bei Ihnen?
In der Regel habe ich mein Tagespensum bis Mittag erledigt. Meist bis acht oder neun Uhr.
Sie stehen früh auf.
Im Winter um sechs Uhr, im Sommer früher. Wenn man am Vortag konzentriert genug war und man genügend Material gesammelt hat, kann man das am nächsten Vormittag in einer Stunde in Form bringen. Das ist wichtig, aber das eigentliche Schreiben passiert im Lauf des Tages. Da muss man immer auf der Pirsch sein wie ein Jäger. Ob die Sätze kommen, ob man wieder in die Geschichte findet und da weiterdenken kann.
Die bäuerliche Welt ist eher wortkarg, es wird nur das Notwendige geredet. Sie sind jedoch sprachmächtig. Woher rührt die?
Aus dem Mangel. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich besonders sprachmächtig wäre. Sprache war immer das, was gefehlt hat. Auch in der Kindheit.
Haben Sie das so empfunden?
Absolut. Irgendwann wird man älter und kommt drauf, dass man faktisch nichts ausdrücken kann. Ich habe immer eher das Gefühl gehabt, es nicht sagen zu können. Aus diesem Gefühl ist es entstanden, es trotzdem zu probieren. Und dann, wundergleich, entstehen Bücher.
Waren Sie von der Qualität Ihrer Bücher selbst überrascht?
Ich bin eigentlich selten überrascht. Aber ich wäre wahrscheinlich nicht überrascht gewesen, wenn es überhaupt nichts geworden wäre. Ich hätte gesagt, so ist das und hätte mich anderen Dingen zugewandt.
So bin ich froh, dass es so läuft und dass ich so leben kann, wie ich lebe. Dass ich auch nicht ausschließlich dem Buchschreiben ausgeliefert bin. Bücherschreiben heißt, eine längere Zeit sehr konzentriert und sehr konsequent an etwas zu sitzen. Möglichst Ablenkungen zu vermeiden und Unterbrechungen zu verhindern.
Dann ist es fertig und dann ist nichts. Das hat mich immer gestört. Es ist blöde Situation, wenn man monatelang im Kreis herumkriecht und eigentlich keine Tätigkeit hat. Ich habe mein Tagesgeschäft durch die Landwirtschaft.
Zuerst kommt der Bauer, dann der Autor?
Es ist immer das, was man gerade macht, das Wichtigste. Es ist zugleich ein ewiges Hin und Her. Wenn mich jemand fragen würde, was das Wichtigere ist, würde ich trotzdem sagen, die Landwirtschaft. Außer ich lese ein wirklich gutes Buch, dann denke ich mir, es ist verdammt wichtig, dass jemand das kann. Es wird vielleicht auch jemand anderer mit dem Traktor fahren können. Das ist ein Zwiespalt, in dem man sich selbst bewegt.
In der bäuerlichen Welt ist die Haltung der Kunst gegenüber klar, dass das nicht unbedingt sein muss. Es ist nicht lebensnotwendig, es ist eigentlich keine Arbeit.
In Kunstwelt ist es eher umgekehrt. Die bäuerliche Welt ist so weit weg, dass es eher kurios ist. Ich spüre natürlich diese Spannungen und versuche, sie zu überwinden, indem ich beides betreibe.
Sie verfügen auch über eine sehr gute Beobachtungsgabe.
Das sicher.
Woher resultiert sie?
Im Aufwachsen war der Radius der Dinge, die es gibt, überschaubar. Daher sieht man vielleicht die Dinge und die Veränderungen darin zugleich. Wenn man für die Landwirtschaft geboren ist, und ich glaube, dass man dafür geboren sein muss, und dazu erzogen ist, dann ist eine gute Beobachtungsgabe die Grundvoraussetzung.
Man muss Tiere beobachten können, man muss sehen, wenn Tiere krank werden, man muss das Wachstum der Felder und der Bäume beobachten. Das legt sich vielleicht auf andere Lebensbereiche um.
Mein Glück war, dass ich mit diesen Begabungen ausgestattet war.
Sie schreiben pro Jahr ein Buch. Sie müssen unglaublich fleißig sein.
Es sind weniger. Man muss schon fleißig sein. Von nichts kommt nichts, das hat schon die Englischlehrerin gesagt. So ist es auch. Wenn man jeden Tag schreibt, und sei es nur eine Stunde und sei es nur eine Seite, dann sind im Jahr 300 Seiten fertig. Es braucht Konsequenz und Disziplin, sich nicht selbst irgendwelchen Ausflüchten hinzugeben.
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