20.000 Steyrer fertigten Waffen

Zehn Prozent der Beschäftigten in der Steyrer Waffenproduktion waren Frauen. Diese Bild ist Teil der Ausstellung „Vom Boom zum Bürgerkrieg. Steyr 1914–1934“ im Museum Arbeitswelt Steyr.
Der Linzer Historiker Roman Sandgruber über die Kriegsjahre in Oberösterreich.

Vor hundert Jahren, am 28. Juli 1914, unterzeichnete Kaiser Franz Josef in Bad Ischl die Kriegserklärung gegen Serbien. Wie wirkte sich der Erste Weltkrieg in Oberösterreich aus? Lesen Sie den zweiten Teil eines Gesprächs mit Roman Sandgruber, Professer für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz.

KURIER: Welche Rolle spielte Kaiser Franz Josef?Roman Sandgruber: Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters von 84 Jahren konnte er keine bestimmende Rolle mehr spielen. Er wurde von seiner Umgebung geleitet. Aber mit dem Gewicht seines Alters und den Worten "An meine Völker" und "Die Pflicht weist meinen Weg" hatte er natürlich einen Einfluss. Niemand erhob gegen ihn Widerspruch.

Franz Josef war ja zuvor schwer krank gewesen, es wurde mit seinem Ableben gerechnet. Er hat sich aber wieder erholt.

Physisch war er nicht in der Lage, bestimmend zu sein. Von der Autorität sehr wohl. Wenn er sagt, dass ihm sein Ehrbegriff vorgibt, dass sich Österreich duellmäßig wehren muss, hat das einen Einfluss auf die gesamte Stimmung gehabt.

Nach der Unterzeichnung der Kriegserklärung am 28. Juli 1914 ist er aus Bad Ischl abgereist und nicht mehr zurückgekommen. Wie hat sich das auf Ischl ausgewirkt?

Das hat sich erst nach dem Krieg wirklich ausgewirkt. Die Klientel hat sich deutlich verändert. Vor dem Krieg war Ischl einer der wichtigsten Tourismusorte der Monarchie, weil der Kaiser dort war und sehr viel Gefolge angezogen hat. Davon hat das gesamte Salzkammergut profitiert. Nach dem Krieg kommt eine eindeutig antisemitische und fremdenfeindliche Stimmung auf. Die Lebensmittel wurden rationiert. Es kamen aber noch immer Touristen, die von den Einheimischen beneidet wurden. Die Wirtschaftskrise führte aber zu einem deutlichen Rückgang des Tourismusstroms. Der Glanz von Ischl war vorbei.

Hat die oberösterreichische Wirtschaft von Kriegsaufträgen profitiert?

Natürlich. Die Steyrer Werke zum Beispiel. Die Waffenfabrik ist auf fast 20.000 Beschäftigte angewachsen. Das war aber auch ein Danaergeschenk, denn was machte man nach dem Krieg mit dieser aufgeblähten Struktur, da aufgrund der Pariser Verträge gar keine Waffen mehr produziert werden durften? Die Steyrer Werke haben den Veränderungsbedarf durch die Umstellung auf die Automobilproduktion zu schaffen versucht. Das ist zwar technisch perfekt gelungen, ökonomisch aber nicht wirklich.

Es gab ansonsten in Oberösterreich nicht so viele Rüstungsbetriebe. Diese waren in Böhmen (Kanonen von Skoda) und in Niederösterreich situiert. Die großen Munitionsfabriken waren im Raum Wiener Neustadt. Wöllerstorf war mit 60.000 Beschäftigten die größte, weitere waren in Berndorf und Hirtenberg. In der Steiermark produzierte Böhler Kanonen.

Man überschätzt den Bedarf an Waffen im Vergleich zu dem, was man sonst zur Kriegsführung benötigte. Von den gesamten Kriegsausgaben ging nur ein Viertel für Waffen und Munition auf. 40 Prozent benötigte man für die Lebensmittel, also für die Verpflegung der Soldaten, weitere 20 Prozent für Schuhe und Kleidung. Der Bedarf an Pferden war hoch. Nicht für die Reiterei, sondern für den Transport, zum Ziehen der Kanonen und für den Nachschub.

Oberösterreich hatte den Vorteil, dass es kein Kriegsgebiet war.

Die gesamte Habsburger-Monarchie hat wenig abbekommen. Gekämpft wurde in Teilen Galiziens, in Lemberg und Pschremysl und in einem ganz kleinen Teil der Alpenfront. Es ist nicht viel zerstört worden. Görz war die einzige größere Stadt, die zerstört worden ist.

Es hat sich aber der Kapitalstock verschlechtert. Es ist nichts erneuert worden. So ist indirekt, ohne Kampfhandlungen, viel zerstört worden. Die Glocken wurden ebenso wie Pferde requiriert. Bei den Lokomotiven sind die Kupferkessel ausgebaut und durch eiserne ersetzt worden. Das hat ihren Wirkungsgrad doch sehr verschlechtert.

Gab es eine revolutionäre Stimmung, als die Soldaten im November 1918 nach Hause kamen?

Es hat zwar ein paar Plünderungen gegeben, aber der Übergang vom Krieg zum Frieden ist relativ friedlich verlaufen. Es gab weder eine Oktoberrevolution noch eine Räteregierung. Es hat auch keine Landreform gegeben. Der Adel hat zwar die Titel verloren, nicht aber die Grundstücke. Die Wiedereinbeziehung der Soldaten in den Arbeitsprozess hat relativ gut funktioniert. Die Inflation, die an und für sich fatal war und die Vermögen vernichtet hat, hatte den Vorteil, dass sie kurzfristig Beschäftigung geschaffen hat. 1918 war die Krone nur mehr ein Zehntel von 1914 wert. 1922 war die Geldentwertung am Höhepunkt. Sie wurde stabilisiert durch die Genfer Anleihe. 1924 kam es zum Übergang von der Krone zum Schilling.

Jene, die Kriegsanleihen gezeichnet hatten, haben ihr ganzes Geld verloren.

Nicht nur sie, auch die Sparer und viele Aktionäre. Durch die große Inflation haben sehr viele Gesellschaften ihr Kapital erhöhen müssen. Diese haben sich das Geld durch die Ausgabe weiterer Aktien geholt. Viele Altaktionäre haben nicht mitziehen können. Dadurch wurden ihre bisherigen Anteile verwässert. Am Ende haben sie gemerkt, dass das Unternehmen nicht mehr ihnen gehört hat, sondern den Banken. Die Banken sind dann später auch in Konkurs gegangen. Das war ein fataler Kreislauf.

Ist es möglich, aus dieser Zeit ein Fazit zu ziehen?

Der Erste Weltkrieg hat eine Kettenreaktion ausgelöst. Man hat daraus nicht gelernt, nie wieder Krieg, sondern man hat nachgedacht, wie man die erlittene Schmach wiedergutmachen kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man anders reagiert und nach einer Friedensordnung gesucht. Die Probleme des Ersten Weltkriegs beschäftigen uns heute noch in vielen Bereichen. Die Grenzziehungen in Jugoslawien, in der Ukraine und im Irak sind bis heute umstritten. Die Ukraine ist beispielsweise entstanden aus einem Teil Österreichs, einem Teil Polens und Russlands. Der Irak ging aus einem Teil des Osmanischen Reichs hervor.

Der Erste Weltkrieg hat alle europäischen Staaten massiv beschädigt. Auch die Sieger England und Frankreich, die wirtschaftlich am Boden waren. Der Krieg war die massivste Vermögenssteuer, die man sich vorstellen kann. Die Oberschichten wurden massiv getroffen. Die Vermögen wurden durch die Hyperinflation und die Steuererhöhungen zerstört. Die Vermögenssteuer explodierte in Österreich von fünf auch 60 Prozent. In den USA stieg sie sogar auf 94 Prozent.

Der Erste Weltkrieg ist eine Wasserscheide in der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung. Es entstand daraus der Sozialstaat, es entsteht eine viel egalitärere Gesellschaft, es entsteht mehr Gleichheit, die aber nicht sofort zu mehr Demokratie, sondern eher in Richtung Diktatur geführt hat. In den 1930er-Jahren hatte man in Europa fast nur mehr Diktaturen.

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