Hattmannsdorfer: Pflegereform des Bundes ist große Quatschbude
Wolfgang Hattmannsdorfer war Landesgeschäftsführer der ÖVP und Landtagsabgeordneter. Seit Oktober ist der 42-jährige Soziallandesrat.
KURIER: Die ÖVP hat bei der Regierungsbildung der SPÖ das Sozialressort weggenommen, mit der Begründung, man muss das alles anders machen. Sie sind der Profiteur. Was wird jetzt alles anders?
Wolfgang Hattmannsdorfer: Ich verwehre mich gegen die Bezeichnung, man hätte jemandem etwas weggenommen. Keine Partei hat eine Erbpacht auf irgendein Ressort. Ich halte es für ein starkes Zeichen, dass die Landeshauptmannpartei sagt, dass Sozialpolitik auch eine Angelegenheit ihrer Partei ist. Ich will das Ressort aktiver führen.
Was heißt aktiver?
Ich nenne drei Beispiele. Wir haben sofort den Heizkostenzuschuss um 15 Prozent auf 175 Euro erhöht. Bei der vierten Corona-Welle haben wir eine Besuchsregelung mit Vorsicht und Hausverstand umgesetzt. Bei einem dreimal so hohen Infektionsgeschehen war die Infektion bei den Mitarbeitern nur die Hälfte und bei den Bewohnern nur ein Drittel. Wir haben die Booster-Quote auf 87 Prozent der Bewohner gehoben. Wir haben die Behindertenwerkstätten nicht zugesperrt.
Der Landeshauptmann und meine Person haben sofort einen Ausbau der Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen beschlossen. Jährlich um 100 mehr bis 2027. Wir haben derzeit 4600 derartige Wohnplätze.
Ein kritischer Punkt ist der Mangel an Pflegekräften. In welchem Ausmaß sollten die Gehälter erhöht werden?
Der Fachkräftemangel betrifft uns in allen Branchen. Ich starte die Entwicklung einer Fachkräftestrategie. Eine Expertenkommission wird in vier Bereichen konkrete Vorschläge entwickeln.
Ohne entsprechende Gehaltserhöhungen wird das nicht funktionieren, weil für jeden Arbeitnehmer der Gehalt wichtig ist.
Gehalt ist immer ein Thema, ich verwehre mich gegen die Reduzierung auf die Gehaltsfrage. Wir haben im vergangenen Jahr ein Gehaltspaket für die Pflege von 35 Millionen Euro verabschiedet. Zum Beispiel für die Erhöhung der Zulagen für kurzfristiges Einspringen. Es wurde ein zweiter Nachtdienste für Heime mit über 60 Personen eingeführt.
Wir haben ein großes Problem, junge Mitarbeiter für den Sozialbereich zu gewinnen. Weil man erst mit 17 Jahren mit der Ausbildung starten kann. Das zweite große Potenzial sehe ich bei den Berufsumsteigerinnen und Umsteigern. Es gibt es eine große Chance bei Frauen, die sich nicht mehr primär um die Kinder kümmern müssen.
Warum machen wir das? Ich bin enttäuscht vom Tempo der Pflegereform des Bundes. Das ist eine große Quatschbude. Es gibt bis dato keine konkrete Maßnahmen. Wir können nicht mehr länger zuwarten. Hier müssen wir als Oberösterreicher eigene Initiativen setzen. Mich hat schon stark überrascht, dass zum Thema Fachkräftemangel es hier im Ressort nicht wirklich Konzepte gegeben hat. Denn das Thema ist nicht neu.
In manchen europäischen Ländern wie Italien oder Frankreich herrscht für die Gesundheits- und Pflegeberufe Impfpflicht. Soll sie bei uns auch eingeführt werden, abgesehen von der generellen Impfpflicht ab 1. Februar?
Ich bin froh und dankbar, dass wir die Impfpflicht nicht auf Gesundheits- und Pflegeberufe beschränken, sondern dass sie allgemein kommt. Ich sehe überhaupt nicht ein, dass Menschen im Sozialbereich, die damit eine solidarische Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, jene sein sollen, die mit dem Impfen die Gesamtverantwortung übernehmen müssen. Impfen ist eine Frage der allgemeinen Verantwortung.
Werden Sie in Zukunft nur mehr Personal aufnehmen, das sich impfen lässt?
Diese Frage stellt sich nicht. Es gibt die allgemeine Impfpflicht. Deshalb ist das eine Diskussion um des Kaisers Bart.
Wie viele Mitarbeiter in den Pflegeheimen sind nicht geimpft? 87 Prozent der Bewohner sind bereits geboostert. Bei den Mitarbeitern liegen wir um die 70 Prozent. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen. Deshalb gibt es in allen Heimen Arztgespräche, Aufklärungs- und Betreuungsgespräche. Für ungeimpfte Mitarbeiter sind diese Arztgespräche verpflichtend.
Eine Impfquote von 70 Prozent ist relativ niedrig.
Wie in anderen Bereichen auch.
Was denken Sie sich dabei?
Ich wünsche mir eine maximal hohe Impfquote. Bei jenen, die nicht geimpft sind, muss man zwei Gruppen unterscheiden. Es gibt eine sehr kleine und radikalisierte Gegnerschaft. Und es gibt viele, die berechtigte Ängste und Sorgen haben. Ich bin dagegen, alle über einen Kamm zu scheren.
Ihr Sozialressort wurde im Landesbudget erheblich erhöht.
Die Gesamterhöhung beträgt drei Prozent. Im Ermessensbereich, dort, wo ich nicht gesetzlich gebunden bin, beträgt die Erhöhung elf Prozent.
Sie waren zeit Ihres Lebens Parteimanager der Volkspartei. Was qualifiziert Sie für das Sozialressort?
Ich war in der vergangenen Legislaturperiode des Landtages bereits Sprecher für Soziales und Integration. Es sind von uns als ÖVP bereits viele Initiativen ausgegangen, die wir umgesetzt haben. Dazu gehört die Zusage von Thomas Stelzer bei seinem Antritt als Landeshauptmann, 417 Plätze für Menschen mit Beeinträchtigungen zu schaffen. Wir haben eine Demenz-Strategie entwickelt, dazu kommt unsere aktive Rolle bei der Bundespflegereform. Zudem war ich sieben Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender des Hilfswerks, einer der größten Sozialorganisationen, sie hat 1400 hauptamtliche und 600 ehrenamtliche Mitarbeiter. Oberösterreich hat 132 Pflegeheime mit rund 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und rund 12.000 Bewohnerinnen und Bewohnern.Dazu kommen noch 40.000 Menschen, die mobile Betreuung und Hauskrankenpflege in Anspruch nehmen. Das ist ein Budget mit mehr als 50 Millionen Euro. Wir werden hier die Angebote erhöhen und ausbauen.
Das ist ein Muss, denn der Bedarf steigt aufgrund des demografischen Wandels, weil nun die Babyboomer in Pension gehen.
Ich hoffe, dass sich der Bund zu einer Reform des Pflegegeldes durchringt. Es sollte künftig möglich sein, dass man sich Sachleistung zukauft. Unser Ziel ist es, dass die Menschen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben. Dabei müssen wir sie unterstützen. Wir müssen die mobile Betreuung ausbauen.
Mobile Betreuung ist viel günstiger als ein Platz im Pflegeheim.
Sie ist viel günstiger und entspricht dem Wunsch der Menschen. Darauf muss das Pflegegeld abzielen. Man sollte aus meiner Sicht einen Bonus schaffen für Menschen, die zu Hause bleiben, damit sie sich zusätzlich Hauskrankenpflege, mobile Betreuung etc. kaufen können. Der zweite Bereich, der sich ändern muss, ist die Bewertung der Demenz. Sie ist das Krankheitsbild, das mit dem Älterwerden der Menschen mit voller Wucht zunimmt. Auch hier braucht es ganzheitliche Lösungen. Wir brauchen in den Regionen Kompetenzzentren für Demenz.
Viele 24-Stunden-Pflegebedürftige werden von Osteuropäerinnen betreut, die auf selbstständiger Basis arbeiten. Es gibt Bestrebungen, die Pflegerinnen anzustellen. Werden Sie das machen?
Die 24-Stunden-Pflege ist eine Säule in unserer Betreuungsstruktur. Das Wichtige ist jetzt, dass man die Möglichkeit legalisiert, die sich mehrere Menschen die 24-Stunden-Kräfte teilen können. Es sollen sich zum Beispiel zwei Familien eine 24-Stunden-Kraft teilen können. Damit können wir den jetzigen Graubereich legalisieren.
Kommentare