"Raus aus der Komfortzone!"

Peter Habeler beim Trekking in Nepal.
Die Gesetze der Berge sind Lebensregeln. Es geht um Selbstverantwortung, um das Heben des vollen Potenzials, um positiven Zuspruch und um die Überwindung des inneren Schweinehundes, sagt Peter Habeler.

Der Zillertaler Peter Habeler ist die Berglegende Österreichs. Gemeinsam mit Reinhold Messer bestieg der heute 71-Jährige 1978 den Mount Everest als Erster ohne künstlichen Sauerstoff. Habeler hatte diese Woche zwei Auftritte im Land. Am Wochenende in Gmunden bei der Denkwerkstatt academia superior. Montag sprach er vor mehr als 1500 Zuhörern in der Oberbank.

KURIER: Sie sagen, man braucht Leute, die in einem das Positive sehen und die in in einem die Leidenschaft wecken. Man braucht gute, kameradschaftliche Partner, die einem sagen, dass in einem noch mehr Potenzial steckt als man selbst meint. Dann wächst man.
Peter Habeler: Das gilt sowohl für die Berge als für das Leben. Man muss am Berg dem Partner das Gefühl geben, dass er besser als er selbst glaubt. Denn das hebt ihn hinauf. Er fühlt sich dann besser und er hat eine bessere Performance.

Steckt in den Leuten tatsächlich mehr drinnen als sie selbst glauben?
Ich glaube schon. Ich habe immer das Glück gehabt, mit den besten Leuten gehen zu können. Wenn ich bisschen down gewesen bin, habe mir diese Leute das Gefühl gegeben, dass ich trotzdem super drauf bin, dass ich trotzdem gut bin. Das ist schon die halbe Maut.

Das sind jetzt zwei verschiedene Dinge. Das eine ist, dass man aus den Menschen das Beste rausholt, das andere, dass man in Momenten der Schwäche die Betreffenden nicht niedermacht, sondern sie mit positiven Worten motiviert.
Wenn ein Bergsteiger einen schlechten Tag hat und er jammert, dass er müde ist, dann antworte ich ihm, nein, es geht schon. Ich versuche ihn aufzuheitern und zu stärken. Ich versuche ihm einfach zu helfen. Das ist im Gebirge das Wichtigste.

Sie sagen, jeder hat seinen Mount Everest.
Jeder hat in sich etwas Starkes. Das meine ich mit dem Everest. Er steht als Synonym für das Höchste.Es kann auch für jemanden ein 500 Meter hoher Hügel sein Everest sein. Er freut sich, wenn er dort hinaufgeht, er fühlt sich wohl.

Das bedeutet, das jeder leistungsfähig ist.
Viele Leute haben viel mehr Kraft als sie sich zutrauen. Wenn sie sich trauen und positiv gegenüber sich selbst eingestellt sind, dann schaffen sie viel mehr.

"Raus aus der Komfortzone!"
18.03.2014, Linz, Bild zeigt Peter Habeler, Foto Alfred Reiter
Sie haben bei Ihren Touren im Himalaja auch umdrehen müssen. So am Nanga Parbat.
Am K2 haben wir zwei Mal umgedreht. Man muss umdrehen können, weil man sonst in Gefahr ist, das Leben zu verlieren. Das ist eine Bauchentscheidung und keine Entscheidung des Kopfes. Sehr viele Dinge, die ich vor allem beim Klettern im Gebirge mache, werden im Bauch entschieden. Es wird sehr viel instinktiv gemacht. Wenn ich in einer misslichen Situation bin, wenn es mir schlecht geht, wenn es zum Beispiel sehr viel schneit, wie es am Nanga Parbat der Fall war, dann muss ich umdrehen. Dann sagen mir die Sensoren, nichts wie weg. Ich bin nicht verrückt und sage, jetzt müssen wir da hinauf.
Reinhold Messner und Gerlinde Kaltenbrunner haben auch oft umgedreht.

Umdrehen ist keine Niederlage.
Überhaupt nicht. Es gibt für mich am Berg keine Niederlagen. Ich mag den Berg. Ich fühle die Wärme, die von ihm kommt. Ich will ihn besteigen, aber wenn er mich aber nicht mag, dann schaue ich, dass ich heimkomme. Er steht ja noch länger.

Man kann auch beim Umkehren lernen?
Natürlich. Es geht um die Technik des Abseilens, um die Schwierigkeit des Abstiegs. Da lernt man sehr. sehr viel. Man lernt auch das Wissen, dass man nicht gleich stirbt. Ich brauche die handwerklichen Fähigkeiten, eine Abseilpiste auch bei ganz schlechten Verhältnissen einzurichten.In den Dolomiten haben wir einmal einen Partner, der runtergefallen ist und sich schwer verletzt hat, 480 Meter abseilen müssen. Das war eine zähe Partie. Aber wir haben es geschafft. Dann haben wir Rückzug gefeiert.

In den Bergen ist jeder für sich selbst voll verantwortlich. Man kann sich auf niemanden ausreden.
Zu 99 Prozent ist es so. Es kann einmal sein, dass einem ein Stein auf den Kopf fällt. Aber wenn man Lawinen betrachtet, dann ist es so, dass der etwas falsch macht, wenn er sich in Gefahr begibt. Es gibt die subjektiven Gefahren wie die Nichtbeachtung eines Wettersturzes, für die man selbst verantwortlich ist. Ich bin der Meinung, dass man sich auf niemanden ausreden kann. Punkt. Aus. Heute wird es immer schlimmer. Es will keiner mehr zugeben, dass er selbst Schuld hat.
Gibt es generell zu wenig Selbstverantwortung?
Ich glaube schon.

Woran machen Sie das fest?
Wieder ein alpines Beispiel. Eine Expedition geht am Berg XY. Dann müssen sie umdrehen. Sie reden sich dann auf etwas aus wie ich habe Durchfall gehabt. Wahrscheinlich haben sie sich aber zu wenig engagiert, dass sie den Berg gemacht hätten.

Sie sagen, dass Sie beim Aufstieg auf den Everest ein bisschen wankelmütig waren.
Beim Aufstieg selbst nicht. Das war schon vorher. Ich bin einen Tag früher als die anderen ins Basislager gekommen. Ich habe mir den Berg angeschaut und mir gedacht, das wird interessant werden. In den ersten Tagen war sehr viel Wind. Er bricht sich in den Bergflanken und das verursacht viele Geräusche. Das ist wie wenn ein Zug vorbeifahren würde. Ich war frisch verheiratet, hatte einen kleinen Sohn und wollte deshalb nicht zu Schaden kommen. Am oberen Ende des Khumbu-Eisbruches hatten wir unser Lager. Die halbe Nacht habe ich im Zelt Zillertaler-Lieder gesungen und mir gedacht, den Everest reißen wir nieder. Wir sind dann durch das Tal des Schweigens auf 6400 Meter marschiert. Es hat wahnsinnig gestürmt Wir haben kein gutes Platzerl für das Zelt gefunden und mussten es auf einem Eisbuckel aufstellen. Wir konnten es nicht gut verankern. Wir haben es halten müssen. Ich hatte Angst, dass es uns das Zelt zerreißt. Ich habe gewusst, wenn uns das am Südsattel passiert, dann ist es aus. Das hat mich ein bisschen ängstlich gemacht. Messner hat mir zugeredet und gesagt, du bist ja stark. Als wir Richtung Gipfel gestartet sind, waren wir super drauf.

Ihr Motto lautet Heraus aus der Komfortzone.
Der Bergsteiger, der Sportler, der Wissenschaftler kann keine außergewöhnlichen Leistungen bringen, wenn er in der Komfortzone bleibt. Sie müssen sich überwinden und selbst in den Hintern treten. Der Psychotherapeut Viktor Frankl, mit dem ich ein paar Mal gegangen bin, hat das so formuliert: Wer ist stärker? Ich oder ich? Es geht um die Überwindung des inneren Schweinehundes. Gerade bei Erstbesteigungen weiß man ja nicht, was einem blüht. Es geht darum, etwas Neues zu tun, ohne dass man weiß, geht es in die Hosen oder nicht? Es ist für jeden bärig, wenn er das überwindet. Nachher sagt man, das ist super, ich habe mich überwunden. Aber viele kennen oder wollen das nicht.

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