ÖGK-Chef: „Teile die Kritik der Menschen am Gesundheitssystem“
Michael Pecherstorfer ist Obmann der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer, der 53.000 Betriebe angehören. Er ist auch gemeinsam mit Albert Maringer Vorsitzender des Landesstellenausschusses der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) für Oberösterreich. Der 49-Jährige führt in Pupping (Bez. Eferding) und in Arnreit (Bez. Rohrbach) einen Tischlereibetrieb mit 35 Mitarbeitern.
KURIER: Sie sagen, dass es seit Novemberbeginn faktisch keine Baustellen mehr gibt. Ist die Situation tatsächlich so schlimm?
Michael Pecherstorfer: Sie ist schlimm. Wir haben vor dieser Situation schon seit dem Frühjahr gewarnt. Der Bau und das Baunebengewerbe verzeichnen bei den privaten Einfamilienhäusern einen Rückgang von 60 bis 80 Prozent.
Wir hatten in der Corona-Zeit einen extremen Auftragsstand, den wir abgearbeitet haben. Deshalb waren die Unternehmer relativ ruhig. Wir haben aber unterschätzt, wie schnell der Auftragsstand geschmolzen ist.
Die Bauwirtschaft hat in den vergangenen Jahren extrem geboomt. War es nicht eine Illusion zu glauben, dass es immer so weitergeht?
Ja, es war eine Illusion. Es wäre auch nicht gut, wenn es so weitergehen würde. Es war zu extrem. Wir haben viele Fehler gemacht, die Kunden waren nicht so zufrieden wie sonst üblich. Es ist vieles nicht so gelaufen, wie es in den Betrieben laufen sollte.
Die Betriebe waren mit der Abarbeitung der Aufträge überfordert?
Zum besseren Verständnis nehme ich meinen Betrieb als Beispiel her. Wir durften während der Corona-Krise stets arbeiten. Wir hatten aber aufgrund von Erkrankungen und Vorsichtsmaßnahmen über eineinhalb Jahre nur die halbe Mannschaft im Betrieb. Daraufhin haben wir einen Schichtbetrieb eingeführt, weil die Auftragsbücher voll waren.
Wir hatten zwar eine Riesenauslastung, aber finanziell gesehen waren das die schlimmsten zwei Jahre. Wir hatten Leasingpersonal und eine durchschnittliche Preissteigerung beim Material von 89 Prozent. Die Verkaufspreise wurden aber nur zwischen sieben und zehn Prozent erhöht.
Ich habe in meiner 25-jährigen Tätigkeit noch nie so viel Verlust gemacht, denn ich habe Verträge unterzeichnet, in denen ich mich ein Jahr gebunden habe. Ich hätte dagegen klagen können, aber da gäbe es mich heute nicht mehr.
Meine Kollegen haben das meist auch so gemacht. Die Betriebe sagen nun, die Rücklagen sind aufgebraucht, die Energie und die Kraft ebenso. Ab Jänner 2024 zahlt mein Betrieb zudem das Dreifache an Stromkosten.
Sie erwarten sich Maßnahmen der Politik zur Entlastung, zum Beispiel die Wiedereinführung des Handwerkerbonus.
Dieser Bonus ist speziell abgestimmt für die Klein- und Mittelbetriebe, auch um den stark steigenden Pfusch zurückzudrängen. Es braucht Impulse, um dem Konsumenten zu sagen, es ist die richtige Zeit zu investieren.
Da sind zum Beispiel die Zusagen für die Förderung der Photovoltaikanlagen ein großer Schritt. Auch die Förderungen, um von den Kessel- und Gasheizungen wegzukommen. Weiters die Förderungen für die Sanierungen. Fassadendämmungen, Sonnenschutz, etc.
Ein intensiv diskutiertes Thema ist die Bodenversiegelung. Landesrat Markus Achleitner (ÖVP) argumentiert, würde man die von den Grünen geforderte Flächenbegrenzung auf 2,5 ha pro Tag in Österreich vornehmen, könnten auf dem Land keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden und Betriebserweiterungen wären auch nicht mehr möglich. Denn das wären pro Gemeinde in Oberösterreich lediglich 3000 m2 pro Jahr. Wie sehen Sie dieses Thema?
Differenziert. Es ist unbedingt notwendig, sich das anzusehen.
Waren die Genehmigungen des Flächenverbrauchs in der Vergangenheit zu großzügig?
In vielen Bereichen ja. Leider sind aufgrund bestehender Widmungen zum Beispiel große Flächen für den Handel geschaffen worden, inklusive großzügiger Parkflächen. Das habe ich nie verstanden und werde es auch nicht verstehen. Aber das wurde nun ja neu geregelt.
Umgekehrt muss man natürlich aufpassen, dass bestehende Widmungen und Genehmigung von Betriebsanlagen nicht behindert werden. Da gibt es bereits Beschwerden, aber ich meine, hier kommen wir zu Lösungen. Man muss das mit Augenmaß machen.
Sie sind als Arbeitgebervertreter auch Vorsitzender des Landesstellenausschusses der Österreichischen Gesundheitskasse für Oberösterreich. Kürzlich wurde eine repräsentative Umfrage veröffentlicht, wonach die Menschen eine Verschlechterung des Gesundheitssystems sehen. 42 Prozent sind der Meinung, dass unser System nur mittelmäßig bis schlecht ist. Außerdem kritisieren sie, dass es sich Richtung Zwei-Klassen-Medizin entwickelt.
Ich teile diese Einschätzung, ich spreche mit vielen Menschen. Sie ist nicht falsch. Unsere Landesstelle der ÖGK hat zum Beispiel die Aufgabe, die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Das heißt, Kooperation mit dem Land OÖ, Zusammenarbeit mit der Ärztekammer, etc.
Bei diesem Thema muss die Österreichische Gesundheitskasse die Landesstellen wieder stärken. Das ist alles im Aufbau, das ist ein Entwicklungsschritt.
Haben wir einen Ärztemangel?
Wir haben keinen Ärztemangel, wir müssen sie lediglich effizienter einsetzen. Dafür ist die Ärztekammer der Ansprechpartner. Wir hatten heuer harte Verhandlungen, um wieder einen Ärztevertrag zustandezubringen.
Auch bei den Ärzten vollzieht sich ein Generationenwechsel. Die jungen Ärzte wünschen sich andere Formen und Modelle als das klassische Hausarztsystem.
Es gibt nun bereits zehn Ärztezentren (Primärversorgungseinheiten PVE), bei denen mehrere Ärzte zusammenarbeiten.
Wir sind hier auf einem guten Weg. Die PVE sind nicht gekommen, weil der klassische Hausarzt nicht mehr benötigt wird. Gerade in den ländlichen Regionen sind diese unersetzbar. Wir werden die PVE aber weiter fördern, weil sich ja schon zwei Ärzte zu so einem Zentrum zusammentun können.
Sie entsprechen dem Bild der Zukunft. Die Jungmediziner wollen im Team arbeiten. Der Arztberuf wird zudem immer frauenlastiger, die Vereinbarkeit von Familien und Beruf immer wichtiger. Wir haben hier sehr viele Anfragen.
Wie viele PVE wird es in den nächsten zwei Jahren zusätzlich zu den zehn Bestehenden noch geben?
Die von der Regierung vorgesehenen zusätzlich 20 sind unrealistisch.
Was ist realistisch?
Das Wichtigste ist die Kindermedizin. Wir bekommen mit Jänner 2024 am Domplatz ein Kinder-PVE mit drei Kassenarztstellen, mit denen wir den Linzer Raum komplett abdecken können. 2025 sind fünf weitere Primärversorgungseinheiten fix. In Bad Ischl, Perg, Schwertberg, Schärding und Vöcklabruck.
Wie viele Hausarztstellen sind derzeit unbesetzt?
Mit 31. Oktober sind 31 Allgemeinmediziner unbesetzt, zudem sechs für Kinder und Jugendheilkunde und sieben für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.
Sind die vielen Wahlärzte ein Problem? Sollten nicht mehr von ihnen Hausärzte werden?
Wir als Gesundheitskasse würden uns das wünschen. Die Reform der Arbeitszeit der Ärzte in den Krankenhäusern hat zu einem Booster für die Wahlärzte geführt. Sie haben kürzere Arbeitszeiten im Spital und führen daneben eine Wahlarztpraxis.
Wir wollen den Ärzten in den Spitälern nun anbieten, wenn sie noch Kapazitäten haben, dass sie diese in ein Primärversorgungszentrum einbringen. Was für uns aber nicht gut ist, ist die Stimmung unter den Patienten draußen.
Die Menschen sagen, ich muss beim Haus- oder Facharzt auf einen Termin warten, beim Wahlarzt bekommen ich ihn sofort.
Genau. Dann kommt noch dazu, dass der Wahlarzt seine Leistungen nach seinen Vorstellungen verrechnet. Die Versicherten bekommen aber jene Tarife rückerstattet, die wir mit der Ärztekammer ausverhandelt haben.
Das geht auf Kosten der Patienten.
Genau. Und das darf in diesem Ausmaß nicht sein. Ich verwehre mich dagegen, dass dann gesagt wird, dafür ist die Gesundheitskasse verantwortlich. Ich würde es für richtig finden, dass wir die Wahlärzte in unsere Abrechnungssystematik einbinden dürfen.
Was heißt das?
Das heißt, dass die Wahlärzte mit uns abrechnen können. Da gibt es Vorschläge und Verhandlungen mit der Ärztekammer.
Viele Patienten gehen wegen der oft schweren Erreichbarkeit von Hausärzten direkt in die Spitalsambulanzen, vor allem im städtischen Bereich. was eine teure Lösung ist. Was wollen Sie dagegen tun? Was halten Sie von einer Ambulanzgebühr?
Die Ambulanzgebühr wird diskutiert, ich würde sie jedoch nicht einführen. Eine andere Idee wäre eine vorgelagerte Patientenlenkung. Hier müssten wir mehr tun. Wir arbeiten im Krankenhaus Wels intensiv an einer Kooperation, indem wir in der Ambulanz eine Vertragsversorgung machen.
Wir haben in Wels einen Engpass, weil zwei Vertragsmediziner in die Pension gehen. Wir können das in der Kürze nicht nachbesetzen, weil wir die Information über Pensionierungen sehr spät bekommen.
Es sitzt also ein praktischer Arzt in der Spitalsambulanz.
Wir bedienen uns der Allgemeinmediziner im Krankenhaus und der behandelt die Patienten in der Ambulanz des Krankenhauses. Wir bezahlen das. Das ist eine Win-win-Situation. Ich bin guter Dinge, dass wir das im nächsten Quartal schaffen.
Man könnte eine derartige Lösung auch in anderen Spitalsambulanzen anbieten.
Durchaus. Spitäler sind Sache der Länder. Es laufen Gespräche. Aktuell sind wir mit der Situation konfrontiert, dass die Krankenhäuser unter Personalmangel leiden. Aber wir müssen es schaffen, die Spitalsambulanzen zu entlasten.
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