„Nur an den nächsten Schritt denken“

Paula Radcliffe. Die Britin (45) und Weltrekordhalterin war bei der Auftakt-Veranstaltung für den Linz-Marathon zu Gast.

„Schwierig in ein paar Worten zu sagen“, antwortet Paula Radcliffe auf die Frage, was Laufen für sie bedeutet. „Ich kann mir ein Leben ohne Laufen nicht vorstellen. Das bringt etwas, nicht nur Karriere und Gesundheit, sondern auch Spaß und tolle Erinnerungen. Und Zeit nur für mich zum Denken, Probleme zu lösen, mich besser zu fühlen. Wenn ich viel Stress habe gehe ich laufen. Wenn ich zufrieden bin, gehe ich auch laufen.“

KURIER: Hat Laufen Ihr Leben verändert?

Paula Radcliffe: Sicher, aber ich weiß nicht wo. Ich denke, dass ich durch das Laufen Sicherheit gewonnen und mehr erreicht habe. Ich bin viel gereist und habe viele Leute getroffen. Das war sehr, sehr schön.

Paula Radliffe ist 45 und hält den Marathon-Weltrekord. Der hat schon einzige Zeit lang Bestand. In 2:15.25 Stunden hat sie 2003 in London die gut 45 Kilometer zurückgelegt – und damals ihre eigene Bestmarke unterboten.

Warum hält Ihr Weltrekord bis heute?

Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich etwas anderes habe als andere. An diesem Tag ist alles zusammengekommen. Eine gute Vorbereitung, eine schnelle Strecke, die Unterstützung durch das englische Publikum. Es war immer mein Ziel, von Anfang an möglichst schnell zu laufen. Vielleicht habe ich eine kürzere Karriere gehabt, weil ich alle Marathons maximal gelaufen bin. Aber ich bedauere es nicht.

Wann wird Ihr Rekord unterboten? Und wem trauen Sie es zu?

Es kann immer sein. Ruth Chepngetich aus Kenia ist letzte Woche in Dubai eine sehr gute Zeit gelaufen. Auch Mary Keitany hat das Potenzial, aber sie wird älter.

Radcliffes Erfolgsliste ist überaus lang. So hat sie jeweils dreimal den New-York-Marathon und den London-Marathon gewonnen. Den ersten und den letzten Sieg in London nennt sie als ihre schönsten. Doch verläuft eine solche Karriere nicht immer nur bergauf.

Der Traum von einer Olympiamedaille hat sich nicht erfüllt. Hadern Sie damit?

Ja, sicher. Es war ein Ziel, aber man kann nicht alles haben. Ich war nicht gut genug, um eine Medaille zu gewinnen. Ich habe es versucht, es hat nicht geklappt. Ich kann das nicht mein ganzes Leben mittragen. Es ist nur Sport.

Wie haben Sie Niederlagen verarbeitet? Gab es dazu eine Strategie?

Meine Großmutter hat einmal gesagt: Wenn etwas wehtut, weine ein bisschen, aber lass’ es hinter Dir und nimm es nicht mit durch das Leben. Es verbrennt Energie und man kann es nicht ändern. Das habe ich gemacht und ich glaube, es hat geholfen.

Haben Sie während eines Marathonlaufs auch Krisen durchgemacht?

Ach ja, das kommt immer. Es gab keinen Marathon ohne diese Tiefpunkte. Ich habe im Training Techniken gefunden, um im Moment zu bleiben: Immer nur an den nächsten Schritt denken und nicht daran, was gerade wehtut.

Radcliffe spricht ausgezeichnet Deutsch und ohne große Gesten, dafür viel mit ihren strahlenden Augen. Sie vermitteln Leidenschaft für den Laufsport. Zurzeit plant sie ein spezielles Projekt, mit dem sie Kinder für Leichtathletik interessieren möchte. Im Juli soll in England der Start sein.

Haben Sie Tipps für Hobbyläufer?

Erstens Spaß haben, das ist sehr wichtig. Zweitens mit einer Gruppen zusammen laufen gehen, das hilft. Und eine Planung, eine Vorbereitung zu haben, die flexibel sein muss. Wenn man sich nicht gut fühlt, geht es ein paar Tage später. Man soll immer ein Ziel im Leben haben und alles geben und versuchen, es zu erreichen. Auch wenn man am Ende nicht dort ankommt, erreicht man sowieso etwas auf der Strecke.

Und was raten Sie für die Zeit nach einem Marathon?

Gut feiern. Man hat etwas erreicht und soll dafür einen Bonus kriegen. Gut essen, gut schlafen. Und sowieso ein paar Wochen entweder komplett Pause machen oder nur ein bisschen laufen. Vielleicht spazieren gehen oder Rad fahren, aber nicht laufen.

Sport auf höchstem Niveau erfordert viel Disziplin und Fleiß – ein hoher Preis?

Wenn man im Sport hundert Prozent gibt, bekommt man auch etwas. Ich habe durch die Leichtathletik Freunde in der ganzen Welt. Das eine große Familie. Es gibt keinen anderen Sport, wo am gleichen Tag 20.0.000, 30.000, 50.000 Menschen die gleichen Erlebnisse und Erinnerungen teilen können. Und es hilft, wenn man bei einem Marathon zu schwierigen Momenten kommt und die anderen helfen durchzukommen.

Radcliffe hat an der Loughborough University ihr Studium der Europawissenschaften mit Auszeichnung abgeschlossen.

Sie lebt mit ihrem Mann Gary Lough in Monte Carlo, die beiden Kinder wachsen zweisprachig – Englisch und Französisch – auf. Jetzt soll Deutsch dazu kommen. Gelebte Internationalität und Weltoffenheit.

Was halten Sie vom Brexit?

Ich bin gar nicht stolz auf das britische Volk. Es ist immer besser, wenn man in einem Team in die Zukunft geht. Ich glaube, dass die meisten Menschen über etwas abgestimmt haben, was sie nicht verstanden haben. Und es gab zu viele Lügen. Die Leute wollten nur sagen, dass sie mit der Regierung unzufrieden sind. Wenn sie am nächsten Tag ein neues Referendum gemacht hätten, hätte es ein anderes Ergebnis gegeben. Ich lebe seit 2005 in Monaco. Wenn ich kann, bleibe ich in dort. Ich will nicht zurück nach England gehen.

Gerhard Marschall

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