„Non Profit bedeutet für uns Profit für die Gesellschaft“

Oberösterreichs Caritasdirektor Franz Kehrer
Caritasdirektor Franz Kehrer will Pflegebereich ausbauen, kritisiert Sparkurs bei Integration und beurteilt die Sozialpolitik.

Franz Kehrer, 59, hat vor 21 Jahren im Mobilen Familien- und Pflegedienst bei der Caritas Oberösterreich begonnen. 2013 wurde er von Bischof Ludwig Schwarz zum Caritasdirektor bestellt.

KURIER: Die Caritas ist in politischen Diskussionen zuletzt oft genannt worden. Was steckt hinter der Caritas Oberösterreich?

Franz Kehrer: Die Caritas Oberösterreich wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ins Leben gerufen. Gegründet ist sie aber schon 1907 worden. Unser großer Kernauftrag ist Menschen in Not zu helfen. Derzeit sind rund 3400 Mitarbeiter bei uns beschäftigt, die meisten in der Arbeit für Menschen mit Behinderung. Wir werden zwar in letzter Zeit mit der Arbeit für Menschen auf der Flucht assoziiert, aber unser Tätigkeitsbereich ist bei weitem größer und vielfältiger.

In Betreuung und Pflege ist die Caritas eine Fixgröße. Wie groß ist hier das Engagement?

Mit rund 1100 Mitarbeitern ist es einer unserer größten Tätigkeitsbereiche. Wir betreiben vier Seniorenwohnhäuser, Häuser für Betreubares Wohnen, dazu Familien- und Pflegedienste, wir sind im Hospizbereich in der Beratung von pflegenden Angehörigen tätig. Dazu haben wir als Innovationsprojekt die Elisabethstube, wo wir an Demenz erkrankte Personen, die noch zu Hause leben, in der Tagesbetreuung versorgen.

In der Landes- und Bundespolitik ist der Pflegekräftemangel ein großes Thema. Wie gehen Sie damit um? Es ist sehr zu begrüßen, dass die Politik erkennt, dass gegen den Fachkräftemangel in der Pflege etwas unternommen werden muss. Das Problem wird sich sehr wahrscheinlich noch verschärfen. Jetzt decken noch die osteuropäischen Betreuungskräfte einiges ab. Da kann man langfristig keine Prognose abgeben, wie sich das Wirtschaftswachstum in Osteuropa entwickelt und ob sie uns in der Anzahl weiter zur Verfügung stehen werden. Ansetzen müssen wir beim Stellenwert der Pflegeberufe für die Gesellschaft. Hier ist auch die Politik gefordert. Denn nur wenn der Beruf mehr gesellschaftliche Wertschätzung erhält, werden sich auch mehr Menschen dafür entscheiden.

Was halten Sie dem Pflegekräftemangel entgegen? Man muss der Arbeit, die die Mitarbeiterinnen leisten die gesellschaftliche Anerkennung zukommen lassen. Das soll ein permanentes Signal an diese Mitarbeiter sein, wie wichtig ihre Arbeit ist. Das tun wir in unserer Organisation. Wir versuchen die Arbeitsbelastung auch mit Weiterbildung oder Supervision für Leute, die im stationären Bereich tätig sind, abzufedern. Dazu haben wir drei eigene Schulen, in denen wir Mitarbeiterinnen für uns und andere Träger ausbilden. Die fachliche Qualität für Leute, die in der Betreuung arbeiten ist uns ein großes Anliegen. Demenz und auch Gewalt in der Pflege gegen Mitarbeiter nimmt zu. Da kann nur gut ausgebildetes Personal adäquat reagieren.

Wie ist der Austausch mit der Landespolitik? Als Caritas verstehen wir uns auch immer als anwaltschaftliche Person, die die Stimme erhebt für soziale Themen, für Menschen in Not. Und aus dem eigenen Tun kann ich auch konkrete Vorschläge an die Politik machen. Es gibt einen regen Austausch mit den Zuständigen im Sozialbereich. Da bringen wir uns entsprechend ein und werden gehört.

Zu Jahresbeginn kam die Caritas wegen ihrer Kritik an der Sozialpolitik ins Visier von FPÖ und auch ÖVP. Worte wie Asylindustrie oder Profitgier sind gefallen. Hat sich die Lage beruhigt?

Es ist nicht überwunden, NGOs schnell einmal als Verhinderer oder in eine bestimmte Richtung zu punzieren. Es ist ein Stück aus dem Blickwinkel geraten, dass das Staatssystem und der gesellschaftliche Zusammenhalt ganz stark von NGO’s geprägt sind. Dazu gehört die Feuerwehr oder auch der Musikverein. Freiwillige und Leute, die spenden, bilden ein wichtiges Rückgrat für diese Gesellschaft. Wir arbeiten nicht für den Profit, sondern verwenden unsere Mittel ausschließlich für die Hilfe von Menschen in Notlagen und sind damit gemeinnützig tätig. Bei der Bezeichnung Non Profit geht es uns um den Profit für die Gesellschaft. Das wird plötzlich umgedreht. Diese Kritik bleibt aufrecht, auch wenn jetzt die Diskussion momentan verebbt ist. Aber sie kann jederzeit wieder ausbrechen. Es ist wichtig, neu zu buchstabieren, wie wichtig gesellschaftlicher Zusammenhalt und Solidarität sind. Ein christliches Europa ohne Solidarität und Nächstenliebe geht nicht.

Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verschärft?

Es hat gesellschaftliche Herausforderungen gegeben, die aus meiner Sicht gut bewältigt wurden. Wir wurden in der Situation der Fluchtbewegung von der Regierung gebeten mitzuhelfen. Durch das enorme Engagement in vielen Gemeinden von vielen Freiwilligen ist das bravourös bewältigt worden. Man könnte sich freuen, was da gelungen ist, wie viel Solidarität da spürbar war. Natürlich, jede Gewalttat, jeder Konflikt ist sicher einer zu viel, aber es ist der falsche Weg, Ängste weiter zu schüren, sondern es sollte besonnen und konsequent an den Problemen gearbeitet und Lösungen gefunden werden. Bei der Integration Gelder zu kürzen ist der falsche Weg, denn die Investitionen werden sich langfristig rechnen. So müssen zum Beispiel die Rahmenbedingungen verbessert werden, damit asylberechtigte Menschen Ausbildungen machen können in den Berufssparten, wo Fachkräfte gesucht werden.

Wie viele Menschen im Asylbereich betreut die Caritas derzeit? Von den 2300 Quartierplätzen, die wir zur Betreuung von Menschen auf der Flucht angemietet hatten, haben wir jetzt nur mehr 800. Wir erwarten, dass sich das heuer noch einmal halbiert. Wir haben das mit Hilfe vieler Gemeinden und Bürgermeisters gut gemeistert.

In Niederösterreich ist eine große Betreuungs-GmbH. in die Insolvenz geschlittert. Wie schaffen Sie den Rückgang betriebswirtschaftlich? Die Flüchtlingsbetreuung ist innerhalb der Caritas eine isolierte Angelegenheit und es gibt keinerlei Querfinanzierungen aus anderen Bereichen, das wäre aufgrund der Förderrichtlinien gar nicht möglich. Ich kann aus dem Bereich der Behindertenpflege und oder Seniorenbetreuung nicht die Flüchtlingsbetreuung querfinanzieren. Non Profit bedeutet, dass wir mit sehr viel betriebswirtschaftlichem Hausverstand arbeiten. Wir haben keine Investitionen in eigene Gebäude getätigt und nicht spekuliert, dass wir die Objekte zehn oder 15 Jahre auslasten können. Wir haben punkto Verträge mit den Mitarbeiterinnen und bei den gemieteten Quartieren geschaut, dass wir kleinstrukturierte Einheiten haben, die wir einvernehmlich rasch auflösen können. Ich könnte nicht verantworten, hier Spenden einzusetzen.

Was war Ihre Strategie? Wir sind immer auf Sicht gefahren. Fluchtbewegungen waren immer Wellenbewegungen. Diese Erfahrungen haben wir aus der Bosnienkrise oder dem Tschetschenienkrieg gemacht. Es war klug, dass der Staat erfahrene NGO’s beauftragt, weil wir Erfahrungen und Kompetenz haben das aufzubauen und zurückzufahren. Mietverträge für Quartiere bis 2029, wie man das gehört hat, gäbe es bei uns nie im Leben. Da ist eine Bundesagentur oder Behörde nie so flexibel.

Sie fahren also auch den Mitarbeiterstand in diesem Bereich zurück? Es gibt natürlich Mitarbeiterinnen, die unseren Betrieb kennengelernt haben und bei uns bleiben wollen. Das ist eine Frage der Qualifikation. Wir versuchen aber, einzelne MitarbeiterInnen bei freien Stellen auch in anderen Bereichen unterzubringen.

In den Bereich Flüchtlinge fällt die aktuelle Diskussion um die von der Regierung geforderte Sicherungshaft für als gefährlich eingestufte Asylwerber. Wie steht die Caritas dazu?

Ich frage, wo wachen wir nach zehn Jahren auf? Eine Regierung hätte die Pflicht für das Miteinander zu sorgen und nicht Spaltungstendenzen zu fördern. Stichwort Spar- und Nullschuldenpolitik? Wie geht es dem Sozialsystem in Oberösterreich, nachdem diese Strategie von Schwarz-Blau zwei Jahre durchgezogen wurde?

Grundsätzlich geht es dem Sozialsystem im Vergleich zu anderen Bundesländern gut. Wobei es natürlich die Hauptherausforderung ist, den zusätzlichen oder noch nicht abgedeckten Bedarf zu erfüllen. Im Behindertenbereich wissen wir, dass eine große Gruppe auf einen Wohnplatz wartet. Dieses Delta sehen wir mit Sorge. Man muss immer hoffen, dass die betreuenden Angehörigen noch durchhalten. Und dass man mit den bestehenden Plätzen so recht und schlecht durchkommt. Ein anderes Thema ist, dass der größte Teil des Sozialbudgets Personalkosten sind. Und wenn es für diese anspruchsvolle Arbeit berechtigter Weise Lohnerhöhungen gibt, dann schlagen sich diese natürlich auch wieder im Aufwand des Sozialressorts nieder.

Wie geht es Ihnen mit den Lohnabschlüssen? In unseren Leistungsverträgen ist sehr wohl das Bekenntnis des Landes drinnen, dass Gehaltszuwächse, die sich am Öffentlichen Dienst orientieren, auch in der Sozialwirtschaft akzeptiert werden. Der größte Aufwand sind die Gehälter der Mitarbeiterschaft. Es gibt eine Grundabsicherung in den Verträgen. Wir haben in der Caritas Österreich einen eigenen Kollektivvertrag, der heuer schon in der zweiten Verhandlungsrunde mit 2,5 Prozent plus zwölf Euro abgeschlossen wurde. Dazu zwei zusätzliche Urlaubstage nach dem ersten Dienstjahr.

Zum Begriff Caritas fällt vielen von uns das Sammeln von Spenden ein. Können Sie da einen Einblick geben, wohin dieses Geld fließt?

Für den Kernbereich ,Menschen in Not in Oberösterreich’ werden die Mittel aus der Caritas Haussammlung eingesetzt. Sie läuft von Anfang April bis Ende Mai in fast allen Pfarren. Die Sammlung bringt rund 1,6 Millionen Euro. Wir betreiben damit Sozialberatungsstellen, wo im letzten Jahr 12.000 Menschen beraten wurden. Ihnen wird geholfen, wieder den Lebensalltag zu meisten und Perspektiven zu bekommen. Da geben wir kurzfristige Überbrückungshilfen mit Lebensmittelgutscheinen oder zahlen in Einzelfällen Mieten, damit die Delogierung verhindert wird.

Was passiert mit Geld noch? In diesen Bereich fallen auch unsere Einrichtungen für Obdachlose, wie unsere Wärmestube. Oder das Helpmobil. Das ist eine fahrende Ambulanz für Menschen, die auf der Straße leben, die dort niederschwellige medizinische Hilfe bekommen. Trotz des dichten sozialen Netzes gibt es Menschen, die durch verschiedenste Umstände am untersten Rand der Gesellschaft leben.

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