"Öffnung Herausforderung der Zeit"

Ingrid Bachler: „Ich habe mich nie gefürchtet“
Die neue evangelische Oberkirchenrätin hat keine Probleme mit einer muslimischen Mehrheit.

Ingrid Bachler (53) wird heute in der evangelischen Kirche in Wels als neue Oberkirchenrätin in ihr Amt eingeführt.

KURIER: Was darf man sich unter Oberkirchenrätin vorstellen?Ingrid Bachler: Der Oberkirchenrat gehört dem Leitungsgremium der evangelischen Kirche an, das aus geistlichen und weltlichen Ämtern besteht. Die geistlichen Ämter sind der Bischof und zwei geistliche Oberkirchenräte, die weltlichen sind der juristische und der wirtschaftliche Oberkirchenrat. Es gibt auch eine Oberkirchenrätin für Kirchenentwicklung. Alle zusammen bilden die Kirchenleitung.

Die Frauen sind in der evangelischen Kirche gleichberechtigt. Sind sie das tatsächlich?

Ja, das sind sie tatsächlich. Gleiche Rechte, gleiche Bezahlung. In den Pfarren arbeiten sehr viele Frauen mit. Alle Ämter werden bei uns gewählt.

Sind Frauen für die pastoralen Dienste besser qualifiziert als Männer? Ich frage dies deshalb, weil mir eine Bürgermeisterin kürzlich erklärt hat, dass Frauen einen anderen Zugang zu ihrem Amt hätten.

Frauen sind gleich qualifiziert wie die Männer, weil sie dieselbe Ausbildung durchlaufen. Ein anderer Zugang heißt noch nicht besser. Das andere sind Begabungen. Und Begabungen sind gleichermaßen verteilt. Es gibt Männer und Frauen, die in der Seelsorge hervorragend sind. Wichtig ist, dass sie die Begabungen mitbringen. Jede/r sollte begabungsadäquat eingesetzt sein.

Sie sind in der evangelischen Kirche österreichweit verantwortlich für Bildung und Personal.

Ich stehe in Kontakt mit der evangelischen Fakultät der Universität. Die Studenten sollen sich bereits während des Studiums bei mir melden, damit sie in die Theologenliste aufgenommen werden. Am Ende des Studiums kommen sie zu mir zu einem Einstellungsgespräch. Ich schaue, dass ich bereits bei den Abschlussprüfungen dabei sein und mir ein Bild machen kann. Das Einstellungsgespräch führe ich nicht alleine, sondern mit zwei anderen im Team.

Die Studenten bewerben sich dann bei Ihnen um Jobs, zum Beispiel um eine Pfarrerstelle?

Zuerst einmal um eine Ausbildungsstelle, um ein Vikariat. Das entspricht einem katholischen Kaplan. Das dauert drei Jahre. Die ersten zwei Jahre in einer Pfarrgemeinde, das dritte Jahr ist er/sie selbstständig in einer Pfarrgemeinde. Die Ausbildung endet mit der sogenannten Pfarramtsprüfung.

Für wie viele Menschen sind sie zuständig?

Das sind 270 geistliche Amtsträger. Ein Teil davon ist in Teilzeit. 76 sind Frauen, die Tendenz ist steigend.

Derzeit tagt in der katholischen Kirche in Rom die Bischofssynode, bei der es unter anderem um Scheidung und Wiederverheiratung geht. Was denken Sie sich, wenn Sie das beobachten?

Ich freue mich, dass diese Familiensynode stattfindet, weil es an der Zeit ist, dass sich auch die römisch-katholische Kirche hier Gedanken macht. Ich bin da sehr zuversichtlich. In unserer Kirche sind Pfarrerinnen und Pfarrer etwas ganz Normales. Sie haben ihre Lebensentwicklungen, ihre Höhen und Tiefen so wie alle Menschen.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass die römisch-katholische Kirche ein hoffnungslos veralteter Verein ist?

Das denke ich mir nicht, denn ich bin evangelisch und maße mir keine Beurteilung an. Ich kenne sehr viele, fortschrittlich denkende katholische Menschen und freue mich über unsere große Schwesterkirche, dass sie sich hier Gedanken macht.

Ein großer Flüchtlingsstrom hat sich vom Nahen Osten nach Europa auf den Weg gemacht. Wie sehen Sie ihn?

Für uns als evangelische Kirche ist Asyl ein Menschenrecht. Wir versuchen so gut wie möglich zu helfen und wir sind mit der Diakonie auch sehr professionell dabei. 30 bis 40 Prozent der in Österreich Asylsuchenden sind in kirchlicher Betreuung.

Gibt es für Sie Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen?

Für mich steckt hier das Thema Angst dahinter. Die Sorge der Menschen muss man ernst nehmen. Dennoch glaube ich, dass wir in Verhältnissen leben, in denen wir Menschen in Not noch mehr bieten und leisten können. Es ist unsere Aufgabe als Christen hier zu helfen. Es kommen viele Flüchtlinge mit Kindern. Ich würde mir wünschen, dass sie eine gute Perspektive haben.

Es gibt Menschen, die fürchten, dass die autochthonen Österreicher zu einer Minderheit im eigenen Land werden und dass die Muslime die Mehrheit stellen. Das lehnen sie ab.

Das ist eine Sorge, die ich ernst nehme und es ist gut, dass sie ausgesprochen wird. Sie soll diskutiert werden, denn die Menschen sollen sich ernst genommen fühlen. Hier kommen aber nicht Religionsgemeinschaften, sondern es kommen Menschen. Junge Menschen, die sich entwickeln, Menschen, die viel durchgemacht haben. Sie haben das Potenzial, sich hier gut zu entwickeln. Menschen, die durch die Flucht ihr Leben riskieren, wollen hier etwas aufbauen und etwas gut weiterbringen.

Wir Evangelische waren auch immer eine Minderheit. Mich ängstigt so etwas nicht. Wichtig ist, dass wir im Gespräch sind und bleiben und dass wir menschlich miteinander umgehen.

Sie wohnen in Wels, wo mit Andreas Rabl ein FPÖ-Mann zum Bürgermeister gewählt worden ist. Rabl nennt als wesentliche Wahlmotive Integrations- und Sicherheitsprobleme. Sehen Sie diese Probleme auch?

Ich habe in Wels in dieser Hinsicht nie eine unangenehme oder schwierige Situation erlebt. Ich habe mich nie gefürchtet. Das Bürgermeisteramt ist ein sehr spannendes und schönes Amt. Da würde ich nicht die Partei im Vordergrund sehen. Er kann nicht nur parteipolitisch agieren, weil er von der Mehrheit der Bürger gewählt worden ist, sondern er muss auf die Stadt schauen.

Integration kann nie abgeschlossen sein. Hier sind Sprache und Bildung im Vordergrund. Sie sind auch für die Einheimischen wichtig.

In muslimischen Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, wird die Frau als nicht gleichberechtigt behandelt.

Unsere Gesetze stehen über allem. Migranten müssen sich an sie halten und damit klarkommen.

Das heißt, dass hier eine Entwicklung stattfinden muss.

Natürlich. Diese Entwicklung lässt sich gar nicht verhindern. Es ist integrationsfördernd, wenn die Menschen zusammenkommen, einander treffen und kennenlernen. Ich habe das Fest der Kulturen in Wels als etwas sehr Positives erlebt.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft?

Herausforderungen sucht man sich meist nicht selbst aus, sondern man wird damit konfrontiert. Wie jetzt mit dem Thema Flüchtlinge, das nicht so schnell zu Ende sein wird. Wir sind hier in eine Situation gestellt, in der wir selbst auch viel lernen müssen.

Das eine ist die Willkommenskultur, die in Österreich gelebt wird. Hier möchte ich allen danken, die sich ehrenamtlich engagieren, oft bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Dadurch findet schon eine Lernerfahrung statt. Sobald die Menschen den Flüchtlingen begegnen, sind die Ängste weg.

Die Öffnung ist eine der große Herausforderungen unserer Zeit. Sich nicht zu fürchten, sich nicht einzuschließen, sondern sich zu öffnen. Das gilt auch im weiteren Sinn auch für die Kirchen. Öffnung tut auch unseren Glaubensgemeinschaften gut.

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