„Müssen mit den Handys viel restriktiver umgehen“

Paul Kimberger
Handyverbot im Unterricht, nein zu den PISA-Tests. Der oberste Lehrer- Gewerkschafter Paul Kimberger plädiert für ein humanistisches Menschenbild.

Paul Kimberger ist Landesobmann der 14.000 Mitglieder starken Christlichen Lehrergewerkschaft (CLV). Der 53-Jährige ist auch oberster Pflichtschullehrervertreter Österreichs.

KURIER: Sie haben mit Ihrer Forderung nach handyfreie Zonen in der Schule Aufsehen erregt. Was heißt das konkret?

Paul Kimberger: Wir machen die Erfahrung, dass Handys zu immer größeren Störfaktoren und Konzentrationskillern werden. Die Wissenschaft belegt es mit Studien, was das für ein Problem sein kann. Wir leben in einer Zeit, in der diese digitalen Werkzeuge nicht mehr wegzudenken. Ein komplettes Verbot lehne ich ab, wir müssen den Kindern den richtigen Umgang damit lernen. Man kann es zum Beispiel im Unterricht einsetzen, wenn eine Präsentation vorbereitet wird, wenn recherchiert werden muss. Aber wir müssen ihnen auch lernen, wenn es Zeit ist es wegzulegen. Für mich ist Unterricht handyfreie Zone und handyfreie Zeit.

Wie kann das funktionieren?

Die Schule kann jetzt schon gemeinsam mit den Schülern und Eltern Regelungen im Rahmen der Hausordnung erlassen. Zum Beispiel, dass die Schüler, wenn sie in die Schule kommen, das Handy in den Spind einzusperren haben. Sie holen es dann, wenn sie es im Unterricht benötigen.

Ich finde es skurril, wenn ich durch die Schulen gehen und die Schüler in den Pausen auf ihr Handy starren. Ich glaube, dass wir den Kindern wieder einen ordentlichen Umgang miteinander lernen muss, ein ordentliches Benehmen, soziale Fertigkeiten, Spielen, Gespräch. die Geräte bergen großen Gefahrenpotenziale, je kleiner die Kinder sind. Ich empfehle in der Volksschule einen restriktiven Umgang mit diesen Geräten.

Das Handy hat in der Volksschule nichts verloren?

Genau.

In der Hauptschule soll es im Spind bleiben.

Ich appelliere an die Eltern, denn sie sind maßgeblich. Es kommt nicht selten vor, dass eine Mutter oder ein Vater das Kinder in der Volksschule während des Unterrichts anruft, und fragt, wie es ihm geht und ob eh alles passt. Das sind Skurrilitäten. Aufgrund meiner Aussagen habe ich etliche Rückmeldungen aus Kindergärten bekommen, dass sie ähnliche Phänomene beobachten. Es gibt offenbar keine Altersgrenze nach unten.

Ich weiß, dass in manchen Elternhäusern zu wenig mit den Kindern kommuniziert wird, dass man sich zu wenig mit ihnen beschäftigt, dass man zu wenig mit ihnen spielt, dass man sie zu wenig zu einem gesunden Leben anleitet, zu mehr Bewegung und Sport, sondern sie still mit dem Computer und dem Smartphone beschäftigt, damit sie Ruhe geben. Bildungswissenschaftlich ist das tragisch, weil wir sehr bald sehen, wie groß die Bildungsunterschiede zu Elternhäuser sind, wo Kindern vorgelesen wird und wo man sich mit ihnen beschäftigt. Das ist später nicht mehr aufzuholen.

Die deutsche Medienpädagogin Iren Schulz meint, ein Handy-Verbot ziele am Leben vorbei.

Ich bin auch gegen ein generelles Handy-Verbot. Trotzdem meine ich, dass wir mit diesen Dingen viel restriktiver umgehen sollten als die Kinder und Jugendlichen das tun. Wenn ich mit Informatik-Lehrern spreche, ich bin selbst einer, dann machen meine Kollegen darauf aufmerksam, dass das Können der Kinder in einem sehr geringen Bereich angesiedelt ist. Sie sind nur Konsumenten und bewegen sich in den sozialen Netzwerken mit allen Problemen, die dann in die Schule hereinspielen. Gewaltphänomene, Mobbing etc. machen uns immer größere Probleme. Von einem wirklichen Können und Beherrschen der Digitalisierung sind wir noch weit weg.

In einem Interview zu Ihrer Wahl als CLV-Obmann haben Sie gemeint, „ich glaube nicht, dass wir in der Volksschule kleine Programmierer ausbilden sollten“. Ist das nicht ein Widerspruch zur Ihrer ursprünglichen Profession als Informatik-Lehrer?

Überhaupt nicht. Ich staune immer über Aussagen, dass wir aus den Kindern kleine Programmierer machen sollten. Würden wir das machen, würden wir lauter Arbeitslose produzieren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis man über die Sprache und eine Schnittstelle programmieren wird.

Die Zukunft ist unbekannt. Wir müssen die Kinder mit den Basics wie Lesen, Schreiben und Rechnen gut ausstatten. Wir müssen ihnen das Denken, und das kritische Hinterfragen wieder lernen. Und wir müssen sie mit sozialen Fertigkeiten wie gutes Benehmen ausstatten. Auch die sogenannten Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Leistungswille, gegenseitige Hilfe sollten in einer lebenswerten, toleranten, auf gegenseitiges Wertschätzung und Unterstützung beruhenden Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Mir geht es nicht nur darum, was in der Schule messbar ist, sondern auch um Moral, Ethik, Werte, Religion, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Ludger Wößmann, Bildungsökonom am Ifo- Institut in München, hat in internationalen Vergleichsstudien gezeigt, das ein sehr enger Zusammenhang zwischen mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen und dem Wohlstand eines Landes besteht. Das widerspricht doch Ihrer Aussage.

Ich würde das breiter sehen. Bildung ist die Basis und der Schlüssel, dass wir auch in Zukunft in einem weltoffenen und toleranten Land wie Österreich leben können. Wäre die Schule so schlecht wie manche das behaupten, so frage ich mich, wie Österreich es geschafft hat, in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der wohlhabendsten, sichersten und sozialsten Länder der Erde zu werden. Das ist nicht das Verdienst einiger weniger Wirtschaftskapitäne, sondern von Menschen, die alle durch unsere Schulen gegangen sind.

Humanistischer Bildungsansatz

Es geht nicht nur um naturwissenschaftliche Fächer, die zweifellos wichtig sind, sondern um einen humanistischen Bildungsansatz. Bei allen Benchmarks tut es mir leid, dass Fächer wie Musik, Kunst und Werken in den vergangenen Jahren zurückgedrängt worden sind. Es gibt auch Studien, die einen klaren Zusammenhang von Mathematik mit Musik und Sport belegen.

PISA-Tests sind absurd

Man sollte den ganzheitlichen Bildungsansatz, die Menschenbildung, in den Mittelpunkt stellen. Ich glaube auch, dass die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 36 Mitgliedsländer, Anm.) einen völlig falschen Ansatz wählt. Sie ist eine Wirtschaftsorganisation, sie hat den Arbeitsmarkt im Auge, aber das Leben besteht nicht nur aus dem Arbeitsmarkt, sondern es ist breiter und vielfältiger. Die PISA-Tests (Schulleistungsuntersuchungen, Anm.) haben unsere Schulen nicht besser gemacht. Wir könnten locker auf einige Instrumente, die uns die OECD hinaufdrückt, verzichten. Die PISA-Studien stellen sich inzwischen als absurd heraus. Wenn ich an die ersten zurückdenke, war Finnland absolute Nummer eins. Alle sind in den Norden Europas gepilgert, um zu sehen, was die dort machen. Es ist ja auch absurd, dass die OECD sagt, wir brauchen in Hongkong, Singepore, Mexiko etc. denselben Schultyp und dieselben Programme. Ich halte das für falsch. Jetzt hat sich das Ganze relativiert, wir sind in der Realität angekommen. Nun haben wir Siegerländer wie Korea, China und Singepore. Leistung wird durch Drill, Angst und Druck erzeugt, was den Kindern kein kindgerechtes Aufwachsen ermöglicht. Das sind keine Beispiele für Österreich, die wir uns abschauen sollten. Da kann ich gern verzichten.

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