„Müssen die Lebensräume für die Wildtiere sichern“

Landesjägermeister Herbert Sieghartsleitner
Landesjägermeister Herbert Sieghartsleitner fordert Schutzräume für die Wildtiere. Das Freizeit- verhalten der Menschen gefährdet ihre Rückzugsräume. Der Klimawandel setzt ihnen ebenfalls zu.

Die 20.000 oberösterreichischen Jäger haben jetzt Hochsaison. Herbert Sieghartsleitner ist Landesjägermeister und Bauer in Molln. Gemeinsam mit seiner Frau bewirtschaftet er extensiv 40 Hektar Grünland und 25 ha Wald. Er kauft rund 100 Kalbinnen im Alter von einem halben Jahr zu und füttert sie „rein mit hofeigenem Grünfutter und Heu“ bis zum Alter von 22 bis 24 Monaten. Mit 17 Jahren hat er die Jagdprüfung absolviert. „Es war bei uns immer ein Familienereignis, ob der Vater einen Hirsch oder ein Reh geschossen hat“, erzählt er.

KURIER: Wie viele Tiere haben Sie schon erlegt?

Herbert Sieghartsleitner: Es sind über 1.000 Stück Schalenwild (Rehe, Hirsche, Gämsen, Anm.). Ich habe jeden Abschuss aufgezeichnet. Ich betreue auch Jagden für andere. Seit 25 Jahren bin ich Jagdleiter der Genossenschaft Molln mit 3.600 Hektar. Ich habe beim Gaisberg eine Jagd von den Bundesforsten gepachtet. Und ich betreue seit 16 Jahren in Hinterstoder eine schöne große Bergwildjagd mit mehr als 1.000 Hektar. Das ist eine Hochgebirgsjagd (Gämsen, Hirsche etc.), das ist meine Leidenschaft. Ich bin nicht so der Niederwildjäger (Hase, Fasan etc.). Das Schöne an Oberösterreich ist, dass so verschiedene Jagden auf engem Raum beieinander sind. Ich betreibe die Jagd teilprofessionell.

„Müssen die Lebensräume für die Wildtiere sichern“

Gemsen im Nationalpark Kalkalpen

Sie sind mit der Jagd schon als Kind groß geworden. Es gibt aber andere Erfahrungswelten, zum Beispiel Kinder in städtischen Gebieten, die vegan aufwachsen und das Töten von Tieren kategorisch ablehnen.

Ich habe mich immer mit dieser kritischen Seite der Jagd beschäftigt. Ich verurteile das nicht, sondern versuche diese Menschen zu verstehen. Ich erwarte mir aber, dass diese Menschen genauso reflektiert unser Tun betrachten, wie ich es bei ihnen mache. Wenn sie so aufgewachsen sind und der Zugang ein einseitiger ist, dann kann ich nachvollziehen, dass sich Menschen dem völlig abwenden. Jagd ist für mich ein Menschenrecht.

Was heißt das?

Ich habe einen Trieb in mir, der sich nach Beute sehnt. Dieser Trieb sitzt in unseren Genen. Das ist etwas Archaisches in uns. Jetzt kann man natürlich argumentieren, der Mensch hat sich weiterentwickelt und er darf sich auch von der Jagd entfernen. Dieser Trieb ist aber in uns da und wird unterschiedlich gelebt. Wir Jäger leben noch eine sehr ursprüngliche Form. Es ist eine besondere Form der Nutzung von Tieren, die mit einer speziellen Leidenschaft verbunden ist, die sich im Beutemachen erfüllt.

Der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss (1884–1963) hat die Jagd als Form von Geisteskrankheit bezeichnet. Ich würde umgekehrt Menschen wie Heuss nie als geisteskrank bezeichnen, denn ich bin der Natur viel näher. Die Jagd hat die Menschen immer begleitet und war Teil der menschlichen Evolution.

Ich habe Freunde, die vegan leben. Aber man muss klar sagen, dass auch dafür getötet wird. Wenn man den Garten umsticht, hat man möglicherweise drei Regenwürmer und Mikroorganismen getötet.

„Müssen die Lebensräume für die Wildtiere sichern“

Gemse im Nationalpark Gesäuse

Oft hört man aber von den Jägern die Argumentation, dass es ihnen nicht um das Töten von Tieren geht, sondern um die Pflege der Wälder, der Natur und der Tiere.

Die Jagd ist sehr vielschichtig. Dieser Pluralismus ist für mich als Landesjägermeister fast ein heiliges Gut. Ich will das weder reglementieren noch werten. Jeder der 20.000 Jäger in Oberösterreich hat einen individuellen Zugang.

Worin unterscheidet sich der Jäger vom Fotografen? Dieser muss sich auch anpirschen und die Lebensweisen der Tiere achten, er muss den Wind kennen, er muss wissen, welche Jahres- und Tageszeit ist. Der Unterschied ist, dass im Jäger das Streben nach Beute da ist. Ich jage aus der Freude an Beute, aus dem Beutetrieb heraus. Die Dienstleistung, die ich dabei erbringe, nämlich Wildbestände zu regulieren, gehört dazu, aber das Entscheidende spielt sich in mir persönlich ab. Es ist meine Entscheidung, ob ich Beute mache oder nicht.

Was empfinden Sie, wenn Sie ein Tier schießen? Was geht in Ihnen vor?

Eine besondere Anspannung, die man mit anderen Lebenssituationen kaum vergleichen kann, denn ich entscheide über Leben und Tod. Respekt vor dem Tier. Ich lehne beziehungsloses Töten ab. Erst wenn ich reflektiert habe, ob es das Tier töten darf, darf ich es tun. Ich muss dann in rascher Konzentration einen Tötungsakt herbeiführen, es muss ein rascher Tod sein. Im Akt des Tötens ist in mir eine Berührtheit da, ein inneres Bewegtsein. Nachdem es passiert ist, fällt die enorme Anspannung ab. Dann kommt es zu einer enormen Ruhe, Stille, Achtsamkeit. Im Herantreten an das Tier ist eine besondere Beziehung zu ihm da. Bei jedem Stück, das ich erlege, halte ich eine gewisse Totenwache. Wenn dieser besondere Moment nicht mehr da wäre, würde ich das Jagen aufhören.

Sie werden auch eine gewisse Befriedigung verspüren, weil Sie erfolgreich waren.

Ja, mein Jagdtrieb erlebt eine gewisse Genugtuung. Es ist ein ganz starkes menschliches Ereignis. Das Gefühl ist ähnlich wie beim Sexualtrieb. Warum macht das der Mensch immer wieder, wenn er es schon hundert oder tausend Mal gemacht hat? Weil der Trieb befriedigt werden will. Ich muss aber ganz klar sagen, dass 98 Prozent bei mir im Beobachten und Selektieren besteht. Der Beutetrieb beginnt erst dort, wenn ich mich entschieden habe, das Tier zu töten.

Wir werden uns bei der Jagd von all dem verabschieden müssen, was wir einem Nichtjäger nicht sinnstiftend erklären können. Wir wissen heute, dass Wildtiere Wesen mit Empfindungen sind. Deshalb leitet sich auch ein anderer ethischer Zugang ab. Wir haben auch im Landesjagdverband eine Ethikgruppe eingerichtet.

Sie beklagen den Verlust der Artenvielfalt.

Ich beschäftige mich nicht nur mit den jagdbaren Tierarten. Der Einfluss des Menschen muss bestandserhaltend sein. Die Gams wird durch den enormen Druck auf die Lebensräume des Wildes immer mehr verdrängt.

Durch den Tourismus?

In Hinterstoder, wo ich der Jagd nachgehe, gibt es 50 registrierte Raumnutzer. Jeder beansprucht die Natur. Ich bin Verfechter einer wildökologischen Raumplanung. Man muss die Nutzungsformen der Menschen an die Lebensart der Wildtiere anpassen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Lebensräume für Wildtierarten erhalten. Wir werden mittelfristig wieder Wildtierarten verlieren. Im Ostalpenraum ist die Gams extrem in Bedrängnis. Zum einen durch das Klima, die Erwärmung, zum anderen durch die Menschen. Weil der Mensch entschieden hat, dass er die Lebensräume der Gams selber nutzt. Durch Paragleiter, Skitourengeher, etc.

Das gehört geordnet. Ich vergleiche das mit der Straßenverkehrsordnung. Vor 100 Jahren hätte man wegen der wenigen

Autos in Linz ohne Straßenverkehrsordnung gut auskommen können. Vor 50 Jahren hat es sechs, sieben Raumnutzer im selben Lebensraum gegeben – heute sind es 50. Die Natur ist dieselbe geblieben, die Wildtiere sind

da, haben aber keine Stimme. Wohin sollen die Tiere ausweichen, wenn selbst das letzte Fleckerl vom Menschen genutzt wird?

Gibt es neben der Gams weitere gefährdete Tierarten?

Die Raufußhühner wie der Birkhahn und der Auerhahn. Sie sind auch sehr sensible Kulturflüchter. Sie benötigen Ruhezonen.

Auch das Rotwild. Sie sind große Pflanzenfresser. Was sagt der Mensch? Es macht forstwirtschaftlichen Schaden an unseren Kulturen. Das verstehe ich, denn ich habe auch einen Wald und ich will auch nicht, dass die Hirsche meine Bäume schälen. Deshalb wird es immer stärker zurückgedrängt. Wo hören wir auf?

Die Klimaerwärmung führt zu einem massiven Fichtensterben. Eine stärkere Baumvielfalt soll den Wald klimafit machen. So soll beispielsweise der Anteil der Tanne von drei auf sechs Prozent verdoppelt werden. Auch der Eichenanteil soll erhöht werden. Das Problem besteht nun darin, dass das Wild die Jungtannen und Jungeichen gerne verbeißt und die gewünschten Jungbäume nicht hochkommen. Experten fordern eine Reduzierung der Tiere, um dem Wald zu helfen.

Das mag dort regional zutreffend sein, wo Wiederbewaldungsmaßnahmen stattfinden. Dort wird eine Reduktion des Schalenwildes notwendig sein. Ich habe damit kein Problem. Wir haben Projekte gestartet, die sich klimafitter Wald nennen. Für mich ist nur wichtig, dass es zu keinen Schuldzuweisungen kommt. Es ist auch ein Wagnis. Wir wissen immer noch nicht, ob die Tannen trockenresistenter sind. Wir nehmen es an. Die Wiederbewaldung muss gelingen. Wir bekennen uns zum Forst-Jagd-Dialog.

Es ist nicht nur die Jagd gefordert. Wenn der Wald uneingeschränkt und unkontrolliert Tag und Nacht genutzt werden darf, dann entstehen ganz andere Probleme.

Was verstehen Sie unter Nutzer? Mountainbiker? Skitourengeher?

Es braucht hier ein Regelwerk. Das Forstgesetz aus dem Jahr 1975 ermöglicht die freie Begehbarkeit des Waldes. Es braucht aber eine Regulierung, denn damals gab es keine Mountainbiker und keine E-Bikes.

Eine weitere Maßnahme zur Wildregulierung ist die Fütterung. Man kann Tiere durch entsprechende Futterstellen von bestimmten Flächen wegbringen.

Es gibt auch Forstleute, die meinen, der Wald ist ein reiner Nutzungsstandort. Er ist für sie nur dazu da, um ihre ökonomischen Vorstellungen zu erfüllen. Mit exotischen Baumarten, die große Wertschöpfungen abwerfen. Und ohne Wild, weil es als Schädling gesehen wird. Damit habe ich keine Freude.

Mein Slogan lautet Wald mit Wild.

Macht sich der Klimawandel bei den Tieren bemerkbar?

Die Gams ist von parasitären Belastungen betroffen, die es vor zehn Jahren nicht gegeben hat. Es gibt Eingeweidewürmer, die sie nicht kennt. Sie sind früher in der Kälte abgestorben, jetzt finden sie beste Bedingungen vor. Ein, zwei Grad höhere Temperaturen verändern sehr viel. Es gibt eine hohe Kitzsterblichkeit. Die Kitze halten dieser Belastung nicht stand. Die Gämsen haben an Körpergewicht verloren, weil es mehr Störungen gibt, die Stress verursachen. Stress bedeutet Verlust an Kondition, eine höhere Anfälligkeit für Parasiten. Es sind auch andere Tierarten wie die Schneehasen betroffen.

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