Mensch kann 200 Jahre alt werden

Mensch kann 200 Jahre alt werden
Markus Hengstschläger: Wurde der Mensch im Alten Rom im Schnitt 22 Jahre alt, so wird heute jeder zweite Geborene 100.

Universitätsprofessor Markus Hengstschläger ist Leiter des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der 43-jährige Oberösterreicher ist auch Moderator der Medizin- und Wissenschaftssendung "Radiodoktor" auf Ö1 und Mitglied des Rats für Forschung und Technologie. Weiters leitet er den oberösterreichischen Thinktank "academia superior".

KURIER: Jedes zweite Kind, das heute geboren wird, wird 100 Jahre alt, prognostizieren Sie.
Markus Hengstschläger: Im Alten Rom ist ein Hund vielleicht 14 Jahre alt geworden, der Löwe zehn Jahre, die Eintagsfliege zwei Tage, der Römer wurde 22 Jahre alt. Heute wird der Hund wie früher 14 Jahre alt, der Löwe zehn Jahre, die Eintagsfliege zwei Tage. Aber jeder zweite Mensch, der heute geboren wird, wird 100 Jahre alt.

Wie ist das möglich?
Der wesentliche Grund dafür ist die Medizin. Sie war und ist ausschlaggebend. Im Alten Rom war zum Beispiel ein eitriger Zahn ein Todesurteil. Die Medizin, ob Hygiene oder Antibiotika oder die unzähligen anderen Fortschritte, lässt die Menschen durchschnittlich älter werden. Die Kindersterblichkeit ist zum Beispiel massiv gesunken. Der Mensch ist in dieser Frage das Produkt von Genetik und Umwelt. Das Lebensalter hängt natürlich auch davon ab, wie wir leben, wie wir uns ernähren und von der Inanspruchnahme von Prophylaxe und Therapie.

Wie alt kann der Mensch werden?
Er hat keine unüberbrückbare Lebensspanne. Theoretisch kann er vielleicht sogar 200 Jahre alt werden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, dass es eine unüberschreitbare Grenze gibt. Wichtig ist dabei: Wir wollen nicht dem Leben Jahre geben, sondern den Jahren Leben. Wir wollen fit und gesund sein und lange vital bleiben.
Wenn Sie heute einen 30-Jährigen anschauen und ihn vergleichen mit einem 30-Jährigen vor 300 Jahren, dann war der damals biologisch sicher 20 Jahre älter als der heutige. Uns interessiert das biologische Alter. Heute 80-Jährige sind so fit wie 60-Jährige vor 100 Jahren.

Warum sind die Menschen heute fitter als früher?
Es gibt drei wesentliche Faktoren, die der Mensch selbst dazu beitragen kann: Ernährung, Bewegung und das Nicht-Rauchen. Dazu kommen noch medizinische Prophylaxe und Therapie.

Was sind die wesentlichen Faktoren gesunder Ernährung? Mäßiger Alkoholkonsum, hin und wieder ein Glas Rotwein, das Gewicht halten, Übergewicht vermeiden, auf die Zucker- und Cholesterinwerte achten. Vitamine sind wichtig, denn sie binden die freien Radikale, es bedarf aber bei uns keiner zusätzlichen Vitamin-Tabletten.
Bewegung ist ein wesentlicher Faktor für die Knochen, Knorpel, Lunge, Herz, Muskel etc. Man soll es aber auch nicht übertreiben. Wer lange Zeit keine Bewegung gemacht hat, soll dies nur unter ärztlicher Begleitung starten. Und Rauchen macht den Organismus alt! Je früher Raucher aufhören, desto besser für sie.

Sind die Nichtraucher in Österreich nicht zu wenig geschützt?
Ich bin ein Anhänger der Freiheit des Individuums. Aber die Mitmenschen dürfen nicht geschädigt werden. Es ist inakzeptabel, dass jemand dem Rauchen nicht entweichen kann. Der Nicht-Raucher muss alles in seinem Leben tun können, ohne vom Rauch geschädigt zu werden.

Wie wichtig ist die Vorsorge, die Prophylaxe?
Die Vorsorgemedizin ist äußerst wichtig, sie wird es immer mehr. Dazu gehören Impfungen, Mammografien, die Überprüfung des Cholesterinspiegels und des Blutdrucks und vieles mehr.

Es gibt aber auch viel Kritik an den Impfungen, an den vielen Röntgenbildern.
Was die Wissenschaft aktuell empfiehlt, sollte man machen. Wenn es Kritik gibt, müssen Experten sie überprüfen und evaluieren. Die Vorsorge gibt dem Einzelnen eine Chance. Es ist dann seine freie Entscheidung, ob er den Empfehlungen folgt oder nicht.
Natürlich ändert sich der Stand der Wissenschaft manchmal. Galt zum Beispiel früher Asbest als guter Baustoff, haben Untersuchungen ergeben, dass er Krebs auslösen kann. Dann muss man den Asbest aus allen Häusern entfernen, was ja geschehen ist.
Die Erhöhung des durchschnittlichen Lebensalters von 22 im alten Rom auf über 70 Jahre heute konnte nur erreicht werden, in dem man die Fortschritte und die therapeutischen Optionen annimmt. Das Setzen eines Stents kann zum Beispiel älteren Menschen viele Lebensjahre schenken.
Hier ist aber eines festzustellen. Es gibt eine Kluft zwischen dem Wissen und dem tatsächlichen Verhalten. Es ist wichtig, dass man vom Wissen zum Handeln kommt. Man muss das einfordern, denn sonst hilft die wissenschaftliche Erkenntnis nicht. So kann beispielsweise die Grippeimpfung das Leben älterer Menschen retten. Aber wie viele lassen sich tatsächlich impfen? Ich bin beispielsweise gegen Zecken geimpft, weil ich ein Jogger bin und auch viel im Wald laufe. Aber viele meinen, sie würden nicht von Zecken befallen und lassen sich einfach nicht impfen.

Der Eigenverantwortung des Einzelnen kommt eine entscheidende Rolle zu?
Der Mensch wird aus seiner Eigenverantwortung für seine Gesundheit nie herausgenommen. Dadurch, dass wir älter werden, werden sich allerdings auch die Krankheiten ändern. So nehmen beispielsweise Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zu. Heute ist statistisch etwa jeder Dritte über 90 Jahren dement.
Der Fortschritt der Medizin wächst exponenziell, er ist nicht linear. Heute ist in der Medizin der Computer etwa überhaupt nicht mehr wegzudenken. Es wird die Stammzelltherapie kommen, ebenso die Gentherapie. Wir können uns heute überhaupt noch nicht vorstellen, was alles möglich sein wird. Kleinste Nano-Maschinen werden im Körper wandern und ständig die Werte der Organe überprüfen. In einem weiteren Schritt werden diese kleinen Maschinen auch die Medikamente ausschütten, falls es notwendig ist.

Sie leiten auch den Thinktank "academia superior".
Oberösterreich ist hoch innovativ und schaut nach vorne. Wir brauchen die besonderen individuellen Talente, sie werden die Probleme der Zukunft lösen. Wir müssen uns nämlich aufstellen für Probleme, die wir noch gar nicht kennen.

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