„Mehrarbeit lohnt sich für Frauen oft nicht“
Andrea Heimberger ist seit 2021 Direktorin der Arbeiterkammer. Die 49-Jährige startete ihre Karriere als ÖGB-Bezirksjugendsekretärin und Jugendzentrumsleiterin in Braunau.
KURIER: Wirtschaftskammerobfrau Doris Hummer fordert die Abschaffung der Kindergartengebühr für die Nachmittagsbetreuung. Damit kommt die AK ihrem Ziel näher, diese Gebühr zu beseitigen.
Andrea Heimberger: Wir haben einen echten Bedarf in der Kindergartenbetreuung. Es freut uns, dass die Sozialpartner ÖGB und Wirtschaft diesen Weg gemeinsam mit uns gehen. Wir hatten schon 2018 eine derartige Sozialpartnerinitiative zur flächendeckenden Betreuung. Vor allem für Frauen mit Vollzeitjobs. Wir haben bereits damals dem Land OÖ gesagt, dass das notwendig sein wird, denn die Frauen sollen arbeiten. Wenn man das will, muss es ein Betreuungsangebot geben. Oberösterreich ist hier bundesweit Schlusslicht.
Vor allem bei der Betreuung der unter Dreijährigen.
Ja.
Bei den über Dreijährigen ist die Situation besser.
Es braucht eine transparente Bedarfserhebung. Damit man weiß, was notwendig ist. Die Gemeinden führen zwar die Erhebungen durch, aber jede Gemeinde erhebt anders.
Als Realistin weiß ich, dass der Ausbau der Kinderbetreuung nicht von heute auf morgen möglich ist. Aber es ist nicht fünf vor zwölf, sondern wir sind schon in den Abendstunden. Es herrscht Handlungsbedarf.
Wenn Frauen die Kosten für das Mittagessen, für die Nachmittagsbetreuung und für die unter Dreijährigen bezahlen müssen, dann überlegen sie, was sie verdienen und welche Ausgaben sie haben. Sie rechnen, ob sich das ausgeht, ob sich Mehrarbeit rentiert.
Viele arbeiten Teilzeit, dann rechnet es sich nicht.
Viele Frauen arbeiten in Branchen, die schlecht bezahlt sind. Dann ist das Problem noch eklatanter. Können sie sich die Ausgaben für die Kinderbetreuung leisten? Was bleibt ihnen denn unter dem Strich?
Die Wirtschaft wünscht sich, dass Frauen ihre Teilzeitstunden erhöhen und nach Möglichkeit auf Vollzeit ausweiten. Der Bedarf ist da. Welcher Rahmenbedingungen bedarf es da?
Zum einen ist es die Kinderbetreuung. Neben der Kinderbetreuung ist die Pflege von Angehörigen primär Frauenarbeit. An diesen beiden Punkten muss man ansetzen, damit die Frauen Vollzeit arbeiten. Es gibt viele Frauen, die Vollzeit arbeiten wollen. Branchen wie der Handel oder die Gastronomie sind für Frau interessant, weil sie den Betreuungspflichten nachkommen kommen.
Welche Lösung gibt es, um die Frauen aus der Pflege rauszuholen?
Es gibt die 24-Stunden-Pflege und die Altenheime, aber das ist eine Kostenfrage. Wer kann sich eine 24-Stunden-Pflege leisten? Es ist auch eine gesellschaftliche Frage, wenn Frauen sagen, ich bleibe zu Hause, denn die Pflege der Angehörigen ist mir wichtig. Viele Frauen werden in dieses System auch hineingezwungen.
Häufig verdient der Mann mehr, was zur Folge hat, dass die Frau zu Hause bleibt.
Wo verdient die Frau mehr als der Mann? Das ist selten der Fall. Deshalb gehen die Frauen dann in Teilzeit. Unsere Politik tut auch einiges dafür, dass Frauen zu Hause bleiben. Sie schafft nicht die notwendigen Rahmenbedingungen. Deshalb haben die Frauen auch nicht die Möglichkeit, frei zu wählen.
Es gibt Wirtschaftsforscher, die behaupten, die Inflation werde auch getrieben von den hohen Kollektivvertragsabschlüssen. Es wird auf Deutschland verwiesen, wo ähnlich hohe Abschlüsse für zwei Jahre paktiert werde
Das sehe ich völlig anders, denn die Kollektivvertrags(KV)-Erhöhung berechnet sich aus der Inflationserhöhung des Vorjahres und der Produktivitätssteigerung. Deshalb werden die KV-Erhöhungen spannend, denn im vergangenen Jahr war die Inflation durchgängig sehr, sehr hoch. Österreich ist bei der Inflation europaweit an der Spitze.
Die Einmalzahlungen der Bundesregierung reichen nicht, es braucht Preisdeckel bei Strom und Gas, bei den Mieten und bei Lebensmitteln. Andere Länder haben das gemacht und haben daher niedrigere Inflationsraten. Es ist für mich ein Affront, die hohe Inflationsrate den Lohnabschlüssen anzuhängen. Das stimmt einfach nicht.
Die Wirtschaft klagt über einen Mangel an Arbeitskräften, der Ruf nach verstärkter Zuwanderung ist unüberhörbar. Warum bremsen hier die Arbeitnehmervertreter? Man muss an mehreren Schrauben drehen. Es gibt viele Branchen, in denen es viele Teilzeitarbeitskräfte gibt, die eigentlich Vollzeit arbeiten möchten. Aber die Rahmenbedingungen passen nicht.
Der erste Schritt ist für Sie, dass jene, die bereits hier am Arbeitsmarkt sind, auf Vollzeit erhöhen?
Es gibt leider keinen Rechtsanspruch darauf, dass man Vollzeit arbeiten kann. Zwar ist die Arbeitslosigkeit momentan nicht so hoch (3,5 Prozent in OÖ, Anm. d. Red.), aber warum bedient man sich nicht an diesem Potenzial? Zudem gibt es eine Reihe von Insolvenzen, durch die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze verlieren. Wie qualifiziert man diese Menschen für die Branchen, in denen sie benötigt werden? Hier sollten alle an einem Strang ziehen.
Wien sticht österreichweit stets mit einer hohen Arbeitslosigkeit (momentan rund 10 Prozent, Anm. d. Red.) heraus. Was sind die Gründe, dass diese Arbeitslosen nicht in jene westlichen Bundesländer wechseln, wo sie dringend gebraucht würden?
Ich bin gegen eine Auszahlungssperre für jene, die sich weigern, nach Tirol in den Tourismus zu wechseln. Die Menschen haben sich in ihrem jeweiligen Bundesland eine Existenz aufgebaut.
Wenn zum Beispiel ein Oberösterreicher nach Tirol oder Vorarlberg gehen muss, ist es natürlich ein Problem. Für das Pendeln geht viel Zeit auf. Der Job muss attraktiv sein, damit man das tut. Für eine Reinigungskraft wäre Pendeln eine Zumutung. Bei guten Jobs hingegen pendeln die Arbeitnehmer. Jobs sind meist in jenen Branchen gefragt, die schlecht bezahlt sind. Hier noch Zeit und Geld für das Pendeln auszugeben, rechnet sich einfach nicht.
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