Mehr als 700.000 Euro für Opfer

APA2024140-2 - 11032010 - KREMSMüNSTER - ÖSTERREICH: Eines Außenansicht des Stifts Kremsmünster (Bezirk Kirchdorf) in Oberösterreich, aufgenommen am 27. Juli 2009. (Archivbild) APA-FOTO: RUBRA
Das Stift plant mögliche Rückforderungen an den hauptbeschuldigten Ex-Pater.

Mehr als 700.000 Euro hat das Stift Kremsmünster nach Missbrauchsvorwürfen im März 2010 außergerichtlich bezahlt. Vor allem drei Geistliche sollen in den 1980er-Jahren Internatsschüler geschlagen und sexuell missbraucht haben. Die Ermittlungen gegen zwei Verdächtige wurden wegen Verjährung eingestellt. Dem mutmaßlichen Haupttäter, dem inzwischen aus dem Orden ausgeschiedenen Pater A., droht aber ein Verfahren. Er soll Schüler auch mit einer Pumpgun bedroht haben. Die Staatsanwaltschaft Steyr will „Mitte bis Ende nächster Woche“ über eine Anklage entscheiden. Der Akt wurde gestern der Oberstaatsanwaltschaft Linz übermittelt.

Dutzende Opfer

38 Opfer meldeten sich bei der Klasnic-Kommission, davon 29 wegen sexueller Übergriffe. Fünf weitere sollen bei der Staatsanwaltschaft aktenkundig geworden sein. Die meisten Fälle stammen aus den 1970er- bis 1990er-Jahren. Hinzu kommen vier ehemalige Schüler, die in den 1950er-Jahren missbraucht worden sein sollen.

„Die vergangenen drei Jahre waren harte Jahre“, betont Pater Bernhard Eckerstorfer, Sprecher des Stiftes. Es sei eine große Belastung, wenn einem früheren Mitglied des Konvents derart schwerwiegende Taten vorgeworfen werden. „Die Opfer haben zurecht Aggressionen gegen die Schule und das Stift.“ Nun gelte es vor allem zu klären, wie die Übergriffe so lange unentdeckt bleiben konnten. „Mit 1. März wird das Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle beginnen“, sagt Ambros Ebhart, der Abt des Stiftes.

Einige Opfer betrachten das Vorhaben mit Skepsis. „Bei diesem Institut will man sich nur einen wohlwollenden Bericht erkaufen“, sagt ein Opfersprecher. Dass die Ordensoberen von den Taten nichts gewusst haben, davon könne keine Rede sein: „Missbrauch hatte im Stift seit Jahrzehnten System.“

Entschädigung

Unterdessen gab das Land Oberösterreich gestern bekannt, dass 30 weiteren Opfern von Gewalt in Fürsorgeeinrichtungen des Landes Gestezahlungen in der Höhe von insgesamt 312.500 Euro genehmigt worden sind.

Seit fast drei Jahren sind die Missbrauchsvorwürfe gegen Ordensmänner des Stiftes Kremsmünster in Oberösterreich öffentlich bekannt. Ein mittlerweile ausgetretener Pater ist nach wie vor im Visier der Justiz. Eine Anklage dürfte bevorstehen. Der 79-Jährige wäre dann der erste höhere Geistliche, der sich im Zug der Missbrauchs-Affäre in der römisch-katholischen Kirche vor einem Richter verantworten muss. Verfahren gegen zwei weitere Patres wurden mittlerweile eingestellt. Im Folgenden eine Chronologie der Ereignisse:

1950er-Jahre - Es kommt zu Missbrauchsfällen, die erst im Laufe der aktuellen Affäre an den jetzigen Abt herangetragen werden. Die Vorwürfe richten sich gegen drei bereits verstorbene Patres.

1962 bis 1998 - Der verdächtige Pater ist Lehrer bzw. Erzieher im Stiftsgymnasium in Kremsmünster, von 1970 bis 1996 sogar Internatsleiter. Ex-Zöglinge sprechen später von einem "System Kremsmünster", in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe alltäglich gewesen seien. In den 1970er-Jahren wurde einmal ein Geistlicher nach Vorwürfen aus dem Internat abgezogen.

1995 - Der Pater droht einem ehemaligen Schüler mit Selbstmord, sollte dieser öffentlich Vorwürfe erheben. Er soll auch rund 300.000 Schilling (rund 21.802 Euro) "Schweigegeld" bezahlt haben.

2005 - Als erneut Vorwürfe auftauchen, wird ein weiterer Pater aus dem Schuldienst abgezogen.

26. März 2007 - In Zusammenhang mit anderen Ermittlungen werden bei der Polizei erstmals Missbrauchsvorwürfe gegen den Pater laut. Laut Abt habe er das im Kloster verheimlicht.

18. April 2008 - Das Ermittlungsverfahren wird wegen Verjährung eingestellt.

10. März 2010 - Nachdem er offenbar durch Medienrecherchen mit Missbrauchsvorwürfen gegen Mitglieder seines Ordens konfrontiert worden ist, enthebt Abt Ambros Ebhart drei Patres ihrer Ämter.

11. März 2010 - In einem Artikel in den "Oberösterreichischen Nachrichten" berichtet ein Ex-Zögling, die drei Geistlichen hätten in den 1980er-Jahren Schüler geschlagen und sexuell missbraucht. Der Abt gibt eine Pressekonferenz, in der er Aufarbeitung verspricht.

15. März 2010 - Einer der Patres übergibt der Staatsanwaltschaft Steyr eine schriftliche Sachverhaltsdarstellung. Zunächst wird gegen drei Beschuldigte ermittelt, zwei Verfahren werden später eingestellt. Vorwürfe gegen acht weitere Personen wegen körperlicher oder seelischer Gewalt werden als strafrechtlich nicht relevant oder verjährt eingestuft.

24. März 2010 - Abt Ambros Ebhart zeigt bei der Polizei an, dass der Hauptverdächtige eine nicht registrierte Pumpgun bei ihm abgegeben habe, die er seit 15 oder 20 Jahren besessen habe.

22. Juni 2010 - Die BH Kirchdorf verhängt ein Waffenverbot über den Pater.

5. Juli 2010 - Das Landesgericht Steyr verfügt die Beschlagnahmung der Pumpgun. Sie wird vom Waffenamt als mögliche "Tatwaffe" (Nötigung, Drohung) geführt.

2010 - Das kirchenrechtliche Verfahren gegen einen Beschuldigten (gegen den die Justiz das Verfahren eingestellt hat, Anm.) wird abgeschlossen. Er bekommt Auflagen und lebt seither sehr zurückgezogen im Kloster.

4. März 2011 - Knapp ein Jahr nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben sich 45 mögliche Opfer bei der Diözesanen Kommission gegen Missbrauch und Gewalt gemeldet.

20. Mai 2011 - Die Theatergruppe Sierninghofen-Neuzeug zeigt im Stift Felix Mitterers Missbrauchsdrama "Die Beichte".

15. März 2012 - Der Hauptverdächtige tritt aus dem Kloster aus.

6. Dezember 2012 - Ex-Zöglinge des Stiftsinternats bringen Zivilklage gegen das Stift ein. Sie werfen dem Abt vor, versprochene Zusagen - u.a. ein Eingeständnis der Mitwisserschaft - nicht eingehalten zu haben.

30. Jänner 2013 - Der Zivilprozess wird nach wenigen Minuten auf 11. März vertagt, weil Abt und Prior, die einvernommen werden sollen, nicht erschienen sind.

11. Februar 2013 - Das Stift zieht in einer Pressekonferenz erneut Bilanz: 700.000 Euro wurden an Opfer bezahlt. 38 Fälle wurden bei der Klasnic-Kommission, eine Handvoll weiterer nur bei der Staatsanwaltschaft gemeldet.

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