"Macht ist das leitende Motiv"

Christina Hengstschläger
Die Chefin des autonomen Frauenzentrums über die sexuelle Gewalt der Männer.

Christina Hengstschläger (32) ist Juristin und Geschäftsführerin des autonomen Frauenzentrums in Linz. Der gemeinnützige Verein bietet Hilfe bei Scheidung, Trennung und familiären Krisen. Es ist auch eine Schutzeinrichtung für Opfer von sexueller Gewalt.

KURIER: Was ist sexuelle Belästigung?

Christina Hengstschläger: Manmuss hier differenzieren zwischen dem, was eine sexuelle Belästigung ist und dem, wie sie geahndet wird. Im Strafrecht muss es eine Tat, eine Handlung an einem der Geschlechtssphäre zugehörigen Körperteil sein. Es muss in der Würde verletzen, das ist der sogenannte Po-Grapsch-Paragraf. Es ist ein Ermächtigungsdelikt, dass heisst, man muss aktiv zur Polizei gehen, damit ermittelt wird. Es reicht schon, wenn ein Mann einer Frau beim Fortgehen auf dem Po grapscht.

Weiters gibt es die sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht. Hier reichen schon verbale Übergriffe.

Es gibt hier Aussagen wie "Sagen Sie nichts, Sie behübschen nur den Raum".

Das ist eine sexuelle Belästigung Es gibt immer darum, was möchte ich beim anderen bewirken. Wenn zwei Kollegen, die schon Jahrzehnte miteinander arbeiten und scherzen, ist das etwas anderes als wie wenn ein Vorgesetzter über eine Kollegin etwas Abwertendes sagt. Das Arbeitsrecht ist hier deshalb viel strenger, weil es um Machtausübung geht. Denn ein Opfer kann sich hier wegen der Abhängigkeit viel schwerer wehren.

Ist es eine sexuelle Belästigung, wenn sich zwei Kollegen in machohafter Weise unterhalten?

Es kommt darauf, wie es der Kollegin damit geht. Geht es ihr schlecht damit und ist das bemerkbar, dann ist es eine sexuelle Belästigung. Dann muss man eingreifen und sagen, das ist zu unterlassen. Es kann auch der Kalender an der Wand eine sexuelle Belästigung sein.

Manche Männer haben Bilder von Pin-up-Girls in ihrem Spind aufgehängt.

Wenn in einem Betrieb solche Pin-up-Kalender hängen und es gibt weibliche Lehrlinge, die ständig damit konfrontiert sind, dass die die Männer über die großen Busen der abgebildeten Girls reden, dann wird es ihnen nicht gut damit gehen.

Ist das eine sexuelle Belästigung?

Ja,das sehe ich schon so.

Gibt es neben der körperlichen und der verbalen sexuellen Belästigung weitere Formen?

Ja, zum Beispiel durch anzügliche Gesten und Blicke. Es kommt immer darauf an, wie es die Betroffene empfindet. Es hat niemand das Recht, das zu werten. Wenn ich auf der Straße gehe und mir pfeifen Bauarbeiter nach, empfinde ich das als nicht so toll.

Ist das eine sexuelle Belätigung?

Ich empfinde es als Belästigung, nicht als sexuelle Belästigung im Sinn einer verbotenen Tat, aber es ist für mich unangenehm. Wenn der Bauarbeiter zu mir herkommt und sagt, Sie sind eine hübsche Frau, dann freue ich mich wahrscheinlich darüber.Es geht um eine sexuelle Belästigung, die nicht rechtlich verpönt ist, die aber trotzdem in unserer Gesellschaft passiert. Die Metoo-Bewegung führt dazu, dass Frauen das nun benennen können.

Hat sich die Zahl der Übergriffe erhöht oder war das schon immer so?

Ich habe die Übergriffe immer schon erlebt. Früher wird es noch viel schlimmer gewesen sein, weil die Frauen rechtlich noch schlechter gestellt waren. Das patriarchale System hat erst 1974 geendet. Viele Frauen berichten nun von Erlebnissen, die teilweise Jahrzehnte zurück liegen.

Die Reaktion der Männer auf Metoolautet, dass jetzt alles verboten ist und sie überhaupt nichts mehr dürfen.

Wenn man das so angeht, spricht man den Männer den Intellekt völlig ab. Jeder Mann weiss ganz genau, wenn er zu weit geht. Aber es ist ihnen egal und es ist eine andere Motivation dahinter.

Nämlich?

Er zeigt, dass er der Große ist, der die Macht hat. Es geht darum, die Geschlechtertypen aufrecht zu erhalten, die im Sexismus klarvorgegeben sind. Dass Männer und Frauen verschiedene Rollen haben und Männer die Rolle der Mächtigen spielen. Das wollen sie durch die Ab- und Entwertung der Frauen so darstellen und sie verletze. Die Machtfrage ist bei der sexuellen Gewalt der wichtigste Punkt. Das trifft auch bei den Vergewaltigungen zu. Die Macht ist das leitende Motiv.

Die Schauspielerin Nina Proll hält die Vorwürfe für übertrieben.

Meiner Meinung nach verkauft sie dieses Thema, um Werbung für Ihren neuen Film zu machen. Das ist absolut letztklassig. Das ist so ein wichtiges Thema, das man nicht ausnutzen und verkaufen soll, sondern mit demman respektvoll umgehen soll. Andererseits steht es keinem zu zu beurteilen, wie andere empfinden. Es ist sehr schön, dass ihr das nicht passiert ist, aber das Problem ist auch auf mangelne Frauen solidarität zurückzuführen.

Die Reaktion sollte doch jemand gegenüber jener, der sexuelle Gewalt widerfahren ist, sein, wie kann ich der Person helfen. Ich kann doch nicht hergehen und sagen, stell’ Dich nicht so an, es war ja nicht so schlimm.

Warum benennen Frauen Übergriffe oft nicht sofort, sondern viele Jahre später?

Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich das erst jetzt zu sagen trauen. Wenn die Vorfälle nicht schlimm gewesen wären, hätten sie sich das nicht 20 Jahre gemerkt. Mit der Metoo-Initiative fällt es ihnen nun leichter, die Dinge zu benennen.

Es könnte auch die Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust eine Rolle spielen.

Es geht oft nicht um grßoe Firmen. Das fängt an beim Kleinunternehmer in der Gastronomie, der dieMitarbeiterinnen begrapscht und abwertet und sie nicht vor den Übergriffen der Gäste schützt. Wenn sie das bei der Arbeiterkammer anzeigt, heisst das in der Folge, dass sie den Arbeitsplatz wechseln muss. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft. Es steht keinem zu, eine Frau zu begrapschen oder abzuwerten. Da ist auch Alkohol keine Ausrede. Die Männer müssen sich ändern. Die Frauen wollen niemanden vernichten, sondern respektvoll behandeltwerden.

Braucht es gesetzliche Änderungen?

Im Strafrecht passt es gut. Es müsste aber mehr Verurteilungen geben.

Sie sind mit den Entscheidungen der Richter nicht zufrieden?

Nein. Sie sind ein Problem. Meistens werden die Verfahren bei sexueller Gewalt eingestellt. Oder Freispruch im Zweifel. Die Verfahrenlänge ist auch ein Problem.

Woran liegt es?

Die Beweisbarkeit ist schwierig. Wenn es Geschlechtsverkehr gegeben hat, kann man das schnell beweisen. Aber dass die Übergriffe gegen den Willen desOpfers waren, kann man schwer beweisen.

Die Männer geben in der Regel an, dass die Frau das wollte.

Wie soll sie das nachweisen, dass das gegen ihren Willen war? Sie schildert das ganz detailliert und wahrheitsgemäß. Ich bin mir sicher, dass sich das keine Frau ausdenkt. Den Frauen geht es so schlecht, man merkt im Verfahren, sie sind oft dem Zusammenbruch nahe. Wenn sie das schildern, erleben sie das nochmals. Wenn Aussage gegen Aussage steht, wird das Verfahren meist eingesellt.

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