Luger: „Brauchen ein Reformprogramm für Österreich“
Klaus Luger (63) ist seit 2013 Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz und SPÖ-Stadtparteivorsitzender.
KURIER: Sie waren mit dem Ergebnis der EU-Wahl in Linz (SPÖ 28,8 %, FPÖ 21,5 %, ÖVP 15,7 %, Grüne 15,4 %, Neos 11,6 %) unzufrieden, obwohl Sie damit deutlich über dem Bundesschnitt lagen.
Klaus Luger: Das Ergebnis der EU-Wahl ist generell für die SPÖ enttäuschend. Es tröstet nicht, dass wir deutlich über und die FPÖ weit unter dem Bundesschnitt gewesen ist. Es bleibt über, dass eine Regierungspartei in einer der größten Korruptionsfälle der Zweiten Republik involviert ist und sich die zweite Regierungspartei der ersten völlig untergeordnet hat. Es ist ernüchternd, dass die SPÖ bei den Wahlen nicht mehr daraus macht. Das ist für mich persönlich enttäuschend, denn es ist eine Riesenchance vertan worden.
Der Trend geht zu den Freiheitlichen. Warum profitiert die SPÖ nicht davon?
Das inhaltliche Angebot der SPÖ wird von der Bevölkerung offensichtlich nicht so angenommen wie jenes der Freiheitlichen.
An welchen Punkten machen Sie das fest?
Es ist für viele Menschen kein Grund, die SPÖ zu wählen, wenn sie ausnahmslos neue Steuern fordert. Auch wenn es sich um Vermögenssteuern handelt. Der Zickzackkurs der Bundes-SPÖ in Fragen der Sicherheit, der Migration und der Integration ist nicht sehr glaubwürdig gewesen. Es ist nicht zielführend, zwei Tage vor einer Wahl eine neue Migrationspolitik anzukündigen.
Auch wenn ich die Position der FPÖ überhaupt nicht teile, sind die Freiheitlichen jahrzehntelang mit einer klaren Position aufgetreten. Der SPÖ ist das nicht gelungen, teils wegen interner Uneinigkeit, teils wegen des fehlenden Mutes, konsequente Konzepte auf den Tisch zu legen.
Bis zur Nationalratswahl am 29. September sind es noch drei Monate. Eine KURIER-Umfrage ergibt derzeit 27 Prozent für die FPÖ, 24 % für die ÖVP, 21 % für die SPÖ, 11 % für die Grünen, acht Prozent für die Neos und fünf Prozent für die Bierpartei. Was braucht es, um einen Trendwechsel für die SPÖ herbeizuführen?
Ich glaube nicht, dass man in drei Monaten einen Trend grundsätzlich drehen kann, um beispielsweise stärkste Partei zu werden. Es ginge darum, dass die SPÖ nicht nur sozial- und steuerpolitische Themen zum Inhalt ihrer Kampagne macht, sondern ganz klar für Maßnahmen in der Integrationspolitik eintritt. Für Asylwerber soll es die Verpflichtung geben, einer Arbeit nachzugehen. Ich bin für verpflichtende Integrationsmaßnahmen wie Deutschkurse. Bei Nichterfüllung sollte es Sanktionen geben.
Die Partei hat das aber immer abgelehnt.
Diese Maßnahmen sind aber notwendig, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft hintanzuhalten. Ich weiß auch von vielen Asylwerbern, dass sie viel lieber arbeiten würden als sinnlos in den Unterkünften auf einen Bescheid zu warten.
Hat die SPÖ mit Andreas Babler den richtigen Spitzenkandidaten?
Er ist gewählt worden. Es ist amtsbekannt, dass ich für eine andere Persönlichkeit eingetreten bin (Hans Peter Doskozil, Anm. d. Red.).
Die Trends nach rechts sind nicht österreichspezifisch, sondern europaweit. Siehe Frankreich, wo heute, Sonntag, der zweite Wahlgang zur Nationalversammlung stattfindet.
Meine Analyse ist eine etwas andere. In Polen hat es eine Mehrheit für eine liberale Regierung gegeben. In Großbritannien wird mit den Tories eine der korruptesten Regierungen abgewählt. Orban hat in Ungarn verloren. In Spanien ist der Sturm der Rechtskonservativen auf die sozialdemokratische Regierung gescheitert. Dänemark ist stabil sozialdemokratisch. Ich halte es für falsch, sich auf einen generellen europäischen Trend auszureden.
Die Dänen wurden wegen ihrer Migrations- und Integrationspolitik von den anderen sozialdemokratischen Parteien gescholten, die Labour Party hat einen Schwenk Richtung Mitte gemacht.
Beiden Parteien ist es gelungen, Politik aus der Mitte der Gesellschaft zu machen. Nicht von einem linken Flügel, wie das andere sozialdemokratische Parteien mit mäßigem Erfolg probiert haben. Eine Schlagseite nach links ist eine Verengung des Potenzials. Das hat man auch bei der EU-Wahl in Linz gesehen, bei der die Sozialdemokratie massiv an die Nichtwähler verloren.
Ihre Schlussfolgerung lautet, die SPÖ soll sich mehr in der Mitte positionieren?
Das ist es, was ich seit vielen Jahren sage und was die Linzer SPÖ praktiziert, wir sind eine Partei aus der Mitte heraus. Wir sind in sehr vielen gesellschaftspolitischen Aspekten sehr liberal, das bin auch ich persönlich. Ich habe aber auch keine ideologischen Scheuklappen, wie die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren ist. Mit diesem Kurs verliert die Linzer SPÖ am wenigsten bei Wahlen, wo die Sozialdemokratie verloren hat.
Welche Regierung schwebt Ihnen nach der Nationalratswahl vor?
Ich hoffe, dass das Wahlergebnis so sein wird, dass es der FPÖ nicht möglich sein wird, den Anspruch auf den Kanzler zu stellen.
Eine Möglichkeit wäre eine Dreierkoalition aus SPÖ, ÖVP und Neos bzw. den Grünen?
Ich bin jedenfalls für eine Regierung ohne FPÖ-Beteiligung. Für die SPÖ wird es sehr schwierig, mit aufrechtem Gang in eine solche Regierung zu gehen, denn wie viele ihrer Forderungen werden sich in einem Regierungsprogramm finden? Ich habe keine Idee, wie man die ÖVP dazu bringen könnte, Vermögenssteuern und höhere Steuersätze zu akzeptieren. Ich habe auch keine Idee, wie man Teile der SPÖ gewinnen kann, in der Sicherheitspolitik die Zügel anzuziehen.
Die Differenzen zwischen den beiden Parteien sind gravierend.
Aus der Fokussierung der ÖVP auf sehr rechte und meiner Partei auf linke Positionen wird es sehr schwierig, aus der Mitte heraus ein gemeinsames Regierungsprogramm zu machen. Persönlich würde ich das sehr befürworten. Aber eine Regierung, die nur das Ziel verfolgt, die FPÖ zu verhindern, wird kaum Zukunft haben.
Sie sagen ja, aber es braucht ein entsprechendes Regierungsprogramm?
Es braucht ein Reformprogramm für Österreich. Das wird für die ÖVP sehr schwierig werden, denn vieles von dem, was im Land sehr problematisch ist, hat sie zu verantworten. Zum Beispiel die totale Überbürokratisierung und den jahrzehntelangen Machtanspruch in der Personalpolitik. Das sieht man in Oberösterreich genauso wie im Bund.
Die ÖVP hat zu verantworten, dass in der Industriepolitik nichts weitergeht. Die ÖVP wird hier einen massiven Kurswechsel vornehmen müssen, so wie meine Partei ihre Vorstellungen in der Migrations- und Sicherheitspolitik so nicht zum Gegenstand einer gemeinsamen Regierung machen kann. Das Beste wäre eine wirkliche Reformregierung. Beide Parteien müssen von ihren Dogmen abrücken. Dann ist noch immer die Frage, wie man die Neos bzw. die Grünen gewinnt.
Es braucht vermutlich einen dritten Partner.
Die Grünen sind problematisch, weil sie Österreich als Industriestandort gefährden. Bei den Neos ist es auch nicht so einfach, zum Beispiel in der Frage der Steuergerechtigkeit. Das Fell, das in den Köpfen mancher Parteistrategen bereits aufgeteilt wird, kann sich als Schimäre erweisen, denn der Bär ist noch lange nicht erlegt.
Gibt es Schlussfolgerungen, die Sie aus der EU- bzw. aus der bevorstehenden Nationalratswahl für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl 2027 ziehen?
Ich will weiter die Linie verfolgen, die wir haben. Wir wollen Linz als Industriestandort erhalten und gleichzeitig bis 2040 CO2-neutral werden. Das heißt volle Konzentration auf grüne Wasserstofftechnologien, Ausbau des öffentlichen Verkehrs und auf weitere Maßnahmen, um den Klimawandel zu bewältigen. Wir werden das auch im Nationalratswahlkampf thematisieren, denn wir haben mit Roland Baumann einen Spitzenkandidaten, der aus der voestalpine kommt, und einer der wenigen Arbeiter ist, die sich um ein Mandat im Nationalrat bewerben.
Wir wollen glaubwürdig vermitteln, dass Umweltschutz und Industrie kein Widerspruch sind. Das bleibt unsere Hauptstoßrichtung, neben klaren gesellschaftspolitischen Positionen bei Integration. Wir treten für eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern ein. Da ist in Oberösterreich noch Einiges an Einstellungen und Haltungen zu verändern. Chancengleichheit auf allen Ebenen ist mir wichtig. Die Benachteiligung von Frauen ist nach wie vor virulent.
Linz ist Partnerstadt der 21-Millionen-Stadt Chengdu. Nun verschärft sich der Handelskonflikt der EU mit China. Es wird Zölle auf chinesische E-Autos geben.
Wir als Industriestadt sind massiv von den internationalen Auswirkungen betroffen. Wir haben viele Unternehmen, deren Perspektiven auch vom pazifischen Markt bestimmt werden. Die Beziehungen mit China sind schwierig. Damit meine ich nicht nur die Menschenrechte. Die Verhängung von Strafzöllen halte ich nicht für sehr klug, denn hier sind wir anfälliger als die Chinesen. Man sollte wirtschaftlich kooperieren und in der Handelspolitik auf Chancengleichheit drängen und Verträge abschließen.
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