Welche Erklärungen gibt es für diese stark gestiegene Suizidalität?
Es gibt grundsätzlich suizidale Risikofaktoren, die im Kinder- und Jugendalter schlagend werden, und die haben sich in der Pandemie verschärft. Die Hauptfaktoren sind akute Belastungen und psychische Erkrankungen. Die Pandemie wurde von vielen Kindern und Jugendlichen als sehr belastend empfunden. Weitere Risikofaktoren für Suizidversuche sind außerdem weibliches Geschlecht, geringer IQ, Hoffnungslosigkeit und überhaupt Suizidgedanken zu haben.
Was versteht man medizinisch unter Suizidalität?
Die leichteste Form ist der Lebensüberdruss. Das ist noch relativ normal. Wer hatte das nicht schon mal? Dann kommen Suizidfantasien. Wenn sich alles verdichtet in Richtung konkrete Suizidgedanken, wenn etwa über Methoden nachgedacht wird, wird es kritisch. Der letzte Punkt ist der konkrete Suizidplan.
Wer wird in der geschlossenen Station betreut?
In jedem Stadium der Suizidalität wird die Absprachefähigkeit beurteilt, sprich ist die Person weiterhin suizidal, kann die Person versprechen, dass sie sich meldet beim Pflegepersonal? Man darf niemanden, der imstande ist, sich selbst zu schützen, einsperren. In der Unterbringung sind diejenigen, die sagen, sie wollen weiterhin sterben und die nicht garantieren können, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen. Da fehlt die Absprachefähigkeit. Nur dann kann die Person – auch gegen ihren Willen – in den geschützten Bereich aufgenommen werden.
Wie alt sind die Patientinnen und Patienten im geschützten Bereich?
Die jüngsten sind neun, zehn Jahre alt, das ist aber die große Ausnahme. Der Altersdurchschnitt liegt bei 14, 15 Jahren.
Landesschulsprecher Xaver Eicher fordert einen jährlichen Fixtermin für alle Schülerinnen und Schüler für psychische Gesundheit. Was denken Sie?
Das ist ein sehr guter Ansatz. In der Pandemie ist nochmals klar geworden, dass die Schule ein wichtiger Lebensbereich für Kinder und Jugendliche ist, und dass über die Schule viel Suizidprävention und Wissenstransport über psychische Gesundheit passieren kann. Es gibt den Vorschlag, dass psychische Gesundheit ein Lehrgegenstand wird. Das wäre eine Entstigmatisierung und man könnte Erste-Hilfe-Maßnahmen lehren: Wie gehe ich mit Angst und Scham um? Wie teile ich mich mit?
Wie werden suizidale Kinder und Jugendliche behandelt?
Der Suizidversuch oder die Absichten werden immer thematisiert. Das ist oft schwierig, weil die wenigsten gerne und offen darüber reden. Dazu brauchen wir zusätzlich das Bild von Bezugspersonen, die Außenanamnese. Es geht vor allem darum, die Schlüsselemotion herauszufinden. Medikamente werden nur im äußersten Notfall eingesetzt.
Welche Warnzeichen für Suizidalität gibt es? Wie können Bezugspersonen reagieren?
Wichtig ist, auf Suizidäußerungen einzugehen. Es hält sich noch immer das Gerücht: Wer darüber redet, tut es eh nicht. Das ist Blödsinn. Ja, manchmal werden Suizidäußerungen manipulativ getätigt. Auch das kann mit subjektiver Ohnmacht zusammenhängen. Jedenfalls sollte man an Suizidalität denken, wenn depressives Verhalten zu beobachten ist. Dazu zählt der Rückzug von Freunden, wenn geliebte Hobbys nicht mehr ausgeübt werden oder die Körperhygiene vernachlässigt wird. Wenn man als Bezugsperson Derartiges bemerkt, ansprechen und auch externe Hilfe holen.
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