Die Kunstuniversität Linz wurde 1973 zur Hochschule erhoben, feiert heuer ihren 50. Geburtstag – mit vier öffentlichen Schwerpunkten.
Den Auftakt machten die Installierung des Feminismusprojekts „Solange“ auf der der Donau zugewandten Seite eines Brückenkopfgebäudes, in dem die Uni beheimatet ist, sowie ein Tag der offenen Tür.
Die Juristin Brigitte Hütter (51) ist seit 2019 Rektorin der Universität mit rund 1.500 Studierenden, die zentral am Hauptplatz, in den Brückenkopfgebäuden, ihren Hauptstandort hat. Im Vorjahr wurde ihr Vertrag bis 2027 verlängert.
KURIER: Zum 50. Geburtstag hat sich die Kunstuni ein plakatives, feministisches Projekt auf die Fassade eines der beiden Brückenkopfgebäude geheftet. Warum?
Brigitte Hütter: Feminismus ist sehr aktuell. Gerade in Zeiten der Pandemie hat sich erwiesen, dass alte Rollenbilder wie jene zwischen Mann und Frau, aber auch andere, wieder hervorgeholt werden.
Antidiskriminierung ist die Basis für gutes gemeinschaftliches Zusammenarbeiten. Wir haben ja das Motto „radical collective“ – das ist die erste Bedingung, dass Menschen auf Augenhöhe sind und keine Diskriminierung stattfindet, damit Gleichstellung stattfinden kann.
In Oberösterreich läuft eine Debatte über die Nutzung des Hitlerhauses in Braunau, dessen historische Belastung durch Architektur und Nutzung „neutralisiert“ werden soll. Wir sitzen im Brückenkopfgebäude, sichtbarer Teil des nationalsozialistischen Linz. Wie gehen Sie an der Kunstuniversität mit diesem Erbe um?
Wir sind uns dessen sehr bewusst, in welchen Gebäuden wir sind. Wir wollen damit offensiv und sehr verantwortungsvoll umgehen. Wir sagen nicht nur, wir sind eh eine Kunstuni und unsere Lehre, die Kunst, die Forschung an sich sind genug, um etwas zu neutralisieren, was nicht zu neutralisieren ist. Wir sehen es nicht als tägliche Last, sondern als Verantwortung in unserer Erinnerungskultur, wie wir diese Themen ansprechen und damit umgehen.
Und was sagen Sie zum Umgang mit dem Hitlerhaus in Braunau?
Man ist gut beraten, auf Zeithistoriker zu hören und nicht zu versuchen, irgendetwas zu neutralisieren. Es ist nötig, verantwortungsbewusst, diskursiv und offensiv mit der Geschichte dieses Hauses umzugehen. Man wird das Thema sehr breit in verschiedenen Formaten immer wieder aufbringen müssen. Was heißt das übersetzt auf heute, welcher Auftrag ergibt sich daraus? Das ist in Braunau genauso der Fall wie an anderen Orten.
Wofür steht die Kunstuni, was leistet sie für die Gesellschaft?
Wir kümmern uns um die Künstlerinnen und Designerinnen der Zukunft, wir arbeiten für die nächsten Generationen. Wir schaffen zeitgenössische Kunst, die nicht nur heutig, sondern zukunftsorientiert ist. Wir sind eine sehr angewandte Universität, die im Bewusstsein der Bauhaus-Idee gegründet wurde. Wir waren erst Kunstschule der Stadt Linz, dann Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung. Das passt auch gut zum Standort Linz mit Industrie und dem Wirtschaftsumfeld. Wir stehen für kritischen Diskurs, aber auch für angewandte Kunst und gleichzeitig für Impulse, die völlig experimentell und frei sind. Das braucht eine Gesellschaft, das braucht auch ein Standort.
Ein Markenzeichen ist auch die Internationalität.
Sehr, wir haben 44 Prozent internationale Studierende, und das forcieren wir auch. Wir schätzen die Buntheit, nicht nur, was die Herkunft oder die Sprachen betrifft. Wir wollen Studierende aus allen sozialen Schichten bekommen, wo ja überall künstlerische Talente vorhanden sind. Deshalb wollen wir noch besser in den Schulen andocken können – denn durch die Schule geht jedes Kind.
Welche Rolle spielt der Klimawandel in der Ausbildung an der Kunstuni?
Einer unserer Schwerpunkte ist nachhaltiges und kritisches Gestalten. Natürlich sind wir anwendungsorientiert und natürlich sind wir wirtschaftsnah. Das wollen wir auch sein, sonst kommt man nicht in die Anwendung. Gleichzeitig sind wir auch ein kritisches Gegenüber. In der Zukunft haben wir große Herausforderungen, wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, ökologischer und sozialer Wandel, und auch digitaler Wandel. Das ist bei uns fast in jedem Studiengang drinnen und wir haben das auch als Gesamtstrategie formuliert.
Mit Anna Jermolaewa ist heuer eine Ihrer Lehrenden als österreichische Vertreterin auf der Kunstbiennale vertreten. Was bedeutet das für die Kunstuni?
Zuallererst ist es eine großartige Leistung von Anna Jermolaewa und Gabi Spindler, diesem großartigen Duo.
Anna Jermolaewa ist als Person und als Professorin mit und ohne Pavillon auf der Kunstbiennale ein großer Gewinn für unsere Universität. Aufgrund der eigenen Biografie denkt sie sehr politisch und reflektiert und bringt das auch in ihrer Kunst zum Ausdruck. Sie bringt einen Ansatz für Studierende mit, den man nicht hoch genug einschätzen kann.
In Linz wird eine neue Universität gegründet. Was halten Sie davon?
Es ist eine große Chance für Oberösterreich und diesen Standort, eine neue Universität zu bekommen, die sich noch dazu mit dem aktuellsten Thema in der Technik, der Digitalen Transformation, beschäftigt. Und das in der vollen Breite, nicht nur im Sinne von Technik und Informatik, sondern die auch Kunst und Sozialwissenschaften miteinbezieht, interdisziplinär mit dem Anspruch, international zu agieren.
Und der Gründungsprozess ...?
... hat an manchen Stellen geholpert, ja. Wir müssen eingestehen: Der Anspruch, den man formuliert hat, kann im Herbst nicht erfüllt werden. Dranzubleiben ist wichtig. Es kann etwas Gutes und Interessantes entstehen. Das dürfen wir nicht aufgrund von Steinen, die am Weg liegen, für schlecht befinden. Manche Kritik besteht im Leben ja zu Recht. Daraus könnte man ja auch lernen, wenn man das will.
Ein Start im Herbst ist sinnvoll?
Ein Start im nächsten Studienjahr ist wichtig. Und ein Auftakt im Herbst als Lebenszeichen, wie immer der gestaltet ist, wäre von Vorteil. Sonst prolongiert man eine Situation, die nicht sehr hilfreich ist.
Wie stark ist eigentlich der Einfluss der Politik auf Ihre Uni?
Ein unmittelbarer Einfluss der Politik ist nicht vorhanden, weder vom Bund, noch von Land oder Stadt. Da lässt man uns – aber ja, wir sind eine Kunstuniversität – gute Freiheit, und das brauchen wir auch. Es ist auch allen klar, dass wir uns diese Freiheit erkämpfen würden. Einflussnahme gibt es nicht, aber es gibt sehr viel Unterstützung an manchen Stellen, wo es um Förderung und Finanzierung geht. Dass es mehr sein könnte und dass wir als Universität tatsächlich ein Finanzierungsthema haben, ist ein Faktum.
Wir sehen uns als wertgeschätzte Partnerin, die manchmal auch suspekt ist mit den Projekten, die sie macht. Die manchmal auch aneckt – mit feministischen Projekten etwa ist man nicht immer nur geliebt –, aber das hat nichts mit Politik im Sinne von Parteipolitik zu tun, sondern mit Gesellschaftspolitik.
Die FPÖ Linz fordert, dass die Stadt erst die eigenen Schulen instand halten soll, anstatt die Kunstuni zu finanzieren.
Man kann ja das eine tun und das andere nicht lassen. Ich glaube nicht, dass ein Turnsaal nicht hergerichtet werden kann, nur weil es den Fördertopf der Stadt für die Kunstuni gibt. Man sollte die Dinge nicht vermischen, denn letztendlich ist beides wichtig. Jede Investition ins Bildungssystem, ob Sprossenleiter im Turnsaal oder mehr Kunstunterricht an Universitäten. Oder mehr Kunstunterricht an Schulen, was sehr wichtig wäre.
Während Corona sind viele Demonstrationen an Ihrer Uni vorbeigezogen.
Der Hauptplatz, wo wir auch sind, war ja nur ein Bild der Gesamtverfasstheit der Gesellschaft, die Diskussionen und Demonstrationen waren offenbar in der Gesellschaft vorhanden. Da hat sich sehr viel verbunden: sachliche Argumentation mit Ängsten, mit politischen Motivationen, vereint in einer gemeinsamen Unsicherheit. Dazu haben wir eine Wissenschaftsskepsis entwickelt. Das ist ein schwieriges Konglomerat für eine Gesellschaft. Oft fehlt das Zuhören statt einzuteilen: Gut, schlecht, auf meiner Seite, auf der anderen Seite. Es gibt viel dazwischen. Menschen, die auf solchen Demos sind, haben wirklich unterschiedlichste Motivationen. Hochproblematisch erschien mir, als fremdenfeindliche oder rassistische Themen hereinkamen. Das ist absolut abzulehnen. Aber es sind nicht alle auf diesen Demonstrationen in einem rassistischen Eck. Es gibt Blessuren und Verletzungen in unserer Gesellschaft. Es sind Ängste da, die man ernst nehmen muss. Die dürfen aber nicht dazu führen, dass wir uns einfache Rezepte suchen, im Sinn von: einen Schuldigen oder eine Schuldige zu finden. Die gibt es nämlich nicht. So gern wir das hätten.
Wie gut ist die Kunstuni in Linz angekommen und verankert?
Wir haben viel getan, uns geöffnet, wir sind bekannter geworden in der Stadt. Für eine Kunstuniversität ist es wichtig, dauerhaft einzuladen und hinauszugehen, zu interagieren. Zu vermitteln, was man selber macht, ist wichtig. Aber viel wichtiger ist: Zuhören, wie man wahrgenommen wird. Und wichtig sind auch die Impulse, die wir bekommen.
Werden Sie und Ihre Expertinnen von der Stadt und dem Land bei der Entwicklung von Stadt und Land gut genug eingebunden?
Kunst hat viel mit Haltung zu tun. Gerade bei der Architektur, da gibt es Fachleute, die etwas zu sagen haben. Die werden manchmal gefragt, und manchmal sagen sie von sich aus etwas.
Wir beziehen Stellung. Wir bringen uns dort ein, wo es zu unserer Lehre und unseren Studierenden passt, gerade dort, wo wir Berührungspunkte zu Alltagsthemen haben.
Was geht für Sie in Linz gar nicht, und was mögen Sie an der Stadt?
Ich mag an der Stadt, dass sie sehr flexibel ist. Eine Mischung aus visionär mit Erdung. Es ist eine gute Basis da. Auf der muss man aber nicht stehen bleiben, man kann auch weiterdenken. Dieser Anspruch gilt in allen Bereichen. Und der ist in der Kunst, in der Kultur, in der Wirtschaft, aber auch in der Politik im Grunde vorhanden. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass Kunst und Kultur weiterhin gefördert werden. Man hat vieles gemacht, vieles sehr gut, aber darauf darf man sich jetzt nicht zurückziehen.
Es gilt, auch die freie Kunstszene und experimentelle Formen zu fördern. Den Mut haben, weg von den institutionellen Flaggschiffen in der Kultur zu gehen. Das wünsche ich mir. Aber mir ist schon klar, dass der Faktor, wie man glänzen kann, eine Rolle spielt, wenn man solche Entscheidungen trifft.
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