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"Leider hab' ich heute getrunken, weil heute ist alles schiefgegangen." Mit zerknirschter Miene nimmt die Frau den Alkomaten entgegen und bläst kräftig: 0,99 Promille, alles im grünen Bereich.
Drei Promille sind die Obergrenze, ab dann wird die Rettung informiert und das Bett in der Linzer Notschlafstelle NOWA wird an jemand anderen vergeben. "Jawoi, die e-Card endlich!", freut sich ein Mann, und nimmt vom Sozialarbeiter ein Kuvert entgegen.
Wenn die Einrichtung um Punkt 18 Uhr öffnet, geht für viele der Zugang zu Wärme, Sicherheit und Schlaf auf. 59 Betten gibt es in der Unterkunft gesamt, 54 werden in jener kalten Jännernacht belegt sein, sieben von Frauen, der Großteil von Männern.
"Wir sind wirklich die letzte Station vor der Straße. Wer bei uns nicht unterkommt, hat woanders kaum eine Chance", sagt Sozialarbeiterin Brigitte Ortner, aber: "Wir können auch die erste Station woanders hin, zurück in ein normales Leben sein." An diesem Abend holt sie sich immer wieder Menschen in ihr Zimmer, fragt, ob sie Hilfe brauchen, erinnert an Abmachungen und hört zu.
Die erste Station nach dem Eingang ist das Büro: Hier wird für die Nacht bezahlt, entweder bar 4,17 Euro oder mit Jetons, die sich die Menschen in anderen Sozialeinrichtungen abholen können. Wer mag, nimmt sich ein Handtuch und frische Bettwäsche mit.
Der Alkohol - vom Doppelliter bis zur Bierdose ist alles dabei -, die Spritzen und diverse Substanzen bleiben für die Nacht im Büro und können am Morgen wieder abgeholt werden.
Hausverbot bei Alkohol und Drogen
Es gibt nicht viele Regeln im Haus, aber Alkohol und Drogen in den Zimmern sind streng verboten. Wer damit erwischt wird, bekommt Hausverbot.
Das gibt es auch für jene Männer, die das Frauenstockwerk betreten. Hier ist ein Ort des Schutzes und der Sicherheit, hier sollen Frauen, die den ganzen Tag auf der Straße oder unter anderen widrigen Umständen verbringen, zumindest in der Nacht zur Ruhe kommen.
Übrigens, die Zimmer und Nassräume im NOWA sind sauber, geräumig, hell und gepflegt. Manche schlafen zu viert zusammen, es gibt aber auch Einzelzimmer für Personen, die sozial weniger verträglich sind.
Essen gibt es normalerweise nicht, aber an diesem Tag machen die Sozialarbeiter eine Ausnahme: Sie haben Nougatknödel in rauen Mengen gekocht, die Freude darüber ist groß.
Nach und nach trudeln alle ein, Johannes Schwarz und Rudi Schmolmüller werden den Nachtdienst gemeinsam absolvieren, sie sind beide seit vielen Jahren als Sozialarbeiter im Sozialverein B37 tätig und kennen den Großteil der Menschen. Vier Wochen am Stück darf man hier übernachten, mit Unterbrechungen sind einige aber schon viel länger hier, weil sie nirgends anders Fuß fassen.
Wie Ide Tolga, der seit eineinhalb Jahren im NOWA ein und aus geht: "Ich habe schwere gesundheitliche Probleme, kann keine feste Nahrung halten. Außerdem bin ich immer wieder in die Drogensucht abgerutscht. Derzeit bin ich im Substitutionsprogramm", erzählt der 26-Jährige. Nach einer schwierigen Kindheit schaffte er nie den Sprung in ein fixes Arbeitsverhältnis, seine Mutter ging ohne ihn zurück in die Türkei, hier in Österreich kümmert sich manchmal seine Tante um ihn. "Das Leben auf der Straße hat mich kaputt gemacht. Deswegen will ich jetzt schnell clean werden, wieder meinen Ausweis und eine Versicherung bekommen und ein ganz normales Leben ohne Drogen haben."
Danach sehnt sich auch der 48-jährige Abdel Ben Arbia. Nach seiner Scheidung wurde er delogiert, dann folgten Depressionen und sehr viele Absagen von potentiellen Arbeitgebern. "Aber ich gebe nicht auf. Ich bin bewerbe mich ständig irgendwo, damit ich einen Job bekomme und mein neues Leben anfangen kann." Besonders im Winter sei es hart auf der Straße, "wir sind immer auf der Suche nach Wärme."
In dieser Nacht herrscht eine friedliche Stimmung in der Unterkunft. Viele liegen früh in den Betten, andere reden noch leise in den Gemeinschaftsbereichen oder sehen fern. Um 23 Uhr macht sich Sozialarbeiter Schmolmüller auf zum letzten Rundgang, er schaut in die Zimmer, ob alle da sind, wechselt noch ein paar Worte und geht zurück ins Büro.
Drohungen und Aggressionen
Nicht immer ist es so ruhig und entspannt im NOWA: "Wenn jemand arg drauf ist oder eine Psychose hat, kann es wild werden. Einer hat uns das komplette Büro zertrümmert. Drohungen bekommen wir immer wieder, ich habe auch schon Anzeige erstattet", sagt Johannes Schwarz. Aber das sei auch das Herausfordernde und Spannende am Job: die Krisensituationen. Immer wieder kommt es vor, dass Polizei und Rettung angefordert werden müssen, wegen aggressiven Verhaltens, wegen gesundheitlicher Themen oder weil beim Aufwecken in der Früh plötzlich jemand tot im Bett liegt.
Um Punkt 23 Uhr wird das Haus zugesperrt, am nächsten Tag um kurz vor sieben beginnt das große Wecken. "Das ist nicht immer leicht. Manche sind nur schwer aus den Betten zu bringen." In der Küche ist reger Betrieb an diesem Morgen, es ist Mittwoch, was bedeutet, dass es nicht nur Kaffee, sondern dazu auch ein Frühstück und mehr Zeit gibt. An allen anderen Tagen muss das Haus um 7.30 Uhr verlassen werden, am Mittwoch erst um 9.30 Uhr. Die Zeit nutzen die Sozialarbeiterinnen, um Gespräche und Telefonate zu führen, Termine einzutakten und Hilfestellungen bei den unterschiedlichsten Themen anzubieten.
"Natürlich verstehen viele nicht, warum sie so früh außer Haus müssen, speziell im Winter ist das hart. Aber ein Vollbetrieb hätte ganz andere Kosten als der reine Nachtbetrieb zur Folge", sagt der Leiter der Einrichtung, Ulrich Reiter.
Aufbruchsstimmung im Foyer: Die Wodkaflasche wird unter den Arm geklemmt, die Bierdose wandert in den Rucksack, ein letztes Mal wird nach der Post gefragt. Aufgewärmt und ausgeschlafen machen sich alle bereit für einen weiteren Tag draußen, entweder ganz im Freien oder in einer anderen Sozialeinrichtung. Jener Frau, die sich den Doppelliter Weißwein schnappt, ruft die Sozialarbeiterin hinterher: "Nimm' dir wenigstens noch ein Semmerl mit!"
Verein B37: Unterstützung und Beratung
Nicht alle Menschen wollen Hilfe und Unterstützung annehmen, für einige ist selbst das lockere Konzept der Notschlafstelle NOWA noch zu eng. "Unsere Streetworker machen zwei Mal pro Jahr eine Zählung, wie viele Menschen in Linz tatsächlich nur draußen leben und in keine Einrichtungen kommen. Im Sommer 2022 waren es 62, im Dezember 52." Christian Gaiseder ist Geschäftsführer des Sozialvereins B37, der in Linz 342 Betten für Menschen in prekären Situationen bereitstellt. Fast alle sind derzeit besetzt.
Abgesehen von der Notschlafstelle gibt es auch ein Dauerwohn oder die mobile Wohnbetreuung. Dabei werden Menschen in eigenen Wohnungen regelmäßig besucht und unterstützt. Außerdem betreibt der Verein auch Beratungsstellen und eine Tagesstruktur.
Gute Versorgung in Linz
Dass Menschen die Notschlafstelle jeden Morgen um 7.30 Uhr verlassen müssen, erklärt Gaiseder so: "Es ist gut, dass die Leute in Bewegung kommen und nicht in der Verzweiflung versinken. In Linz gibt es zum Glück auch untertags eine gute Versorgung für Menschen ohne festen Wohnsitz."
Streetworker kümmern sich vor Ort um jene, die nicht wohnversorgt sind. Sie bringen Essen, Kleidung, winterfeste Schlafsäcke, und "sie machen natürlich unsere Angebote schmackhaft und hoffen, dass sie in Anspruch genommen werden", so Gaiseder. Rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat B37, der Verein hat Leistungsverträge mit dem Land OÖ und bekommt auch Förderungen von der Stadt Linz.
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