Kastner und Trawöger auf der Suche nach des Bruckners Kern
Elisa Erkelenz und David-Maria Gramse, zwei Musiker, Künstler und Kulturmanager, machen für den WDR den Podcast "Des Pudels Kern" - eine neue Gesprächsreihe rund um klassische Musik, Pop, Philosophie, Kunst und Wissenschaft.
Thema des jüngsten Podcasts: Der oberösterreichische Musiker und Komponist Anton Bruckner, dem sich die beiden deutschen Musik-Auskenner über die berühmteste Psychiaterin Österreichs, die Linzerin Heidi Kastner, und den künstlerischen Direktor des Brucknerfestes 2024, Norbert Trawöger, nähern.
Kastner, Chefärztin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik Linz und Gerichtsgutachterin für Strafrecht wird im Podcast als „Popstar der Psychiatrie in Österreich“ vorgestellt.
Norbert Trawöger ist künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz und war bis vor kurzem Intendant des Kepler Salons. Eigentlich ist er Musiker, Flötist, und Autor.
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Und Brucknerianer seit über 40 Jahren: "Bruckner war die Entdeckung des achtjährigen Norbert, der im Plattenschrank des Vaters Aufnahmen von Bruckner gefunden hat. Das war eine Höhle, die ich bis heute nicht verlassen habe. Bei Bruckner konnte ich bei mir sein."
Kastner, die Psychiaterin, stellt Bruckner gleich einmal eine wenig schmeichelhafte Diagnose: "Was man von ihm und seinem Umgang mit anderen, mit seiner Art durchs Leben zugehen, war er als banale Alltagsperson weder spannend noch besonders attraktiv."
Und schon sind die vier Gesprächspartner in einem Thema, fernab von Musik, ohne den Bezug zum Ausgangspunkt zu verlieren. Denn wie Kastner das Genie Bruckner Jahrhunderte nach dessen Leben anhand von Beobachtungen und Beschreibungen zu analysieren vermag, macht sie das auch in ihrem täglichen Geschäft.
"Forensische Psychiatrie erforscht den Täter, und erforscht, ob er an einer ausgeprägten tiefgreifenden Erkrankung oder Störung leidet und ob diese seine Willensbildung beeinträchtigt oder gar aufgehoben hat", erklärt Kastner. Dabei achte sie auf alles Wahrnehmbare in den Gesprächen mit diesen Menschen.
Und wohl deshalb wundert sie sich im Podcast, „wie viele Auffälligkeiten von Menschen nicht wahrgenommen werden. Da laufen Leute herum, da fällt mir sofort auf: Da stimmt was Gröber nicht.“ Auf das Nonverbale werde nicht so sehr geachtet.
Was ist normal?
Um sofort zu betonen, nicht zu schnell in die Pathologisierung zu kommen: „Es gibt eine große Bandbreite dessen, was als normal gilt. Ich würde sagen, normal ist all das, was jemanden nicht am Leben behindert oder bei irgendwem Leidenszustände auslöst.“
Alles, was wir der Psyche, der Seele oder dem Geist zuordnen, was wir als geistlich wahrnehmen, habe eine handfeste biologische Basis, weiß Kastner: „Ohne Hirn, ohne Neurotransmittervorgänge im Hirn können wir weder denken noch fühlen noch sonst irgendetwas.“ Ohne diese Vorgänge könne „der Geist brausen gehen, da gibt es ihn nämlich nicht." Und das könne natürlich erkranken.
Dabei unterscheidet Kastner zwischen Störung und Krankheit. Denn während eine Störung nie dazu führe, dass „ich keinen Willen mehr bilden kann“, besetze eine Erkrankung die Person völlig „und lässt keinen Spielraum mehr für Überlegungen. Dann ist „zsaumgramt“, bringt sie es im schönsten oberösterreichischen Dialekt für den Podcast des deutschen Senders auf den Punkt.
Was es auch wieder besonders schwer mache. Denn bei psychischen Erkrankungen lasse sich auch oft keine Erklärung, keine Ursache finden – was so schwer auszuhalten sei: „Wir suchen für alles Erklärungen und Schuldige. Ganze Parteien bauen ihr Programm darauf auf.“
"Immer Schuldige suchen ist dumm"
Mit Verweis auf ihr Buch „Dummheit“ stellte Kastner zu diesem permanenten Suchen nach Erklärungen und nach Schuldigen fest: „Natürlich ist das dumm.“
Ein Stichwort für die Podcast-Macher, abseits von Musik, Kunst und Kultur noch weiter in die Tiefe Kastners Überlegungen zu dringen. Was noch dumm sei, fragen sie. Kastner: „Egoismus, Denkfaulheit, Mitläufertum, mangelnde Verantwortungsübernahme und diese Überzeugung: Ich muss nur schauen, dass es mir gut geht, weil für mich zähle nur ich.“ Das ignoriere einen wesentlichen Faktor: „Niemand ist eine Insel!“
Das umfasse nicht nur die Menschen, sondern die gesamte Umgebung, auch die Natur. Und was ich jemand anderem antue, tue ich auch mir an. Und es ist dumm zu glauben, dass ich mich aufführen kann wie ein Berserker, und das nicht irgendwann auch meinen eigenen Nachteil bedingt.“
Der gefährliche Dumme
Kastner wird aus ihrer reichhaltigen Erfahrung heraus deutlich: "Diesen eigenen, scheinbaren unmittelbaren Vorteil primär auf Kosten anderer zu suchen, ist eine ziemlich schmerzhafte Form der Dummheit, zu erst einmal für die anderen, das erweist sich oft aber auch als schmerzhaft für einen selbst. Weil der Dumme einfach nicht weiß, dass er sich selbst auch damit schadet. Deshalb ist der Dumme ja weit gefährlicher als der Verbrecher. Denn der Dumme schadet sich und anderen.“
Aber die Podcast-Macher führen immer wieder gekonnt zurück zu Bruckner, er ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt des Gesprächs: Kastner vermisst bei Bruckner die „Begabung zum Leben“, anders als Mozart, der damit bestens ausgestattet gewesen sei, auch Beethoven: „Der schon weniger, und Bruckner gar nicht. Bruckner hat sich an einer Tischkante festgehalten und entlanggehantelt und war dann unheimlich gekränkt, wenn der Tisch aus war.“
Zu pathetisch und zu katholisch?
Norbert Trawöger hingegen sagt über Bruckner: "Man kriegt ihn nicht zu fassen.“ Es gäbe keine eindeutigen Einordnungen zu Bruckner. Deshalb sei die Beschäftigung mit ihm auch so spannend.
Das verspricht er auch für das nächste Jahr, das Bruckner Jahr, zum 200. Geburtstag des Komponisten: "Da kommt ein Orkan auf uns zu, eine Bewegung über das ganze Jahr, alle sollen sich angesprochen fühlen. Bruckner sei einer der "wenigen Giganten der Musik", die vom Land kommen.
Oberösterreich war Anton Bruckners Heimat.
In Ansfelden wurde er 1824 geboren, im Stift des Nachbarortes St. Florian musikalisch sozialisiert, gefördert und ausgebildet.
In Linz entwickelte er sich zum umjubelten Orgelimprovisator und zu einem Komponisten mit unverwechselbarer Tonsprache.
Hier erklingt seine Musik heute im renommierten Konzerthaus, das seinen Namen trägt, hier spielt sie das nach ihm benannte Orchester und hier lehrt und erforscht sie eine Universität, deren Namensgeber er ist.
Quelle: anton-bruckner-2024.at
So werde sich auch im Bruckner Jahr viel auf dem Land abspielen, in den 35 Bruckner-Orten, in einem "Logenplatz des Weltgeschehens", wie Trawöger die Gleichzeitigkeit der europäischen Kulturhauptstadt mit Bad Ischl und dem Salzkammergut bezeichnet. Er erhofft sich durch das kommende Jahr jedenfalls "ein gesteigertes Kulturbewusstsein in diesem Land".
Wie das gehen soll? „Ich liebe das Spiel der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten“, sagt Trawöger über seinen Zugang zum Bruckner Fest. Bruckner als Trigger-Figur, die provoziert, abstoßt, fasziniert. Eine Musik, die so pathetisch ist, vielleicht auch zu katholisch.
„Aber vielleicht stimmt das ja gar nicht“, überlegt Trawöger. Sich selbst auch mal auf den Kopf stellen, hinterfragen, das sei wichtig.
Bruckner habe das wohl nie gemacht, analysiert Kastner. Das größte Problem sei, dass er sich selbst nie hinterfragt habe, sondern sich eher als Opfer widriger Umstände gesehen hat: „Das ist keine gute Eigenschaft, das verhindert Entwicklung und Reifung, das verhindert, Erfahrung zu sammeln. Sich selbst zu hinterfragen, würde die Welt zu einem besseren Ort machen“, ist Kastner überzeugt.
"Bruckner komponiert sich frei"
Aus dieser Perspektive betrachtet meint Trawöger: „Vielleicht lehrt uns das Brucknerjahr auch, Werk und Schöpfer besser zu trennen.“ Oft entziehe sich das Werk dem Schöpfer.
Kastner überlegt dazu: „Ich habe das Gefühl, Bruckner komponiert sich einfach frei. Das ist dann nicht an alltägliche Befindlichkeiten gebunden. Ich habe kein Bedürfnis, das zu erklären.“ Gerade die Musik sei so persönlich in der Wahrnehmung, weil jeder die Dinge ganz anders höre.
Kastners Favorit? Bach. Mozart und Beethoven sei immer der Konflikt der Eltern gewesen. „Für mich war Mozart so ein heiteres Geplänkel, das ist ja viel zu oberflächlich, habe ich mir mit meiner ganzen tiefgründigen Vierzehnjährigkeit gedacht", erinnert sich Kastner mit einem Schuss Selbstironie, damals sei Tschaikowsky ihr Favorit gewesen. Der sei ihr heute zu schwülstig, zu pathetisch: "Er mag gefallen, wem er will, mir gefällt er nicht mehr."
Warum jetzt Bach? „Es ist diese Kombination aus Schönheit und Ordnung“, ohne musiktheoretisch über Fugen oder Anderes Bescheid zu wissen, wie sie betont: „Auf Bach kann ich mich oben drauflegen, und das hält. Mir geht es um das musikalische Erleben.“ Bei Bruckner und seiner freikomponierten Musik sei das aber auch gut möglich.
Dem pflichtet Trawöger bei: „Wenn nach einem Konzert wer kommt und sagt, schön war es, aber ich verstehe ja nichts davon, sage ich: Da sind wir schon zwei.“ Denn es gehe nicht ums Verstehen, dagegen verwehre er sich mit zunehmendem Alter.
Was wieder um Kastner aufgreift: „Verstehen ist sicher nicht des Pudels Kern. Schön war es. Punkt.“ So solle es nach einem Konzert sein. Und Trawöger bekräftigt: „Es gibt nichts zu verstehen, lass dich erfassen von der Musik.“
Der Podcast ist über die Website anton-bruckner-2024.at oder despudelskern.de abrufbar: Eine Empfehlung
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