Lebensraum statt Pflichtanstalt

Lebensraum statt Pflichtanstalt
In der Dorfhalleschule in Linz werden die Kleinsten von früh bis spät rundum betreut.

Wenn wir früher mit der Hausübung fertig werden, dürft ihr vor dem Mittagessen noch spielen“, sagt Lehrerin Susanne Huber und löst damit einen Jubel bei ihren kleinen Schülern aus. Schnell flitzen die Hände in die Höhe, als es darum geht, einen geübten Text zu wiederholen.

Dass Sechs- und Siebenjährige derart ambitioniert ihre Hausaufgaben angehen, mag für das ungeübte Auge seltsam anmuten, für die Klassenlehrerin ist das Alltag: „Man spürt, dass die Kinder hier gerne in die Schule gehen. Sie sind viel entspannter und zufriedener, wenn man ihnen ihr eigenes Tempo lässt. Zeit ist ein wichtiger Faktor.“

Individuelles Tempo

In der Dorfhalleschule, der Volksschule 33 in der Linzer Franckstraße, sind zwei Klassen – in einer davon sind Erst- und Zweitklässler gemischt – in der so genannten „verschränkten Form“ der Ganztagsschule. Das heißt: Täglich von 7.45 bis 16 Uhr wechseln sich Unterrichts- und Übungsstunden mit Freizeit und Freiarbeit ab.

Der Tag kann mit einer individuellen Übungsphase beginnen, dann geht es zum Spielen und Toben in den Hof, vor dem Mittagessen gibt es eine Deutschstunde und danach sind Hausaufgaben und Freizeit angesagt. Die verbringen die Kleinen in einem lichtdurchfluteten Wohnzimmer oder im Ruheraum, wo manche ein Mittagsschläfchen pflegen.

Lebensraum statt Pflichtanstalt
„Die Ganztagsschule ist keine Aufbewahrungsstätte, sondern ein Lebensraum, der sich den kindlichen Bedürfnissen anpasst“, erklärt  Direktorin Ingeborg Bammer. Das erfordere entsprechende Voraussetzungen und eine lange Vorlaufzeit. 2009 begann sie, intensiv an einem Konzept zu arbeiten, heuer zu Schulbeginn starteten zwei Klassen mit je 19 und 20 Kindern im Franckviertel.

Weg von der Fehler- und hin zu einer Förderkultur in der Schule wollte die erfahrene Pädagogin gehen – damit das gelingt, müssen aber Lehrer wie Eltern das Konzept mittragen. Einerseits entlaste man die Mütter und Väter, wenn man sich den ganzen Tag um ihr Kind kümmert, andererseits dürfe man sie nicht aus der Verantwortung entlassen, betont sie.

Lernen und spielen

Lebensraum statt Pflichtanstalt
Das Ganztagskonzept sei insbesondere im Franckviertel – mit seinem hohen Anteil an Migranten – ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Integration. Anstatt passiv die Schulbank zu drücken, sind die Kinder mit Migrationshintergrund ständig mitten in der Interaktion mit österreichischen Kindern. Das stärke den Zusammenhalt, das Erlernen der Sprache und durch die ständige Durchmischung in den Gruppen werde die soziale Kompetenz gefördert, weiß Bammer.

Auch sozial schwache Familien profitieren von der ganztägigen Betreuung: „Viele können ihre Kinder bei den Hausaufgaben nicht unterstützen, weil es ihnen an Zeit oder Wissen mangelt. Oft fehlen auch die finanziellen Mittel, um die Freizeit abwechslungsreich zu gestalten. Lernen, spielen, Sport und Freunde gehören bei dieser Schulform zum Gesamtpaket.“

Eltern und Kinder seien begeistert von der Ganztagsschule, sagt die Direktorin stolz. „Immer wieder höre ich, wie ausgeglichen die Kleinen daheim sind. Für die Familie ist es ein großes Geschenk, die gemeinsame Freizeit ohne Schulstress im Nacken verbringen zu können.“



 

Pionierarbeit für die Ganztagsschule (GTS) leistete Elisabeth Löger, Direktorin der Volksschule in Perg. „Vor sechs Jahren stand zur Wahl, ob wir den Hort ausbauen oder etwas Neues wagen. Wir haben uns getraut und konnten einige andere Schulen mitnehmen“, sagt sie.

Die verschränkte Form heißt in Perg EVA – kurz für Eigenverantwortliches Arbeiten. Die kleinen Evas und Adams werden von 20 der insgesamt 48 Lehrer betreut. „Wahlfreiheit ist ganz wichtig. Die Lehrer unterrichten in Teams und nur wer hinter dem Projekt steht, kann ein Teil davon sein“, betont die Schulleiterin. Mit 22 Unterrichtsstunden pro Woche sei ihre Arbeitszeit nicht länger als die der Kollegen mit herkömmlichem Vormittagsunterricht. Eine logistische Herausforderung sei jedoch, zu große Leerläufe im Stundenplan zu verhindern.

Integrierte Konzepte

Das Komplettpaket kostet in Perg maximal 35 Euro pro Monat – die Kosten sind nach Einkommen gestaffelt. Freie Plätze sind allerdings noch dünn gesät. „Das Thema Ganztagsschule darf kein Grabenstreit sein. Wahlfreiheit heißt, dass es auch ein Angebot geben muss“, sagt Löger.

Dem pflichtet SPÖ-Klubobfrau Gerti Jahn bei. Der Ausbau der verschränkten GTS erfordere eine Informationsoffensive und integrierte Konzepte, da vielerorts noch Skepsis besteht. Das Unterrichtsministerium sieht 80 Millionen Euro Förderung vor, derzeit wird diskutiert, die Mittel ab 2014 zu verdoppeln. „Ich bin überzeugt, dass diese Schulform zukunftsweisend ist und hoffe, dass sich die ÖVP in den Verhandlungen im Landtag dazu bekennt.“
 

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