„Körner riet händeringend vom Aufstand 1934 ab“

Militär und Polizei vor dem Hotel Schiff, der Parteizentrale der Sozialdemokraten, am 12.2.1934, wo der Aufstand begann
Richard Bernaschek löste am 12. Februar 1934 gegen den Willen von Parteichef Otto Bauer und von Theodor Körner den Aufstand des Schutzbundes aus.

85 Jahre sind seit dem sozialdemokratischen Aufstand am 12. Februar 1934 vergangen. Der Historiker Kurt Bauer (57) führte von 2012 bis 2014 mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich ein aufwendiges Forschungsprojekt durch, um die Anzahl und die Verteilung der Todesopfer zum 80. Jahrestag zu klären. Nun hat er die Ergebnisse des Projekts in Form eines spannend und zugleich informativen und detailreichen Buches vorgelegt.

KURIER: Der Februaraufstand 1934 ist in Linz los gegangen. Warum gerade in Linz?

Kurt Bauer: Es gab hier mit Richard Bernaschek einen sehr radikalen, energischen und auch erfolgreichen Schutzbundführer. Er war wie alle Sozialdemokraten und Linken mit der Entwicklung ab 1933 sehr unzufrieden.

Bernaschek hat damit gegen den Willen des Parteivorsitzenden Otto Bauer gehandelt. Bauer hielt einen Aufstand für aussichtslos, weil der Schutzbund, der militärische Arm, zu schwach war.

Bauer war ab 1933 gespalten. Kanzler Engelbert Dollfuß hat die Sozialdemokraten vor sich her und in die Enge getrieben. Die Partei hat sehr viele Mitglieder verloren. Die Jüngeren und Radikaleren waren beunruhigt, viele sind zu den Kommunisten abgewandert. Bernaschek hat bei seiner Versammlungstour durch Oberösterreich festgestellt, dass auch viele zu den Nazis gehen und dass sich kaum mehr Leute finden, wenn Funktionen zu besetzen waren. Die Partei war im Niedergang. Er wollte dem mit energischen Schritten entgegensteuern. Er kam zum Entschluss zuzuschlagen.

Anfang Februar hat die Polizei verstärkt nach Waffen des Schutzbundes gesucht. Alle wesentlichen Leute des Schutzbundes in Wien sind eine Woche vor dem Aufstand verhaftet worden. Die sozialdemokratischen Vertrauensleute in Oberösterreich wurden beschattet. Man wusste, dass Verhaftungen drohen.

Bernaschek hat am Sonntag, den 11. Februar 1934 seine Führungskräfte in der Parteizentrale im Hotel Schiff (Linz, Landstraße 36)versammelt. Sie beschließen einen Brief an die Parteiführung in Wien zu richten. Bernaschek schreibt, wenn noch einmal nach Waffen gesucht wird, werden wir bewaffneten Widerstand leisten. Ohne wenn und aber. Wenn die Wiener nicht mitgehen, dann Schande über sie, schrieb er. Zwei Kuriere brachten den Brief persönlich nach Wien, zu Bauer, zu Theodor Körner und zu Gewerkschaftschef Johann Schorsch. Körner war Bundesrat und ein Militärfachmann (von 1945–1951 Bürgermeister von Wien, 1951– 1957 Bundespräsident, Anm. d. Red.). Im Ersten Weltkrieg war er Generalstabschef der Isonzo-Armee.

Körner hat nach einer Inspektion festgestellt, dass der Schutzbund für einen erfolgreichen Aufstand zu schwach ist.

Nach den Verhaftungen der Schutzbund-Leute ist man zu Körner gekommen und hat ihn gebeten, den Schutzbund zu übernehmen. Er war ein paar Jahre vorher im Streit ausgeschieden, weil er der Meinung war, die Strategie des Schutzbundes sei falsch, er habe gegen eine reguläre Armee nie eine Chance. Körner hat die Bezirke inspiziert und ist zum Schluss gekommen, dass das Ganze völlig sinnlos ist. Er meinte auch, in der Arbeiterschaft gebe es nicht die geringste Erregung eines Volkszorns.

„Körner riet händeringend  vom Aufstand 1934 ab“

Kurt Bauer mit seinem neuen und empfehlenswerten Buch „Der Februaraufstand 1934 – Fakten und Mythen“ (Verlag Böhlau)

Ein Generalstreik sollte das Signal für den Aufstand sein.

Körner hat vorausgesagt, der Generalstreik werde nicht funktionieren. Die Menschen seien deprimiert und hätten nur Angst um ihre Arbeit. Und die Schutzbündler wüssten gar nicht, was sie im Ernstfall machen sollten. Er hat Parteichef Bauer händeringend vom Aufstand abgeraten. Bauer hat den Boten nach Linz zurückgeschickt, mit dem Auftrag nichts zu machen, Bernaschek soll aber am nächsten Tag zum Parteivorstand nach Wien kommen. Dann haben sie Bernaschek auch noch zu erreichen versucht. Das Telegramm ist nicht durchgegangen, aber ein Anruf an die Kinderfreunde im Hotel Schiff kam um 3.30 Uhr durch. Der Anruf fiel in der Linzer Telefonzentrale der Post auf. Diese verständigte den oberösterreichischen Sicherheitsdirektor Hans von Hammerstein-Equord, der sich soeben hingelegt hatte. Er war von einer Faschingsveranstaltung verspätet heimgekommen, da Faschingssonntag war. Hammerstein rief den Linzer Polizeidirektor Viktor Bentz an, der später von den Nazis sofort nach der Machtergreifung auf furchtbare Art ermordet worden ist. Bentz wohnte in der Landstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hotel Schiff. Ihm fiel auf, dass die ganze Nacht viel Bewegung im Hotel Schiff war. Er vermutete, dass Waffen aus oder ins Gebäude gebracht werden. Die Polizei wollte am Montag sowieso nach Waffen im Parkbad suchen, aber Bentz entschied dann, mit der Waffensuche im Hotel Schiff zu beginnen.

Bernaschek war die ganz Nacht im Hotel Schiff geblieben und hatte dort die wichtigsten Schutzbundführer versammelt. Es waren rund 40. Das war ein Fehler, denn zu diesem Zeitpunkt hätten sie in den geheimen Kommandozentralen längst untergetaucht sein müssen. Als die Polizei um sieben Uhr früh mit 20 Mann angerückt ist, hat Bernaschek seine Leute in den hinteren Saal, den Dametzsaal geschickt, der über dem Kinosaal lag.Er selbst hat sich in sein Büro eingesperrt und hat alle möglichen Leute angerufen. Vor allem Schutzbundeinheiten, die dann losgeschlagen haben. Und er verständigte den Magistratsmitarbeiter Theodor Grill, der in Wien bei der Arbeiterzeitung anrufen sollte. Nach dem Motto, in Oberösterreich geht es los und jetzt kommt es darauf an, ob die Wiener Arbeiter mitmachen. Der letzte Anruf Bernascheks ging an Landeshauptmann Schlegel mit der Bitte um Intervention. Die Polizei hat dann die Tür aufgebrochen und ihn verhaftet.

War der Aufstand unabwendbar oder wäre doch noch eine politische Lösung möglich gewesen?

Gemäßigte Kräfte wie Karl Renner oder Körner sind zum christlich-sozialen niederösterreichischen Landeshauptmann Josef Reither gegangen. Als sie aus Reithers Büro gekommen sind, sind sie verhaftet worden. Man könnte auch sagen, sie sind dorthin gegangen, um sich verhaften zu lassen.

Der Wiener Bürgermeister Karl Seitz und seine Stadträte sind im Rathaus sitzen geblieben und haben nichts gemacht. Das zeigt, dass keiner an den Sinn des Aufstands geglaubt hat. Sich in die Hände der Polizei zu begeben, war damals das Sicherste.

Ob der Aufstand zu verhindern gewesen wäre, ist schwer zu sagen. Es hätte nicht so kommen müssen. Die Situation war so angespannt, dass nur noch der Funke für die Explosion des Pulverfasses fehlte. Das war Bernaschek. Die Sozialdemokratie war völlig im Eck. Dollfuß hat sie vor sich hergetrieben, er hat mit niemandem verhandelt. Renner hat ein Staatsnotgesetz vorgeschlagen, das Dollfuß für vier Jahre weitestgehende Vollmachten eingeräumt hätte. Nicht einmal darüber hat Dollfuß verhandelt. Dollfuß war mit der Heimwehr, einer faschistischen Organisation verbündet, die ihre Befehle von Mussolini aus Italien erhalten haben. Dollfuß war auch selbst ein Getriebener. Die Führung der Sozialdemokratie hat auch nicht verstanden, wie stark der Druck auf den Dollfuß war. Sobald Dollfuß auf Angebote der Sozialdemokraten eingegangen wäre, wäre er sofort von der Heimwehr gestürzt und von Mussolini fallengelassen worden. Man darf nicht vergessen, dass es zu der Zeit täglich Anschläge der Nazis und großen Druck von Hitler-Deutschland gegeben hat.

Kurt Bauer beziffert die Anzahl der Toten mit 350 bis 360, in Oberösterreich mit 76 (30 Aufständische, 28 Exekutive, 12 Unbeteiligte, 6 unklare Fälle). Die meisten Toten waren in Linz, Steyr und im Hausrucker Kohlerevier Holzleithen zu beklagen. Hauptschauplätze der Schießereien in Linz waren neben dem Hotel Schiff das Parkbad an der Unteren Donaulände,die Eisenbahnbrücke, der Wirtschaftshof, das AKH, die Diesterwegschule, die Gebietskrankenkasse, der heutige Bulgariplatz, der Freinberg, der Jägermayrhof.

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