„Klerikalismus führt zu Scheuklappen“

Christoph Niemand, neuer Rektor der katholischen Privatuniversität
Christoph Niemand übernimmt mit 1. Juli das Rektorat der römisch-katholischen Privatuniversität in Linz.

Christoph Niemand, aufgewachsen in Kremsmünster, ist Universitätsprofessor für Bibelwissenschaften (Neues Testament). Er hat in Rom und Linz studiert. Der 61-Jährige übernimmt mit 1. Juli die Position des Rektors der katholischen Privatuniversität Linz, an der 18 ProfessorInnen unterrichten.

KURIER: Sie sind Neutestamentler. Was bedeutet das?

Christoph Niemand: Es geht darum, immer auf der Höhe der Zeit die Texte des Neuen Testaments zu verstehen. Und die Ergebnisse in den kirchlichen Diskurs einbringen. Die Kirche muss lernen, denn sie steht immer in anderen Herausforderungen der Öffentlichkeit. Das ist momentan das Wichtigste. In einem offenen, säkularen Staat, wo viele Wert- und Sinnanbieter da sind, muss man sich als Religionsgemeinschaft erklären können. Sie muss mit dem, was sie tut, das Vertrauen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit erwecken. Gerade wenn sie vom Staat gefördert wird. Was ist ihr Beitrag oder macht sie etwas Gefährliches?

Theologie ist die Selbstreflexion einer Religion. Was macht die Religion vor dem Forum der Vernunft? Wir wollen uns und anderen erklären, was Sache ist und wie das Christentum tickt.

Ihre Universität hat rund 540 Studierende. Warum studieren sie Theologie? Weil sie eine kirchliche Laufbahn einschlagen wollen oder weil sie Religionslehrer werden wollen?

Ein Drittel studiert auf der Theologischen Fakultät, ein schwaches Drittel auf der Fakultät für Philosophie und Kunstwissenschaft, und ein Drittel sind andere, die zum Beispiel in den Lehramtsstudien für Religionsunterricht sind. Sie sind aber nicht unsere Theologiestudierenden. Dazu kommen die Studenten des neuen Studiums der Kulturwissenschaften, das von der Kepleruniversität, der Kunstuni, der Bruckneruni und uns gemeinsam angeboten wird.

Ein Drittel der Theologiestudenten studiert schon auf einen kirchlichen Beruf hin, zum Beispiel, um Pastoralassistent zu werden. Das sind mehrheitlich Frauen. Diese kommen meist aus einem kirchlichen Umfeld.

Ein zweites Drittel der Theologiestudierenden befindet sich in einem Alterssegment von 35 bis 50. Das sind Frauen in der Babypause, die nicht in ihren früheren Beruf zurückkehren wollen. Sie wollen etwas anderes machen. Das ist oft wegen der Betreuungspflichten schwierig, aber wir bringen sie durch das Studium, aber sie brauchen oft bis zu acht, neun Jahre.

Eine ähnliche Situation haben wir im Studium für Philosophie und Kunstwissenschaft.

Ihre Absolventen sind in der Lage, Pfarren zu führen. Die Priesterschaft der Diözese ist überaltert, die Pfarrer werden weniger. Die Mehrheit der Pastoralassistenten, die ein abgeschlossenes Theologiestudium vorweisen müssen, sind Frauen. Sie werden aber nicht für die höheren Weiheämter zugelassen.Die Erwartungen, die hier in Papst Franziskus gesetzt wurden, haben sich bis heute nicht erfüllt. Wie sehen Sie diese Diskussion? Es ist natürlich grundsätzlich wünschenswert, dass die Weiheämter (Bischof, Priester und Diakon) von der Zölibatsverpflichtung gelöst werden. Vornehmlich Priester und Diakon. Der Zölibat war die Lebensform von Jesus und Paulus und hat die besondere eschatologische (die ihr eigentümliche, Anm.) Zeugnisfunktion. Ohne sie wird es eine Kirche nie geben.

Umgekehrt gibt es das große Problem, dass alle, die in der Kirche etwas zu reden haben, unverheiratete Männer sind. Hier gibt es Risikopotenzial bis hin zu den Missbrauchsfällen. In einer gemischten, diversifizierten Führungsgruppe hat man das nicht so. Wenn es eine männlich dominierte klerikale Kaste, eine Klerikalismus gibt, dann erhöht das die Risikofaktoren enorm, dass sich solche Cluster bilden.

Das beschädigt auch die Leitungskultur der Kirche, die heute global aufgestellt ist. Das führt zu Verengungen und Scheuklappen. Theologische Chancen werden dadurch nicht ergriffen.

Die römisch-katholische Kirche schneidet sich hier von dem riesigen Potenzial der Frauen ab, die für Leitungsfunktionen geradezu prädestiniert wären.

Wir sehen das auch sonst überall. Es tut zum Beispiel dem Bundesheer gut, wenn es weibliche Rekrutinnen gibt. Diversität (Verschiedenheit, Anm.) ist immer von Vorteil. Wir brauchen Männer und Frauen, wir brauchen Verheiratete und Unverheiratete, wir brauchen Junge und Alte. Das steigert nicht nur im säkularen Sinn die Leitungskultur, sondern auch im theologischen Sinn, damit unterschiedlich gelebte Sichtweisen und Spiritualitäten hereinkommen. Ich hoffe, dass wir bald verheiratete Männer als Priester und als ersten Schritt sehr bald weibliche Diakoninnen haben. Ich werde es aber wahrscheinlich nicht mehr erleben, dass Rom Frauen zu Priesterinnen weiht.

Die Christen feiern dieses Wochenende das Pfingstfest. Was bedeutet das?

Hier entsteht Kirche in der Urgeschichte. Es braucht Menschen, die von Jesus und seiner Botschaft infiziert waren. Sie haben Jesus am Kreuz scheitern sehen. Ihre Reaktion: Wir hätten gehofft, er sei der, der Israel erlösen wird. Was ist jetzt? Sie sind dann zum Glauben gekommen, dass Gott ihn auferweckt hat, dass Gott ein anderes Urteil gesprochen hat. Er hat Jesus lebendig gemacht, zum Inbegriff von einem funktionierenden Lebensentwurf. Das ist Ostern.

Zu Pfingsten erhält das eine neue Dynamik. Was ist eigentlich Gottes Geist? In der Sprache der Bibel bedeutet das Wort Geist bewegte Luft, eine kräftige Brise, oder einen leichten kühlenden Hauch, oft auch den Atem. Die Bibel meint mit Geist Gottes etwas Erfrischendes, Belebendes, etwas, das antreibt und für Bewegung sorgt. Im Lateinischen (spiritus) und Griechischen (pneuma) hängt Geist mit Atem, mit Hauch zusammen. Das hebräische Wort Ruach heißt Wind, das kann auch der Sturmwind sein.

In der Philosophie denkt man Geist als das Gegenteil zu Materie. Ein Felsblock ist harte Materie. wo er ist, kann nichts anders sein. Gott ist aber anders, er ist Geist. Sein Da-Sein verdrängt und erdrückt nicht, im Gegenteil. wo Gott ist, haben wir und die ganze Schöpfung, freien Raum zum Selber-Sein. Gottes Da-Sein ist also irgendwo auch ein Abwesend-Sein.

Seit 2000 Jahren lebt Jesus nicht mehr in dieser Welt, trotzdem ist er irgendwie da, er inspiriert uns, er macht uns fröhlich und mutig. Wenn wir an ihn denken, dann sehen wir die Welt anders, dann haben wir Energie und Lust, uns einzumischen und umzurühren. Diese Erfahrung nennen wir Geist Gottes, Jesu Geist, den anderen Beistand. Er ist bei uns und in uns.

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