„Kleine Initiativen, große Wirkung“

„Kleine Initiativen, große Wirkung“
Der Direktor der südböhmischen Entwicklungsbehörde, Jiri Vlach, über die Beziehungen zu Oberösterreich.

Jiri Vlach ist Direktor der Entwicklungsagentur für Südböhmen. Der 60-Jährige hat an der Universität Brünn Psychologie studiert und war zu den Zeiten der Wende Sprecher des Bürgerforums in Budweis. Er war der erste nichtkommunistische Kreishauptmann von Südböhmen und erster Vizepräsident des Parlaments in Prag.

KURIER: Wie sehen Sie das Verhältnis von Oberösterreich und Südböhmen?
Jiri Vlach: Es sind ganz normale nachbarschaftliche Beziehungen. Ich habe in Oberösterreich einige Freunde, aber ich liebe nicht alle und alles. Heute habe ich ein Dokument wiedergefunden, das ich 1992 mit dem damaligen Landeshauptmann Josef Ratzenböck unterzeichnet habe. Damals waren die Beziehungen nicht so problemlos. Die Tschechen haben sich vor Rückgabeforderungen aus Deutschland und Österreich gefürchtet. Die Kommunisten und die Republikaner haben versucht, den Leuten in den Grenzgebieten Angst zu machen. Mit den Jahren und den konkreten Erfahrungen hat sich das normalisiert.

Der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch, dessen Eltern vertrieben worden sind, meint, Rückgabeforderungen seien sinnlos. Es sollte aber eine Entschuldigung für die Vertreibungen geben.
Ich war damals noch nicht geboren. Ich habe mit meinen Eltern darüber gesprochen. Mein Vater hat die Vertreibungen bestätigt, aber gesagt, in der Schule darfst du das nicht sagen. Wir haben damals eine Art schizophrenes Leben geführt, weil die kommunistische Version eine andere war. Es war nicht leicht, zur richtigen Information zu kommen. Meine Geschichtelehrer war Hugo Portisch, denn das ORF-Fernsehen war die einzige objektive Informationsquelle, die wir empfangen konnten. Auf diese Art und Weise habe ich auch Deutsch gelernt.
Bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte haben beide Seiten noch viel zu tun. Tausend Jahre war es möglich, ohne Probleme zusammenzuleben. Und dann plötzlich die Vertreibung. Das war die Version, die ich sehr oft gehört habe. Die Vertreibung war eine unschöne Sache, aber sie fiel nicht vom Himmel. In den Jahren davor sind doch viele unschöne Dinge passiert.Vor allem in den Jahren von 1938 bis 1945, während der deutschen Besetzung und den Heydrich-Jahren, und in den Jahren danach wieder. Die Deutschen in den tschechischen Gebieten waren für den Anschluss an Deutschland. Die Tschechen wurden schikaniert, sie mussten ins Innere Tschechiens umsiedeln. Darüber will niemand reden. Es hängt alles zusammen. Die Vertreibung war eine Folge. Präsident Vaclav Havel hat gesagt, jede Kollektivschuld ist eine ungerechte Sache. Dafür haben ihn viele Leute kritisiert. Sicherlich haben Sie damit recht, dass wir eine Entschuldigung schuldig sind. Dasselbe gilt aber auch für die andere Seite.

Ein Thema, das die Beziehungen belastet, ist das Atomkraftwerk Temelin.
Anfang der 1990er-Jahre haben die Ministerien uns Abgeordneten die korrekten Zahlen verweigert. Ich als südböhmischer Abgeordneter hatte zu Temelin ein gespaltenes Verhältnis. Auf der einen Seite bin ich dagegen, eine derartige Rieseninvestition vorzunehmen, um dann die Hälfte des Stroms zu exportieren. Andererseits haben wir kaum andere Energiequellen. Die Kohlekraftwerke haben keine Zukunft. Natürlich wäre ich glücklicher, wenn hunderte Kilometer rund um Budweis kein Kernkraftwerk wäre. Ich bin gespannt, wie es Deutschland mit dem Ausstieg aus der Kernkraft in Zukunft gehen wird. Die Kollegen in Deutschland sagen mir, es ist nicht einfach, den Strom von den Windrädern des Nordens in den Süden zu transportieren.

Gute Nachbarschaftsbeziehungen haben auch mit wirtschaftlichen Beziehungen zu tun. Dafür sind gute Verkehrsverbindungen notwendig. Wie schaut es aus mit dem Autobahnbau von Prag zum Grenzübergang Wullowitz?
Zwischen Budweis und Tabor werden heuer zwei Autobahn-Teilstücke eröffnet. Sehr wichtig ist die Umfahrung von Budweis.
Das Problem ist, dass hier im Süden Tschechiens zu wenig Leute und damit zu wenig Wähler wohnen. In Nordmähren wurden zum Beispiel Autobahnen gebaut, über die wenig Verkehr geht und die teilweise parallel laufen und daher wenig Sinn machen. Aber dort leben die meisten Wähler. Vor den Wahlen werden Versprechen abgegeben, die Straßen werden dann gebaut, auch wenn sie wenig Sinn haben.

Wann wird die Autobahn BudweisPrag fertig sein?
Es gab schon so viele Prognosen. Es wird gebaut. Der Bau von Autobahnen fällt in die Kompetenz der Prager Regierung. Die Kreisbehörden können die Projekte nur unterstützen, indem es zum Beispiel zu keinen Problemen mit den Grundablösen kommt. Die Schnelligkeit des Baus hängt von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem Steueraufkommen ab. Im vergangenen Jahr kam es zu Verschiebungen, weil die Sparbudgets eingehalten werden müssen. Hier zeitliche Prognosen abzugeben, wäre unseriös. Wenn die S 10 durch das Mühlviertel fertig ist, erhöht das den Druck in Tschechien. Derzeit werden einzelne Passagen zwischen Budweis und Wullowitz verbessert. Die Straße ist derzeit schrecklich.

Die länderübergreifende Landesausstellung „Alte Spuren, neue Wege“ ist zweifellos ein Schritt zur Verbesserung der Beziehungen. Was kann man darüber hinaus noch tun?
Viele, kleinere gemeinsame Initiativen sind gut und wichtig. Ich habe zwei Mal mit dem früheren EU-Kommissar Günter Verheugen gesprochen, dass es unsinnig ist, den Fonds für Kleinprojekte zu kürzen. Denn mit den kleinen Projekten kann man mit wenig Geld relativ große Effekte erzielen. Die Menschen kommen zusammen und sehen, dass jenseits der Grenze keine Teufel wohnen, dass niemand etwas Unrechtes will.
Die Landesausstellung ist von den Kuratoren interessant gestaltet. Vor allem die Zeitgeschichte von 1918 bis 1989 ist gut bearbeitet. Es gibt ja keine speziellen Themen, die das Verhältnis Oberösterreich/Südböhmen belasten würden. Es sind die generellen Themen. Wichtig ist auch die Art der Aufarbeitung der Geschichte, damit sich die jungen Menschen dafür interessieren. Wir sollten nicht nur über das reden, was wir schlecht gemacht haben, sondern die gesamten damaligen Umstände darstellen.
Ich sehe hier bei uns in Tschechien ein sich stärker entwickelndes Problem. Seit der Wende 1989 sind rund 25 Jahre vergangen. Die Jungen sehen die heutige Situation als selbstverständlich an. Kaum jemand weiß noch, wie das Leben zwischen 1979 und 1989 ausgesehen hat. Die Schulen schaffen die Vermittlung oft nicht, weil es auch für die Lehrer ein schwieriges Thema ist.

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