„Karenzzeiten für Gehaltsvorrückungen anrechnen“

ÖVP-Klubobmann August Wöginger
ÖVP-Klubobmann August Wöginger: Absicherung der Pflege ist ein Hauptthema der Klausur des ÖVP-Parlamentklubs in St. Wolfgang.

August Wöginger war Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Der 44-Jährige wohnt in Sigharting (Bez. Schärding), ist seit 16 Jahren Nationalratsabgeordneter der ÖVP und seit 2017 Obmann des Parlamentsklubs. Zudem ist er Bundes- und Landesobmann der Arbeitnehmerorganisation ÖAAB.

KURIER: Ihr ÖAAB fordert seit Jahren die Abschaffung der kalten Progression. Die Regierung hat nun im Zuge der Steuerreform ihre Forderung nun auf das Jahr 2023 hinausgeschoben.

August Wöginger: Es ist Teil des Gesamtpaketes Steuerreform. Den Österreichern werden 6,3 Milliarden Euro im Zeitraum 2019 bis 2022 zugute kommen. Anfang 2023 soll die kalte Progression abgeschafft werden. Es ist ein Stufensystem mit einem logischen Aufbau. Die Senkung der Steuern auf 20, 30 und 40 Prozent. Jetzt gibt es den Familienbonus, dann werden die Geringverdiener bei den Sozialversicherungsbeiträgen um 700 Millionen Euro entlastet.

Der Bundesrechnungshof hat die Einkommensentwicklung veröffentlicht. Die Beamten schneiden mit 56.000 Euro Jahrsbruttoeinkommen am besten ab, die Angestellten haben 31.400 Euro, die Arbeiter 20.000, die Selbstständigen 12.000 netto. Während die Gehälter der Beamten um 81 Prozent gestiegen sind, waren dies bei den Arbeitern nur 24 Prozent. Muss diese Einkommensentwicklung nicht nachdenklich stimmen? Sind nicht die Arbeiter die Opfer der Globalisierung?

Wir haben im Öffentlichen Dienst auch Nulllohnrunden hinter uns. Alle Mitarbeiter werden dort heute dementsprechend gefordert. Früher hat es Zeiten gegeben, wo man dort wenig verdient hat und der Öffentliche Dienst unattraktiv war. Heute wird dort gewerkschaftlich gut gearbeitet.

Es ist bei den Arbeitern und Angestellten wichtig, Lücken zu schließen. Zum Beispiel bei den Karenzzeiten. Ich habe Druck gemacht, die Karenzzeiten für die Vorrückungen zur Gänze anzurechnen. Die Nichtanrechnung ist ein Hauptgrund für die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen. Der Handel und die Reinigungskräfte haben bereits abgeschlossen. Wir werden schauen, dass alle Sparten diese Zeiten anrechnen werden.

Kritiker aus den kirchlichen Funktionärsschichten und aus Rot und Grün werfen der die ÖVP vor, keine christlich-soziale Partei mehr zu s ein. Wie christlich ist die ÖVP noch?

Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen, was christlich-sozial ist. Für mich ist es christlich-sozial, wenn ich eine gute Ausgewogenheit in der Bevölkerungsstruktur habe. Und wenn die, die arbeiten, nicht die Dummen sind. Jenen, die in einer Notsituation sind, muss man helfen. Das passiert auch mit dem neuen Mindestsicherungsgesetz. Die Strukturen stimmen aber dann nicht mehr, wenn jene, die in der Mindestsicherung sind, damit ein höheres Einkommen erzielen, als jene, die arbeiten. Eine fünfköpfige Familie bekommt auch in Zukunft 2200 Euro netto pro Monat. Bisher erhielt sie 2600 Euro. Die 2200 Euro sind nach wie vor die höchste Sozialleistung, die es in Europa gibt. Es muss immer noch einen Unterschied geben, ob man arbeiten geht oder nicht.

Einrichtungen der Kirchen wie die Caritas oder die Diakonie kritisieren, dass die Flüchtlingspolitik unsozial und unmenschlich sei.

Die unabhängigen Asylgerichtshöfe entscheiden, ob jemand in Österreich bleiben kann oder nicht. Wenn kein Asylgrund vorliegt, kann der Betreffende nicht im Land bleiben. Andernfalls wird das rechtsstaatliche System infrage gestellt. Asyl ist ein Menschenrecht, das wir auf Punkt und Beistrich einhalten. Wir haben derzeit 32.000 Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, die beim AMS gemeldet sind. Was nicht geht, ist, dass wir zu einem Zieleinwanderungsland für jene werden, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich kommen wollen. Wir müssen die Zuwanderung in unser Sozialsystem stoppen.

Der ÖVP-Parlamentsklub trifft sich die nächsten drei Tage zur Klausur in St. Wolfgang. Welche Themen stehen an?

Nach den Eingangsstatements von Bundeskanzler Sebastian Kurz und meiner Wenigkeit wird Professor Gottfried Haber (Uni Krems) übe die Steuerentlastung sprechen wird. Es folgt der große Oberösterreicher-Abend. Der zweite Tag ist der Digitalisierung gewidmet, mit den Ministern Schramböck und Faßmann. Dazu kommen Universitätsexperten. Wir müssen den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen und vermitteln, dass sie eine Chance ist. Das dritte Thema ist die Pflege, bei dem eine Kollegin vom Roten Kreuz aus der Praxis reden wird. Es wird darum gehen, den Menschen das zu geben, sie brauchen, damit sie so lange wie möglich zu Hause bleiben können.

War die Abschaffung des Pflegeregresses im Wahlkampf vor eineinhalb Jahren nicht falsch? Sie hat zu einer sprunghaften Nachfrage nach Pflegeplätzen geführt.

Mich hat es immer gestört, dass die, die etwas hatten, zahlen mussten und jene, die nichts hatten, nichts zahlen mussten. Viele Menschen müssen eine Generation lang sparen, damit sie Haus- oder Wohnungskredite zurückzahlen können. Wenn man beim einen zugreifen kann, beim anderen aber nicht, weil er gerne auf Urlaub gefahren ist, dann ist das eine Ungerechtigkeit. Aus Eigentumssicht war die Abschaffung richtig.

Die derzeitige Pflegefinanzierung ist keine schlechte Lösung, sie is t bis 2021 gesichert, wir finanzieren die Pflege aus mehreren Töpfen. Deutschland hat eine Pflegeversicherung und es hat damit Probleme. Ihre Einführung würde zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten führen. Wir vom ÖAAB haben schon einmal einen Vorschlag unterbreitet, dass kraft seines Einkommens einen Obulus leisten soll.

In welcher Form?

In Form einer Abgabe. Zum Beispiel ein halbes Prozent der Steuerbemessungsgrundlage. Das wären bei 1000 Euro fünf Euro.

Worauf wird es bei der Finanzierung letzten Endes hinauslaufen?

Wir prüfen das. Ist ein Versicherungssystem noch rechtzeitig möglich oder kommen wir zur Erkenntnis, dass wir sie weiterhin aus dem Steuertopf finanzieren?

Kann der Staat angesichts des Wachstums der älteren Bevölkerung die gesamte Pflegeleistung auf Dauer erbringen?

Wir haben in der Pflege ein sehr gutes Niveau, wir sind Pflegeweltmeister. Sowohl im mobilen als auch im stationären Bereich. Es gibt einige wesentliche Fragen. Es braucht optimale Rahmenbedingungen für die pflegenden Angehörigen. Die Familienverbände sind nicht mehr so wie sie einmal waren. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Wie können wir dort noch besser unterstützen?

Wir müssen uns die 24-Stunden-Betreuung nochmals im Detail anschauen. Und wie schaut es mit dem Pflegegeld aus, damit es zielgerichtet ist?

Der zweite Punkt ist, dass wir einem Personalmangel entgegengehen. Wie können wir die Lücke zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr schließen, denn die Pflegeausbildung ist derzeit erst mit dem 17. Lebensjahr möglich. Aber mit 17 haben die meisten schon einen anderen Lehrberuf. Und was machen mit Wiedereinsteigerinnen oder den Umsteigerinnen? Die Menschen können es sich nicht leisten, zwei Jahre Ausbildung zu machen ohne etwas zu verdienen.

Der dritte Punkt sind die One-Stop-Shops. Dass eine Stelle für alle Pflegefragen zuständig ist. Und wo können wir entbürokratisieren?Derzeit muss viel zu viel aufgezeichnet werden.Auch die Überprüfungen sind zu viel.

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