"Die Europäer sind zu bequem"

Ein außergewöhnlicher Mann und Politiker, der die tschechische und Schweizer Staatsbürgerschaft hat: Karel Schwarzenberg ist authentisch, charismatisch und nennt die Dinge beim Namen.
Der tschechische Politiker über Putin, die USA, EU, China und das Ende der Großparteien.

Karel Schwarzenberg war von 2007 bis 2009 und von 2010 bis 2013 Außenminister der Tschechischen Republik. Als Vaclav Havel nach der Revolution 1989 zum Präsidenten gewählt wurde, war er dessen Kabinettschef.

Der 76-Jährige ist Vorsitzender der von ihm 2009 mitgegründeten Partei TOP 09. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr wurde er Zweiter. Nach schwarzenbergscher Familientradition ist der Name Schwarzenbergs Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg, Herzog zu Krummau, gefürsteter Graf zu Sulz und Landgraf im Kleggau. Schwarzenberg war vergangenes Wochenende Hauptreferent der Denkwerkstatt academia superior in Gmunden.

KURIER: Es gab im vergangenen Jahr die länderübergreifende Landesausstellung Oberösterreich–Südböhmen. Nächstes Jahr soll die S 10 fertig sein, die die Verbindung von Linz nach Böhmen verbessert. Ist es möglich, dass das Mühlviertel und Südböhmen wieder ein gemeinsamer Raum wird wie er das früher war?
Karel Schwarzenberg: Aber sicher. Solange es mühsam war, zwischen Linz und Budweis zusammenzukommen, haben sich die Leute weniger oft getroffen. Diese Projekte sind nicht nur gut, sondern hervorragend. Die künstlichen Grenzen, die früher eine wesentlich geringere Rolle gespielt haben, spielen jetzt in der EU auch eine geringere Rolle. Es wird alles natürlich zusammenwachsen. Das wird etwas dauern, aber ich sehe das als durchaus wahrscheinlich. Wir werden auch die Vorteile überwunden müssen, die sich über Generationen vererben.

Die Budweiser hätten auch gerne eine Autobahn nach Prag, aber sie werden nicht wirklich gehört. Warum passiert auf tschechischer Seite nicht mehr?
Sie dürfen nicht vergessen, dass Österreich mit Abstand reicher ist als die Tschechische Republik. Mit begrenzten Mitteln kann man nur begrenzt Autobahnen bauen. Wie hier in den 1960er-Jahren. Wo ka Geld ist, is ka Musi.

Wann ist die Autobahn realisierbar?
In den nächsten Jahren. Es hängt auch ab von der Prioritätenliste der Regierung. Es gibt einige Straßenprojekte, die noch notwendig sind, vor allem eine Autobahn von Prag nach Breslau und nach Dresden und Berlin. Die Autobahnverbindung nach Wien ist auch noch offen.

Sie sehen die Zukunft der Großparteien skeptisch. Warum?
Sie sind inhaltslos geworden. Ich sehe weder bei der ÖVP noch bei der CDU Leute, die wirklich die christliche Soziallehre umsetzen. Dasselbe gilt für die Sozialdemokraten. Das sind alles mehr oder minder liberale Parteien, die ein wenig mehr nach links oder nach rechts neigen.

Das heißt, sie müssten sich wieder stärker an ihren Grundsätzen orientieren?
Sie müssten irgendwelche Grundsätze haben. Warum soll man einem Verein angehören,der keine Ideen und Visionen hat?

Wenn es mehr Kleinparteien gibt, ist das Regieren schwieriger.
Natürlich. Das wird auch die Zukunft sein. Wir werden uns eben in vielerlei Hinsicht auf etwas mühsamere Zeiten einstellen müssen.

Sie sind auch skeptisch, was die Aufrechterhaltung des Wohlstands betrifft.
In dem Moment, wo man feststellen muss, dass die erstklassigen Hochschulen der Welt nicht in Europa sind, sondern in Amerika, in China, in Japan, in Indien, dann hat das zur Folge, dass uns die anderen übertreffen.

Sind die Europäer zu bequem?
Ja. Ich höre immer wieder Klagen über die mangelnden Sozialleistungen, aber nie höre ich etwas über die mangelnden Leistungen. Es gibt keine Anstrengungen von staatlicher Seite, unsere Universitäten auf Weltklasseniveau zuheben. Die gibt es nicht. Leider auf dem ganzen europäischen Kontinent nicht.

Sie argumentieren, wir leben in einer Zeit des Epochenwechsels. Warum?
Das politische System mit den Parteien, das im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden ist, verliert nach 150 Jahren seine Attraktivität. Das Bestehende wird kaum in dieser Form bleiben. Diese demokratischen Parteien sind zu uninteressant. Seit 1989/’90 konnte sich Europa in ziemlicher Sicherheit wiegen. Diese Zeit ist auch vorbei. Wir haben jetzt eine klare Aggression gegen einen europäischen Staat zu gegenwärtigen. Das bedeutet, dass die Sicherheit, auf die wir uns verlassen haben, auch vorbei ist. Europa muss sich um seine Sicherheit sehr, sehr viel mehr kümmern. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir nur für unseren Wohlstand gearbeitet. Unter dem amerikanischen Schutzschirm. Der wird bedingter werden, weil die Amerikaner nicht einsehen, warum das reiche Europa nicht für seine eigene Verteidigung sorgt. Sie wenden sich mehr dem pazifischen Raum zu.

Das bedeutet, dass die Europäer mehr Geld für die Verteidigung ausgeben müssen.
Sie werden sich für die europäische Sicherheit etwas einfallen lassen müssen und sehr viel mehr Mittel dafür aufwenden müssen.

Ist eine gemeinsame europäische Armee realistisch?
Sie wird sich mit der Zeit entwickeln.

Treten die Europäer Putin zu wenig energisch entgegen?
Alle sind fasziniert von den großen Geschäftsmöglichkeiten in Russland und betrachten nicht die Ziffern. Wenn sie die Erträge der westeuropäischen Firmen in Russland anschauen würden und mit jenen in den osteuropäischen EU-Staaten vergleichen, würden sie sehen, wo die größeren Möglichkeiten sind. Sie liegen in Osteuropa. Alle sind fasziniert von der Größe Russlands und seinen Bodenschätzen und ignorieren die mangelnde Infrastruktur, die mangelnde Rechtssicherheit, etc.

Wie schätzen Sie den Politiker Putin ein?
Er ist ein Mann des Geheimdienstes. Er ist Absolvent der Felix Dserschinski Akademie des KGB, wobei man wissen muss, dass Dserschinski einer der größeren Mörder der Weltgeschichte war. Der Geheimdienst hat ihn geprägt. Er denkt in Kategorien der Macht. Für ihn war der Zerfall der Sowjetunion die größte geschichtliche Katastrophe des 20. Jahrhunderts, in einem Jahrhundert, im dem immerhin zwei Weltkriege stattgefunden haben.

Die Amerikaner favorisieren den pazifischen Raum. Wie schätzen Sie China ein?
Eine Großmacht, die zweifellos in kürzester Zeit Weltmachtstatus erreichen wird. Es wird seine Interessen hart verteidigen. Es wird in einiger Zeit leicht aggressiv sein. Noch nicht ganz aggressiv, denn noch sind sie mit ihrer Rüstung noch nicht so weit.

Sie haben in Gmunden die Zuhörer mit der Begebenheit des stellvertretenden Vorsitzenden des sowjetischen Ministerrates Anastas Mikojan fasziniert. Dieser war nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages wegen der Reparationen zu Besuch in Österreich und nahm im Gmundner Hotel Schwan eine Jause ein. Da wollte ihm der regionale kommunistische Sekretär die Aufwartung machen, dem Mikojan mit dem Blick auf den Traunsee entgegnete, wie kann man in so einem schönen Land Kommunist sein? Diese Begebenheit liegt nun schon 60 Jahre zurück. Warum merken Sie sich solche Details?
Ich habe Mikojan schon damals für interessant gehalten. Ich war noch jünger, ich habe ein besseres Gedächtnis gehabt. Ich bin ein Sammler von überflüssigem Wissen.

Zu Ihrer persönlichen Zukunft. Sie sind Vorsitzender von TOP 09. Was wollen Sie noch machen?
Ich will meine Aufgaben noch beenden. Ich habe keine größeren Erwägungen für meine Zukunft. So lange ich noch kann, werde ich noch etwas machen. Aber Pläne für eine persönliche Karriere habe ich nicht.

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