„In Afghanistan wurden nie Strukturen aufgebaut“

Otto Hirsch
Die Textilfabrik, die der Unternehmer Otto Hirsch im nordafghanischen Kundus gemeinsam mit 40 Frauen aufgebaut hat, wurde von den Taliban zerstört.

Otto Hirsch (62) ist Unternehmer in Linz-St. Florian (rund 300 Mitarbeiter) und stattet weltweit Projekte wie Krankenhäuser, Hotels etc. aus. Er hat in vielen Ländern Entwicklungsprojekte initiiert, aktuell ist er in der Ostukraine, in Nairobi und in kleinen Einzelprojekten engagiert. Es gelang ihm mit der Unterstützung des Landes OÖ, der Caritas und mit Spenden aus der Wirtschaft, 2003

in der nordafghanischen Stadt Kundus (350.000 Einwohner) eine Textilfabrik für 40 Frauen aufzubauen. Das Projekt enthielt auch Ausbildung und einen Kindergarten. „In den fünf Jahren sind 1,3 Millionen Euro investiert worden.“

Auf 80 Frauen verdoppelt

2008 wurde das Projekt an die involvierten Frauen übergeben. 2011 hat sich die Anzahl der beschäftigten Frauen auf 80 verdoppelt. Sie haben mit Minzewasser ein zweites Produkt entwickelt, das über Apotheken vertrieben worden ist. 2015 ist das Krankenhaus in Kundus nach einem amerikanischen Angriff explodiert, kurz darauf sind die Taliban einmarschiert und haben die Fabrik zerstört. Die Frauen sind mit einem Teil der Nähmaschinen nach Kabul geflüchtet. Hirsch: „Ich habe 2019 noch einmal zehn dieser Frauen getroffen, die in Kabul wieder zu produzieren begonnen haben. Wir wollten noch einmal einen Restart machen“, die Aussagen über die Zukunft Afghanistans seien aber alle sehr negativ gewesen. „Mir blutet das Herz“, sagt Hirsch, „den Frauen wird keine Chance gegeben.“ Die Frauen in der Fabrik seien sehr clever gewesen. Sie hätten verstanden, worum es geht. Sie hätten nicht mehr zwölf Kinder bekommen.

KURIER: Angesichts der Machtübernahme der Taliban drängt sich die Frage auf, waren denn alle Bemühungen umsonst?

Otto Hirsch: Hier liegt ein völliges Versagen der NATO vor. Es war alles umsonst. Man wollte eine Zeit lang im Land bleiben, aber ich glaube, es war immer klar, dass das Land an die Taliban zurückgeht.

Woraus schließen Sie das?

Wenn man etwas anderes gewollt hätte, hätte man in die Bevölkerung, in Bildung, in den Mittelstand und in Industrieprojekte investieren müssen. Und nicht nur in Militär, Verwaltung und Waffen. Wenn man das wirklich will, kann man ein Land in 20 Jahren neu aufstellen.

Und da ist nichts passiert?

Da ist null passiert. So wurde zum Beispiel der Bau der Straße von Kundus nach Kabul an die Chinesen vergeben. Das mag vielleicht vom wirtschaftlich-rechtlichen Standpunkt richtig gewesen sein, aber sie haben für den Bau 250 Sträflinge geschickt. Die Afghanen profitierten weder bei den Arbeitsplätzen noch bei der Wertschöpfung.

Der Militäreinsatz hat allein die USA 1.000 Milliarden Dollar gekostet, 2.400 ihrer Soldaten sind gefallen, 5,5 Millionen Afghanen sind geflüchtet. Was hat das Ganze für einen Sinn gehabt?

Ich gehe davon aus, dass gewisse Strukturen bzw. Gruppen Vorteile gehabt haben. Es war vorhersehbar, dass es so kommt, wie es gekommen ist.

Welche Strukturen bzw. Gruppen haben profitiert?

Zum Beispiel die amerikanische Rüstungsindustrie. Oder andere Bereiche. Ein Beispiel. In Kundus ist Weizen statt Mohn angebaut worden. Knapp vor der Ernte wurde mit Entwicklungshilfe-Geldern Weizen in den USA aufgekauft, mit dem das Land überschwemmt worden ist. Die Folge war, dass der Weizen in Kundus nicht geerntet worden ist und die Menschen dann wieder Mohn angebaut haben.

Wir als Textilfabrik in Kundus durften uns an der Ausschreibung für Textilien in Krankenhäusern nicht beteiligen. Mit amerikanischen Geldern sind die Bekleidungen in China gekauft und importiert worden. Es wurde nicht versucht, vor Ort Strukturen aufzubauen.

Wie soll der Westen mit den Taliban umgehen?

Sie gehören zurückgedrängt und weg von der Macht. Man muss Afghanistan mit den Menschen, die dort leben, neu aufbauen. Die Taliban haben oft genug gezeigt, dass sie das nicht können und andere Interessen verfolgen.

Man muss die Frage stellen, wozu war der 20-jährige Einsatz gut und ist das das Ergebnis? War das bewusst gesteuert oder war es Unvermögen?

Der Abzug der US-Truppen war falsch?

Absolut. Falsch in der Zeit, in der Geschwindigkeit, und dazu kommt noch die Unklarheit. Oder es war sowieso vereinbart, dass die Amerikaner das mit den Taliban ausverhandelt haben?

Viele Afghanen wollen raus. Soll Österreich Flüchtlinge aufnehmen, was Bundeskanzler Sebastian Kurz verweigert? Oder soll man Lager in den Nachbarländern aufbauen?

Die Wahrheit ist, dass die Afghanen, die bei uns Aufnahme gefunden haben, bereits aus den Nachbarländern wie zum Beispiel dem Iran kommen. Ich glaube auch, dass es extrem kritisch ist, Afghanen einfach in ein Flugzeug zu setzen und hierher zu transportieren, ohne ein intensives Integrationsprogramm und ohne eine intensive Begleitung. Das geht schief. Sie kommen aus einer ganz anderen Kultur.

Es gibt Beispiele von gut integrierten Afghanen und es gibt tragische und schlechte Beispiele. Und es gibt welche mit kriminellen Energien, die man nicht ändern kann.

Wir dürfen aber auch nicht sagen, Afghanistan geht uns nichts an. Wir hatten Projekte dort. Es haben Menschen für uns vor Ort Position bezogen, die nun gefährdet sind.

Als außenstehender Beobachter fragt man sich, warum die afghanischen Truppen nicht für die Freiheit ihrer Landsleute gekämpft haben?

Sie hatten keine Kompetenz. Die Machthaber sind alle in den USA ausgebildet worden. Sie waren die Ersten, die davongelaufen sind, die Taschen voll mit Geld.

Die Rückführung von straffällig gewordenen afghanischen Asylwerbern ist aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vorerst ausgesetzt worden.

Es macht keinen Unterschied, ob man Menschen, die abgeschoben werden, was ich ja verstehe, aus dem Flieger rauswirft oder ob man das Flugzeug landen lässt. Man braucht dort eine Grundlage an Sicherheit, damit man überlebt. Die haben die Menschen dort nicht.

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