„Im internationalen Fußball herrscht Turbokapitalismus“

Leo Windtner beim Mostmachen
Nach gut zwölf Jahren im Amt tritt Leo Windtner heute als ÖFB-Präsident ab. Der Sport hat zu wenig Stellenwert, sagt der 71-jährige St. Florianer. Von Gerhard Marschall.

„Die Qualität wird nicht so schlecht werden, aber die Menge wird weit hinten sein.“ Zwiespältig sind Leo Windtners Erwartungen an den heurigen Most. Vor allem bei den Birnen gebe es enorme Defizite, „die lassen einfach aus“. Das Mostmachen ist eine Leidenschaft des 71-Jährigen aus St. Florian bei Linz, der für seine Hobbys künftig mehr Zeit haben wird. Heute geht Windtners Amtszeit als Präsident des Österreichischen Fußballbundes zu Ende. Nach einem wenig berauschenden 2:0-Sieg des Nationalteams auf den Färöer-Inseln und einem 0:1 gegen Dänemark ist er am Mittwoch mit drei Punkten in Gepäck von seiner letzten Dienstreise in Sachen Fußball heimgekehrt. Die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Katar konnte ihm die Mannschaft zum Abschied nicht schenken, aktuell liegt sie nur auf Platz vier.

KURIER: Was waren die Gründe für das enttäuschende Abschneiden?

Leo Windtner: Die Enttäuschung ist berechtigt. Der Grund dafür lag zuletzt in einer langen Verletztenliste wie kaum einmal zuvor. In Kopenhagen haben sage und schreibe acht Mann gefehlt, darunter die ganze Offensivformation. Auf der anderen Seite gab es bei den Spielen im September viele Individualfehler.

Quasi durch die Hintertüre Play-off kann sich das Team im Frühjahr doch noch qualifizieren. Mit Franco Foda als Teamchef?

Der Teamchef ist ein Teil des Ganzen. Aber nur ihn als Sündenbock festzumachen ist unfair und auch nicht gerechtfertigt. Wenn wir im Frühjahr wieder alle Verletzten zur Verfügung haben, dann ist das Team wieder jenem bei der EM ähnlich.

Es gibt massive Kritik an der WM in Katar: Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Sklavenarbeit und viele Tote auf den Baustellen. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung des Weltfußballverbands FIFA?

Dass die Vergabe an Katar kein Glücksschritt für den Fußball gewesen ist, hat sich hinlänglich herausgestellt. Das Thema Menschenrechte, das Thema Geopolitik, auch dass der Fußballkalender total auf den Kopf gestellt wird – alles das wurde viel zu wenig bedacht. Andererseits glaube ich, dass die Weltöffentlichkeit auf Katar und die dortigen Zustände blickt. Es wird wesentlich mehr Verbesserungen geben, als es möglicherweise ohne die WM gegeben hätte.

Im Kern geht es immer noch um mehr Geld. Ist der Fußball dabei, seine Seele zu verkaufen? Oder hat er das ohnehin längst getan?

Im Spitzenfußball ist die Kommerzialisierung so weit vorangeschritten, dass auf internationaler Ebene eigentlich von Turbokapitalismus zu sprechen ist. Pläne wie die einer biennalen WM führen zu einer Verflachung des Interesses und einer Verknappung der Ressourcen. Und wenn man sieht, welche TV-Angebote mit Konferenzschaltungen zum Überfluss es gibt, ist die Gefahr gegeben, dass das inflationistisch wird.

Der Sport war eine Dominante in Windtners Leben. Auf seine Aktivzeit als Kicker folgte eine Reihe von Präsidentenämtern: Union St. Florian, Sportunion Oberösterreich, Landes-Fußballverband. 2009 wurde er zum ÖFB-Boss gewählt. Eigentlich wollte er noch vier Jahre anhängen, im August hat er seine Kandidatur jedoch zurückgezogen.

Was waren die Gründe für den Verzicht?

Es hatte im Vorfeld den Anschein, dass man es goutieren würde, wenn ich noch einmal antrete. Ich habe klar gesagt: Wenn es eine breite, einhellige Unterstützung gibt, werde ich es machen. Aber ich führe sicher keinen Wahlkampf. In den weiteren Diskussionen ist das Thema Generationswechsel aufgetaucht, das habe ich zur Kenntnis genommen.

Sind Sie enttäuscht?

Ich gehe ohne jede Bitternis. Ich bin vom Herren- und Frauennationalteam mit viel Wertschätzung und Dankbarkeit verabschiedet worden, das hat mich überwältigt.

Wie fällt Ihre Bilanz aus: Was ist gelungen, was nicht?

Sportlich ist zu sagen: zweimal EM-Teilnahme, auch mit den Frauen, Gruppe A in der Nations League. Wir sind wirtschaftlich gut aufgestellt, nicht vermögend, aber von guter Substanz. Bei der Organisation sind wir ein Top-Verband, und die Planungen zum Projekt Seestadt Aspern mit ÖFB-Headquarter und Trainingszentrum liegen im Finalstadium. Es gibt mit Bund und Stadt Wien eine grundsätzliche Einigung auf eine Drittelfinanzierung. Jetzt muss das in einen konkreten Beschluss durch das Präsidium gegossen werden.

Sein komplettes Berufsleben hat Windtner bei der Energie AG, vormals OKA, absolviert. Dort stieg er nach dem Studium 1978 ein und in weiterer Folge beständig auf – bis zum Generaldirektor. 2017 schied er aus dem Unternehmen aus. Nebenher war er politisch aktiv, von 1985 bis 1995 als ÖVP-Bürgermeister von St. Florian. Parteipolitik spiele im ÖFB keine Rolle, versichert Windtner, auch wenn ihm jetzt ein deklarierter SPÖ-Mann nachfolgt. Der Burgenländer Gerhard Milletich (65) soll heute von der ÖFB-Bundesversammlung in Velden zum Präsidenten gekürt werden.

Apropos Politik: Die zeigt sich gerne bei sportlichen Großereignissen wie Länderspielen und sonnt sich im Glanz der Sieger. Schlägt sich das auch in der Sportpolitik nieder?

Wir müssen feststellen, dass der Sport in Österreich bei Weitem noch immer nicht den Stellenwert genießt wie in anderen Ländern, allen vor den skandinavischen. Ich denke etwa daran, wie lange sich das Thema „Tägliche Bewegungseinheit“ hingezogen hat.

Sie haben kein einziges der 125 Länderspiele in Ihrer Präsidentschaft versäumt. Welches war das Beste?

Da muss ich einfach immer wieder das 4:1 unseres Teams 2015 in Schweden nennen. Da waren die Österreicher fast brasilianisch.

Pelé, Cruyff, Maradona, Beckenbauer – wer war der beste Fußballer aller Zeiten?

Meines Erachtens schon Pelé, er war der umfassendste Spieler.

Und wer war der beste österreichische Kicker?

Herbert Prohaska, unser Jahrhundertspieler.

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