Hummer: „Es brennt der Hut. Wir müssen aus der Krise kommen“
Doris Hummer ist seit 2017 Präsidentin der Wirtschaftskammer OÖ und Obfrau des ÖVP-Wirtschaftsbundes. Von 2009 bis 2015 war die 51-Jährige Bildungslandesrätin.
KURIER: Die Industrie ist in der Rezession, KTM ist insolvent, die Arbeitslosigkeit steigt. Wie viele Unternehmen werden noch in der Pleite enden?
Doris Hummer: Einzelereignisse wie KTM überraschen sehr wohl, nicht aber die Rezession. Unser wichtigster Handelspartner Deutschland ist ebenfalls in der Rezession, davon können wir uns nur ganz schwer bis gar nicht abkoppeln. Die Explosion bei den Energie- und Personalkosten hat dazu geführt, dass wir uns aus dem Wettbewerb gepreist haben. Die Hälfte unseres Bruttoregionalprodukts hängt vom Export ab.
Arbeiterkammerpräsident Andreas Stangl fordert staatliche Eingriffe bei den Energiepreisen. Teilen Sie seine Meinung?
Wir müssen bei den Energiepreisen sicherstellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass man bei den Preisen eingreift, wie das Kollege Stangl vorgeschlagen hat. Der Energiepreis setzt sich aus dem Marktpreis und den Netzgebühren zusammen. Unser Ziel sind wettbewerbsfähige Energiepreise. Das ist auch ein Auftrag an die kommende Bundesregierung.
Sie erwarten, dass die Regierung eingreift.
Ich erwarte, dass sie sicherstellt, dass wir bei den Energiepreisen wettbewerbsfähig sind. Da gibt es verschiedene Modelle wie Gewerbetarife oder Industriestromtarife. Ich will nicht wieder Fördermodelle haben, die ein Jahr später kommen. Das treibt uns trotzdem die Preise hoch.
Das war ein Fehlgriff der Regierung.
Ja, das war eine Fehlentscheidung. Wir haben schon damals einen Eingriff in die Energiepreise gefordert. Wir hätten uns viel Kummer erspart. Denn die Preise hatten nichts mehr mit den tatsächlichen Kosten zu tun. Wir hatten eine Verzehnfachung der Preise und haben ihn trotzdem mit Wasserkraft produziert. Nun haben wir die Rechnung präsentiert bekommen. Die Löhne haben nachgezogen, die Konjunktur schwächelt. Beides ist korrigierbar. Wir können die Lohnnebenkosten senken und bei den Energiepreisen eingreifen.
Die Stromnetze müssen in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden. Wirtschaftslandesrat Markus beziffert die Kosten mit 100 Milliarden Euro bis 2040. Wer soll das zahlen?
Es braucht einmal einen ehrlichen Blick, wie wir die Infrastruktur finanzieren. Es ist eine Infrastruktur wie Straßen oder Bahnen. Hier soll der Staat seine Aufgaben übernehmen. Die Energieversorger haben in den vergangenen Jahren entsprechende Rücklagen gebildet, sodass hier einiges finanziert werden kann.
Die Energiekonzerne machen Milliardengewinne, sie sollen zahlen?
Das ist ja ihre eigene Botschaft. Sie sagen, sie brauchen diese Gewinne, weil investiert werden muss.
Selbst wenn es der Staat finanziert, zahlt es letzten Endes wiederum der Steuerzahler.
Es ist immer eine Frage der Leistbarkeit. Aktuell haben wir eine Situation, in der die Industrie wettbewerbsfähig bleiben muss. Es gibt auch auf europäischer Ebene viele Milliarden für Investitionen. Energieinfrastruktur wird einer der entscheidenden Zukunftsfaktoren sein. Dazu kommt, dass wir im EU-Binnenmarkt mit der Strompreiszonentrennung das System noch künstlich verteuern.
Die Koalitionsgespräche zur Bildung einer Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und Neos laufen. Wird der Wirtschaftsbund die von der SPÖ geforderten Erbschafts- und Vermögenssteuer akzeptieren?
Nein. Sie wird es mit uns nicht geben.
Selbst wenn das zum Gesprächsabbruch führt?
Richtig. Das sind unsere roten Linien. Das sind Substanzsteuern bei Betriebsübergaben. Damit gefährden wir die Familienbetriebe, die ein Pfeiler unseres Wohlstands sind. Wenn Teile des Betriebs veräußert werden müssen, um die Steuern zu bedienen, dann wird es viele geben, die das Unternehmen nicht mehr übernehmen. Diese werden dann veräußert, die internationalen Konzerne werden sie aufkaufen. Das wird ein Begräbnis erster Ordnungen für mittelständische Betriebe.
Ein No-Go ist auch, die Lohnnebenkosten nicht runterzubringen. Wir müssen den Faktor Arbeit entlasten. Sonst werden Arbeitsplätze vernichtet. Wir sehen das bei den steigenden Arbeitslosenzahlen, die Betriebe sind nicht mehr wettbewerbsfähig und sperren zu.
Achleitner war bei den Koalitionsgesprächen teilweise dabei, er ist sehr skeptisch. Glauben Sie, dass die Dreierkoalition tatsächlich kommt?
Ich teile die 50 zu 50 Einschätzung von Karl Nehammer. Man kann es zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. In wesentlichen Themen gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Sie sind gegen eine Regierung mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl als Bundeskanzler. Wäre eine Koalition aus FPÖ und ÖVP ohne die Parteichefs Kickl und Nehammer eine mögliche Variante, nach dem holländischen Modell?
Wenn die Dreierkoalition nicht kommt, gibt es alle Varianten, bis hin zu Neuwahlen. Natürlich ist es auch eine Variante, indem die erste Reihe einen Schritt zurücktritt, im Sinne des Gemeinsamen. Da muss aber erst auch ein gutes Programm ausgehandelt werden. Es ist ja nicht alles deckungsgleich.
Die FPÖ ist gegen Handelsabkommen, für die Festung Österreich und gegen Zuwanderung. Österreichs Wohlstand kommt aber vom Export und auch durch die Zuwanderung. Siehe Pflege.
Freihandel ist für uns nicht diskutierbar. Eine Festung Österreich ist für ein Exportland auch ein No-Go. Die Menschen wünschen sich eine Regierung, die den Mut hat, Strukturreformen anzugehen. Wir haben einige Baustellen wie die Reform des Pensionssystems und mangelnde Leistungsanreize beim Steuersystem. Diese Reformen braucht es, um aus der Krise wieder herauszukommen. Es brennt der Hut. Wenn wir nun keine Maßnahmen setzen, dann geht es weiter abwärts.
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