Gerstorfer: „Heute würde völlig anders gewählt werden“

Birgit Gerstorfer
SPÖ-Landesvorsitzende Birgit Gerstofer fühlt sich um den Erfolg gebracht. Sie geht in Opposition zur Machtkonzentration von Schwarz-Blau.

Birgit Gerstorfer ist seit 2016 Landesvorsitzende der SPÖ und Landesrätin. Die 58-Jährige war zuvor Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice.

KURIER: Die politischen Auseinandersetzungen sind seit der Landtagswahl und der Bekanntgabe der Ressortverteilungen deutlich härter. Sie haben gemeinsam mit den Neos Landeshauptmann Thomas Stelzer zum Rücktritt aufgefordert. Wird dieser Stil der Konfrontation die nächsten sechs Jahre beibehalten?

Birgit Gerstorfer: Die Dinge, die Stelzer und die ÖVP gemacht haben, finden überhaupt nicht mein Wohlgefallen. Sie bunkern die Macht. Mit einem Wahlergebnis von 37 Prozent sichern sie sich 90 Prozent des Landesbudgets und fünf Regierungssitze. Sie sichern sich die Sitze in den Aufsichtsräten. Unseren konstruktiven Kurs vor der Wahl setzen wir nicht mehr fort, weil es jemanden braucht, der diese Missstände aufzeigt.

Ein wesentliches Motiv für den verschärften Kurs wird auch sein, dass die Sozialagenden von Ihnen zu Wolfgang Hattmannsdorfer gewandert sind.

Das Was ist das eine. Daneben gibt es noch das Wie. Es passiert das Gegenteil von dem, was Schwarz und Blau kommunizieren. Es wird nicht miteinander geredet, man wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist nicht Ordnung.

Das Sozialressort war immer die Kernkompetenz der SPÖ. Die ÖVP wird jetzt zeigen müssen, was sie kann. Es geht um die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Pflege und im Gesundheitsbereich. Es geht um mehr als das, was in meiner Zeit sowieso schon geplant war. Es schaut nicht so aus, als ob das etwas werden würde.

Es geht also aus Ihrer Sicht auch um einen Bruch in der Verhaltensweise?

Das ist richtig. Wenn zwei Stunden vor der Veröffentlichung der Zuständigkeiten in der Landesregierung ein Anruf kommt und einem gesagt wird, Sie sind zuständig für A, B, C, D, E, dann ist das keine normale Form der Zusammenarbeit. Das ist nur schräg.

Deshalb betreibt die SPÖ nun primär Oppositionspolitik.

Ja, selbstverständlich. Das hat man gesehen an der Rücktrittsforderung, die gemeinsam mit den Neos erhoben worden ist. Das hat man beim Budgetlandtag gesehen. Die Konsenspolitik gibt es nicht mehr. Auch die anderen Parteien sind beim Budget sehr kritisch. Es geht Schwarz-Blau um Machtkonzentration. Es gibt nicht einmal den Versuch einer normalen Zusammenarbeit.

Die SPÖ verzeichnete bei der Landtagswahl am 26. September zwar leichte Stimmengewinne, blieb aber unter ihrem Ziel, mehr als 20 Prozent zu erreichen und die FPÖ als zweitstärkste Kraft abzulösen. Warum erhielt sie nicht mehr Stimmen?

Wir analysieren die Wahl sehr genau. Das wird durch ein Berliner Unternehmen gemacht, die auch für die SPD gearbeitet hat. Die Ergebnisse werden bei einer Klausur im Jänner präsentiert. Von dieser Analyse ausgehend werden wir entscheiden, welche Prioritäten wir die nächsten Jahre setzen werden.

Welche Ursachen und Gründe sehen Sie selbst?

Wir haben die Diskussion über Corona und ihre Auswirkung nicht intensiv genug geführt. Wären die Zahlen der Pandemie, die es im Oktober gab, schon früher vorgelegen, hätte der Wahlkampf anders ausgesehen. Wir haben uns auf die Themen Pflege, Bildung und Arbeit konzentriert.

Sie haben zum Beispiel stark auf das Thema Arbeit gesetzt, aber durch den wirtschaftlichen Aufschwung ist die Arbeitslosenrate auf 4,2 Prozentpunkte zurückgegangen.

Das ist richtig. Aber es war immer noch das Thema der Arbeitsbedingungen da, verbunden mit den Themen der Pflege. Es geht auch um die Entlohnungen und um die Verkürzung der Arbeitszeit. Da ist aber nicht tief genug bei den Wählerinnen und Wählern angekommen.

Dabei wäre immer noch ein großes Wählerpotenzial für die Sozialdemokratie vorhanden, wie man am Erfolg des deutschen SPD-Kanzlers Olaf Scholz sehen kann.

Ich bin überzeugt, dass ein Wahltag heute ein anderes Ergebnis liefern würde. Die 20-Prozent-Marke hätten wir übersprungen. Das Corona-Management des Landes war desaströs. Es ist alles hinausgeschoben worden, bis es nicht mehr gegangen ist.

Die Situation auf Bundesebene hätte eine Rolle gespielt. Der Rücktritt von Sebastian Kurz war Anfang Oktober. Er hätte massiven Einfluss auf die Wählerinnen und Wähler gehabt. Zuungunsten der ÖVP und der FPÖ. Was sich an der Kickl-Front abspielt, ist unglaublich. In Oberösterreich sitzt Manfred Haimbuchner, der sich nicht entscheiden kann, ob er zum Regierungspartner oder zum Bundesparteivorsitzenden loyal sein soll. Es gibt massive Spaltungen innerhalb der FPÖ. Stelzer arbeitet mit einer Kickl-FPÖ zusammen, die sich in Oberösterreich relativ harmlos gibt. Die Bevölkerung spürt dieses Hü und Hott, die eine schreit, lasst euch impfen, der andere sagt, nein, das ist nicht wichtig.

Sie könnten in zwei Jahren mit 60 in Pension gehen. Werden Sie das machen?

Josef Pühringer ist mit 68 Jahren abgetreten. Ich nehme das Recht in Anspruch, diesen Zeitpunkt offenzulassen. Ich bin als Landesparteivorsitzende gewählt, ich werde im Herbst nächsten Jahres wiedergewählt werden. Zumindest bin ich zuversichtlich. Ich werde aber mit ziemlicher Sicherheit bei der Wahl 2027 nicht mehr antreten.

Sie werden nicht mehr antreten, auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger wird sich nicht mehr der Wahl stellen. Wer sind die Jungen, die in der Sozialdemokratie nachkommen und die einmal die Führungsfunktionen übernehmen werden?

Hier kann man in den Klub der Landtagsabgeordneten blicken. Es gibt nur mehr zwei Abgeordnete, die die gesamte letzte Periode dabei waren: Peter Binder und Karl Schaller. Während der Periode dazugestoßen sind Doris Margreiter (53) und Michael Lindner (38). Neu sind Thomas Antlinger (27), Mario Haas (29), Tobias Höglinger (48), Renate Heitz (51), Sabine Engleitner-Neu (53), Heidi Strauß (51), Gabriele Knauseder (55). Das ist ein Pool für Nachfolgen aller Art.

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