Grüne: „Klimawandel lässt nicht die Zeit für langsame Veränderungen“
Die Grünen erzielten bei der EU-Wahl am 9. Juni in Oberösterreich 10,3 Prozent der gültigen 641.815 Stimmen, das ist ein Minus von 3,1 Prozent. Ursula Roschger, Landesgeschäftsführerin seit 2019 und Mitglied des Linzer Gemeinderates seit 2003, über die Ursachen der Verluste und Schlussfolgerungen für die Nationalratswahl im Herbst.
KURIER: Die Neue Züricher Zeitung titelte am 28. Mai ihren Beitrag über die Grünen und Lena Schilling mit „Jung, weiblich und ein PR-Debakel. Österreichs Grüne verkalkulieren sich mit ihrer Spitzenkandidatin“. War Lena Schilling ein Fehlgriff?
Ursula Roschger: Definitiv nein. Sie war sicher die richtige Spitzenkandidatin für die richtigen Themen und die richtige Zeit. Abgesehen von ihrer Kompetenz und Leidenschaft hat sie in dem heftigen Gegenwind unglaubliche Standhaftigkeit bewiesen. Ihr wurde aus allen Richtungen Respekt gezollt, wie sie die Anwürfe unglaublich professionell durchgestanden hat. Sie hat in der Wahlkampagne eine große Aufholjagd gestartet. Das Thema Klimaschutz ist bei ihr gegen die rechte Hetze glaubwürdig verankert.
Der zweitplatzierte Thomas Waitz hat mehr Vorzugsstimmen erhalten als Schilling, sowohl österreichweit als auch in Oberösterreich. Das zeugt doch von einer Unzufriedenheit der grünen Wähler.
Viele Leute waren durch die Berichterstattung über Lena Schilling tatsächlich verunsichert. Sie haben die Möglichkeit genutzt, um anderen Kandidaten wie Ines Vukajlović oder Tom Waitz eine Vorzugsstimme zu geben. Das ist gelungene Demokratie.
Eine Unzufriedenheit sehen Sie nicht?
Es hat definitiv Unsicherheit gegeben, vor allem in der ersten Phase. Man sieht aber, dass die Menschen in erster Linie Themen wählen und dann noch eine weitere Klimaschutzstimme unterstützen.
Was waren dann die Ursachen für die Verluste von 3,1 Prozent, die einen Verlust von 25 Prozent der Wählerschaft bedeuten?
Das bundesweite Ergebnis von 11,1 Prozent ist ein respektables für die vorliegende Gemengelage und den Gegenwind, den wir über weite Strecken der Wahlkampagne gehabt haben. Die Verluste haben sich in Relation zu dem, was uns prognostiziert worden ist, noch in Grenzen gehalten.
Die Regierenden sind oft jene, die Frust und Unsicherheit kassieren. Das sieht man europaweit, das trifft auch auf uns ein Stück weit zu. Wir haben bewiesen, dass wir zusammenhalten und dass die Motivation so gut war, dass uns letztendlich eine tolle Aufholjagd gelungen ist.
Die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik war also gewichtiger als jene mit Schilling als Spitzenkandidatin?
Das kann ich jetzt nicht beantworten. Es ist noch nicht alles fertig analysiert. Faktum ist, dass wir aus einer Situation, wo wir runtergeschrieben worden sind, noch eine tolle Aufholjagd gestartet haben. Wir haben die Diskussionen sehr professionell geführt.
Aber das Ergebnis ist schmerzlich, weil die oberösterreichische Kandidatin Ines Vukajlovic als Listendritte nicht zum Zug gekommen ist.
Sie ist eine grandiose Kandidatin und hat viele Leute motiviert. Es ist schmerzlich, dass sie nicht zum Zug gekommen ist. Aber sie ist noch jung, die weiterhin leidenschaftlich Politik machen wird. Vorläufig weiterhin im Landtag.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus der EU-Wahl für die Auseinandersetzung um die Nationalratswahl?
Es ist jetzt noch ein bisschen zu früh. Nach jeder Wahl gibt es eine Phase des Analysierens, des Nachdenkens und des Austausches. Das wird in den nächsten Tagen und Wochen passieren. Der Klimaschutz ist das Thema, das uns antreibt und das uns auch im Herbst antreiben wird. Es geht darum, die Grundlagen des Planeten zu retten. Thematisch sind wir sehr richtig unterwegs.
Sie meinen, Ihre Positionen, Ihre Themen und Ihre Kandidatinnen sind und waren richtig. So bleibt nur als Schlussfolgerung, dass die Wählerinnen und Wähler Ihre Voraussicht und Weisheit nicht erkannt haben. Oder lag es an der Kommunikation?
Bei der EU-Wahl konnten wir nur wenig über die Themen reden, weil über weite Stecken über die Spitzenkandidatin gesprochen worden ist. Da ist an inhaltlicher Fläche etwas verloren gegangen. Zu Beginn der Kampagne war die Dynamik eine gute, die dann schmerzlich gedämpft worden ist.
Hätte man Schilling nicht noch stärker überprüfen müssen, ob sie die geeignete Spitzenkandidatin war? Laut Ihrer eigenen Aussage hat sie bereits im Herbst auf mögliche Probleme aufmerksam gemacht.
Die Sache mit der Unterlassungsklage war bekannt. Es hat im Vorfeld viele Gespräche gegeben, es ist gut abgewogen worden. Die Entscheidung ist getroffen worden, sie ist eine unglaublich talentierte Frau.
Rechte und rechtsextreme Kräfte haben europaweit gewonnen. Sie benennen die Themen Migration, Green Deal und die Teuerung (Inflation) als ausschlaggebend für die Erfolge. Die Bauern haben europaweit gegen Beschlüsse des Green Deal protestiert, Wirtschaft 65 und Industrie mobilisieren gegen das Aus für die Verbrennermotoren 2035. Sind die Grünen und andere EU-Politiker beim Green Deal nicht zu weit vorausgeeilt, ohne die Bevölkerung abzuholen und mit einzubeziehen?
In Österreich haben die Bauern nicht demonstriert. Der Green Deal ist eines der wichtigsten Dinge, die wir brauchen. Es ist eine Herausforderung bei all diesen Maßnahmen, dass wir wenig Zeit haben, um die Veränderungen herbeizuführen. Diese sind aber notwendig, damit uns der Planet nicht kracht. Auf der anderen Seite ist es schwierig, bei den Maßnahmen, die rasch kommen, alle Menschen mitzunehmen. Mit diesem Spagat müssen wir umgehen.
Es wiegt schwerer, dass wir die Zeit nicht mehr haben, um lange Prozesse zu machen. Wir haben nicht die Zeit für langsame Veränderung. Die große Herausforderung ist, parallel dazu viel zu kommunizieren.
Aber war die Politik in der Diskussion auch nicht ehrlich genug, um zu sagen, dass die Maßnahmen gegen den Klimawandel sowohl die öffentlichen Hände als auch die Privaten viel Geld kosten, dass es teuer wird? E-Autos sind beispielsweise teuer und werden von Privaten kaum gekauft.
Das stimmt. Es ist aber noch teurer, keinen Klimaschutz zu machen. Das sagt den Menschen auch niemand. Die Schäden aufgrund der Unwetter gehen in die Milliarden. Das ist auch die Wahrheit. Dazu kommen noch Strafzahlungen an die EU, wenn wir gesetzte Klimaschutzziele nicht erreichen.
Es ist die Aufgabe von uns allen, ich meine hier die Politik und die Medien, das ehrlich zu kommunizieren. Das braucht Zeit, und manchmal haben wir die Zeit nicht.
Das bedeutet, dass die Grünen visionär vorangehen und darauf verzichten, Volkspartei zu sein.
Wir haben eine ganz klare Mission: den Klimawandel zu stoppen, weil wir sonst unsere Lebensgrundlagen verlieren. Nicht in 100 Jahren, sondern es gibt jetzt schon ganz gravierende Einschnitte wie die Hochwasser, die Hitze, etc. Wenn man effektiven Klimaschutz will, geht das nur mit den Grünen. Die Bundesregierung hat schon eine ganze Reihe von Maßnahmen gesetzt, die eine Zeit brauchen, um bei den Menschen anzukommen. Das goutieren die Menschen.
Aber es kommt den Grünen bei den Wahlen nicht zugute.
Noch nicht. Es kann uns nur motivieren, weiterzukämpfen.
Was ist Ihr Ziel für die Nationalratswahl? Wie viele Prozentpunkte wollen Sie erreichen? (2019 Grüne in OÖ 13,72 %)
Wir haben vier großartige Nationalratsabgeordnete, wir werden mit ganzem Einsatz dafür arbeiten, sie wieder in den Parlamentsklub entsenden könnten.
Wo liegen die Stärken und Schwächen Ihrer Landesorganisation?
Wir sind sehr gut aufgestellt, was an der guten Zusammenarbeit zwischen Regierungsbüro, Landtagsklub und Partei liegt. Es liegt auch an den engagierten Menschen in den Gemeinden, mit denen wir im Austausch sind. Wir haben einen starken Zusammenhalt. In einem Flächenbundesland wie Oberösterreich kann man sich mehr Gemeindegruppen wünschen. Da ist immer Luft nach oben.
Was sind die Gründe für die Stärke der FPÖ in Oberösterreich? Sie lag mit 27,8 Prozent 2,4 Prozentpunkte über dem Bundesschnitt von 25,4 %.
Diese Frage würde ich gern an den Landeshauptmann stellen.
Sie meinen, er ist mitverantwortlich für das gute Ergebnis der FPÖ?
Ich will ihm das nicht unterstellen, aber es ist die unklare Positionierung der ÖVP, dass da etwas rüberwandert. Wie bei den Themen Sicherheit und Migration. Die ÖVP will sich so positionieren wie die Freiheitlichen.
Sie versucht, damit die Wählerwanderung zur FPÖ zu stoppen.
Das funktioniert offensichtlich aber nicht.
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