„Gott traut uns immer einen neuen Anfang zu“

Bischof Scheuer: „Es zeigt sich, dass es in den sozialen Berufsfeldern Nachwuchsprobleme gibt.“
Sinn, Versöhnung, Stille, Freundschaft, Gemeinschaft, Widerstands- fähigkeit. Bischof Manfred Scheuer hält diese Werte für wichtiger als materielles Glück.

Manfred Scheuer ist seit 2015 Bischof von Linz, vorher war er zwölf Jahre Jahre Bischof von Innsbruck. Davor war der 63-Jährige Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Trier. Der Bergliebhaber ist der Sohn einer Bäckerfamilie aus Haibach/D.

KURIER: Wie lautet Ihre heurige Weihnachtsbotschaft?

Manfred Scheuer: Ich gehe von Hanna Arendt (1906-1975, jüdische, deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin, Anm.d.Red.) aus. Ihr Lehrer war Martin Heidegger. Sie war auch seine Geliebte. Seine Philosophie war eine Todes, das Sein zum Tod. Sie hat von der Geburt her gedacht, also vom neuen Anfang. Die Weihnachtsbotschaft, die ich damit verbinde, ist, dass Gott mit der Geburt Jesu einen neuen Anfang setzt. Und er traut uns auch immer einen neuen Anfang zu.

Wie feiern Sie persönlich Weihnachten?

Am 24. habe ich noch Termine im ORF. Zu Mittag esse ich mit 50 Obdachlosen. Das ist ein gutes, festliches Essen, da wird gesungen, ich werde das Weihnachtsevangelium lesen. Um 17 Uhr ist Vesper im Dom. Dann werde ich gemeinsam mit dem Dom pfarrer und Bischofsvikar Hintermaier im Dompfarrhof essen, es gibt eine kleine Bescherung. Um Mitternacht ist die Mette im Dom.

Am 25. ist die Festmesse im Dom, das Mittagessen ist im Priesterseminar. Am 26. bin ich in meiner Heimatgemeinde Haibach, da feiere ich die Messe. Zum Essen bin ich bei meiner Mutter.

Zu Weihnachten sind drei größere Predigten. ich muss sie gut hinbringen und mich auch innerlich darauf einstellen. Die Kunst besteht darin, so gesammelt zu sein, dass es von innen her kommt. Jeder öffentliche Auftritt ist Arbeit. Das heisst, er ist mit innerer Anspannung verbunden. Es ist gut, wenn sie noch da ist. Ich will mich nicht mit einem Schauspieler vergleichen, aber wenn er auf der Bühne steht, ist das auch Arbeit. Das ist höchst anstrengend. Nach einem Hochamt bin ich geschafft.

Der Schriftsteller und Kulturphilosoph Egon Friedell hat Gottesdienste als religiöse Schauspiele bezeichnet.

Letzten Endes ist Liturgie ein heiliges Spiel im guten Sinn. Es erfordert hohe Disziplin. Ein Musiker muss auch höchst diszipliniert bei der Sache dabei sein.

Sie haben beim Diözesanforum ein „Rumoren“ beim Thema Zulassungsbedingungen zu den Weiheämtern diagnostiziert.

Beim Zukunftsweg, den wir seit eineinhalb Jahren zu gehen versuchen, geht es oft primär um die Frage, wie geht es in unserer Pfarre weiter? Haben wir einen Pfarrer am Ort? Es ist damit häufig eine Engführung auf das Thema Zulassungsbedingungen verbunden. Ich glaube, dass die Anliegen der Menschen breiter sind. Es geht um Grundfragen der Spiritualität. Welche Räume hat die Jugend? Es gibt die Absicht, anstelle der Burg Altpernstein ein neues Jugendhaus im Raum Linz zu errichten.

Die Fragen der Bildung beschäftigen uns stark. Wir sind Träger von Hochschulen und Universitäten, des Stiftergymnasiums, des Petrinums und von einigen anderen Einrichtungen. Es stellt sich die Frage, ob wir die personellen und finanziellen Ressourcen dafür haben.

Hat die Kirche die entsprechenden Ressourcen?

Unter den gegebenen Umständen ja. Es stellt sich weiters die Frage, wie kommunizieren wir den Glauben? Wen interessiert es eigentlich, dass man von Jesus redet? Das ist mir persönlich sehr wichtig. Oder die Frage der Caritas. Wie sieht es mit der Solidarität mit den Armen und Schwachen aus? Wo sind Brücken und wo sind Bindeglieder der Gesellschaft? Dass diese Fragen in den Hintergrund treten und die Zulassungsbedingungen im Vordergrund stehen, erfreut mich nicht immer.

Muss man die Zulassungsbedingungen nicht mittelfristig ändern?

Ich habe das in einem Brief an den Papst angesprochen. Allerdings auch in dem weiteren Kontext, wie wir uns als Kirche aufstellen, wie die Situation des Glaubens in der Gesellschaft ist und in welchen Sozialformen wir den Glauben leben können und wollen. Die Grundfrage lautet auch, wie sind junge Menschen für das Evangelium begeisterungsfähig? Es zeigt sich in mehreren Berufsfeldern, dass es Nachwuchsprobleme gibt. Nicht nur bei Priestern oder Ordensleuten.

Zum Beispiel?

Bei den Ärzten, Pflegern und im Sozialbereich.

Sind Sozialberufe out?

Die Gesellschaft gibt bestimmten Berufen atmos phärisch einen Vorzug. Das, was früher bei den sozialen Berufen durch Wertschätzung kompensiert wurde, ist nicht mehr so stark. Der Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen und die Pflege sind ganz zentrale Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Wenn man sich ansieht, welche Felder bereits von Menschen mit mi grantischem Hintergrund erfüllt werden, dann muss sich die Gesellschaft Gedanken darüber machen, was ist uns was wert und wie können wir wichtige Aufgaben des Gemeinwesens erfüllen.

Sie sehen Defizite in der Wertschätzung für soziale Berufe?

Das gilt für soziale Berufe, aber auch für pädagogische. Kürzlich hat das ein Richter auch für die Justiz festgestellt. Es geht teilweise auch um Grundfesten, um Säulen der Gesellschaft. Ohne die grundsätzliche Anerkennung von Aufgaben und Leistungen geht es nicht.

Die Frage ist auch, wie kann man von innen her Arbeit mit Sinn erfüllen.Es ist ein Motiv fü viele Ehrenamtliche, dass eine Tätigkeit für und mit anderen einen Mehrwert, ein Plus an Lebensqualität und eine Vertiefung des Sinns ergibt. Wovon man sich sonst öfter Glück verspricht, erweist sich doch oft als oberflächlich. Man soll zu Weihnachten gut essen, trinken und feiern, aber die Frage ist, ob man dadurch schon glücklicher ist. Oder ob es besser ist, Freundschaften zu haben und geliebt zu werden.

„Gott traut uns immer einen neuen Anfang zu“

Scheuer: „Der Papst hat zur Frauenpriesterweihe mehrfach gesagt, dass sie nicht möglich ist.“

Gibt es Defizite in der Sinnbeantwortung?

Es fehlt oft die Resilienz (innere Widerstandsfähigkeit, Anm.d.Red.) in der Frage, was ist ein gutes Fundament, das auch in Krisen und Katastrophen trägt. Leiblich wird man widerstandsfähiger gegen Krankheiten, wenn man sich gesund ernährt, sich bewegt, genug schläft. Das gilt es auf die psychische und spirituelle Gesundheit zu übertragen. Es braucht Zeiten der Stille und des Gebetes, der Freundschaft und der Gemeinschaft, der Freud e am Leben, die Suche nach Versöhnung. Wenn man unversöhnt ist, kann man nicht gut denken und arbeiten, man schläft schlecht. In den Bereichen versöhnt leben, sich selbst annehmen können, geliebt werden, spirituelle Wurzeln zu haben sehe ich einen Lern- und Entwicklungsbedarf.

Nochmals zum Thema Pfarreien. Zurück zur Zukunft der Pfarren. In der deutschen Diözese Trier herrscht Aufregung, weil der Bischof die Anzahl der Pfarren von 900 auf 35 zusammenfassen will.

Ich habe selbst drei Jahre in Tier gelebt und in den Pfarren mitgeholfen. Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir am Ort, wo wir wohnen, auch den Glauben leben und feiern. Wir wollen örtliche Strukturen stärken, wir schauen aber auch auf andere Bereiche, die wichtig, aber nicht pfarrlich gebunden sind. Ein Grundvollzug der Kirche ist zum Beispiel die Caritas. Sie ist meistens nicht in der Pfarre angesiedelt. Wir sollten ein stärkeres Sensorium für unterschiedliche Ebenen entwickeln. Auch dafür, was für uns ein Niemandsland ist, wo wir gar nicht präsent sind. Auch dafür, was eine Pfarre leisten kann und was nicht mehr. Es ist zum Beispiel so, dass in jüngeren Pfarren ein Großteil der Pfarrgemeinderäte von auswärts kommen.

Das territoriale Prinzip hat eine Bedeutung, ist aber aufgrund der Mobilität, der Individualisierung und der vielen Lebensbereiche, die jeder hat, auch zu relativieren.

Kinder-, Jungschar- und Ministrantenarbeit erfolgt zum Beispiel auf Pfarrebene. Jugendarbeit muss über die Pfarre hin aus gehen. Es gibt oft wenig Erstkommunionkinder in einer Pfarre. Da gibt es dann sinnvollerweise eine Kooperation mit der Nachbarpfarre. Man wird auch nicht in jeder Pfarre eine Firmvorbereitung machen, noch dazu, wenn die Kinder sowieso in die Schule der Nachbarpfarre gehen.

Wir wollen die Kooperation zwischen den Pfarren stärken. Caritas, Katholische Aktion und Bildungswerk sind oft stärker regional. Diese Ungleichzeitigkeit ist eine Herausforderung und wir erwarten von unseren Hauptverantwortlichen und Priestern eine gewisse Mobilität. Wir haben zwar einen Priestermangel, haben aber so viele Hauptverantwortliche wie nie zuvor. Es wird auch ein Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen geben müssen.

In Zukunft dürfen ja auch Pfarrassistenten die Taufe vornehmen.

Es ist aufgrund der pastoralen Situation und des Miteinanders von Priestern und Assistenten notwendig, dass die Taufbeauftragung an Assistenten übertragen wird. Dort, wo es notwendig ist.

Maria Hasibeder, die neue Präsidentin der Katholischen Aktion, fordert, die patriarchale Struktur der Kirche in eine partnerschaftliche verwandeln.

Ich bin froh darüber, dass sie diese Aufgabe übernommen hat. Auf der einen Seite sind pa triarchale Strukturen da. Wenn ich das reale Kirchenleben auf der anderen Seite anschaue, dann wir sind eher matriarchal.

Die Frauen dürfen die Arbeit machen, die Männer treffen die Entscheidungen.

Das stimmt teilweise. Aber es sind in der Diözese, bei den Pfarrassistenten und im Schulbereich durchaus auch Frauen in Führungspositionen. Im Bereich der Theologie und der Spiritualität gibt es starke Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen. Da müssen die Ressourcen noch gehoben werden.

Papst Franziskus hat eine Kommission zum Thema Frauendiakonat eingesetzt. Hasibeder wünscht sich die Priesterweihe für Frauen.

Der Papst hat die Kommission schon vor vier Jahren eingerichtet. Ich habe gehört, dass die Kommission ihre Arbeit beendet hat, kenne aber das Ergebnis noch nicht. Der Papst hat zur Frauenpriesterweihe mehrfach gesagt, dass sie nicht möglich ist. Hier bin ich an die Gesamtkirche gebunden.

Kardinal Marx, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, fordert aufgrund der weltweiten sexuellen Missbräuche Strukturänderungen. Ist der Zölibat eine Struktur, die Übergriffe begünstigt?

Ich glaube nicht, dass der Anteil bei Zölibatären höher ist als bei Verheirateten. Wenn ich es zugespitzt sage, ist der Ort der massivsten Gewalt nach wie vor die Familie.

Es ist beim Zölibat wichtig, gut zu schauen, wann die Entscheidung dafür getroffen werden soll. Priester werden frühestens mit 25 Jahren geweiht. Die ehelose Lebensform hat ein Sinnpotenzial und ein Potenzial der Fürsorge für andere, sie hat aber auch ihre Fallen und Widerhaken. Das ist aber bei anderen Lebensformen auch der Fall.

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