Fünf gegen den Rest der Welt

Fünf gegen den Rest der Welt
Harald Thallinger verlor vor vier Jahren seine Ehefrau, seine vier Söhne die Mutter. Bis heute kämpft er für sein Recht.

Der Duft von frischgebackenem Kuchen weht durch das Haus der Familie Thallinger in Pinsdorf, Bezirk Gmunden. Der dreijährige Emil steht auf einem Stuhl und rührt Vanillecreme, während sein ältester Bruder Eric den Teig zum Kühlen auf den Balkon bringt. Mittendrin sitzt Harald Thallinger, alleinerziehender Vater von vier Söhnen, und sieht trotz Sorgenfalte auf der Stirn zufrieden aus.

Abgesehen von der Bananenschnitte brauche er am heutigen Vatertag nichts Besonderes. Überhaupt gebe es inmitten eines laufenden Verfahrens gegen den Spitalsträger gespag nur wenig Grund zu feiern, sagt er. „Das Familienleben und der Rechtsstreit hängen eng zusammen, weil es hier um die Existenz geht. Ich stehe immer mit dem Rücken zur Wand und muss meine Söhne davor schützen."

Mammutaufgabe

Fünf gegen den Rest der Welt

Nur eines kann dem alleinerziehenden Vater ein Lächeln auf die Lippen zaubern: „Wenn ich meine Buben anschaue, sehe ich, dass ich mein Ziel erreicht habe. Sie sind trotzallem gesund, glücklich und entwickeln sich gut."

Es ist fast vier Jahre her, als Elvis unter tragischen Umständen das Licht der Welt erblickt hat (siehe Sub-Story). Nach dem Tod von Mutter Izeta waren die Kinder – damals neun, sechs und drei Jahre alt – schwer verstört und brauchten psychologische Unterstützung, erzählt Thallinger. „Eric glaubte dran, dass seine Mama ein Geist ist und war fasziniert vom Tod. Emil war noch zu klein, um das zu verstehen. Er wandelte seine innere Trauer in Aggression um." Der Außendienstmitarbeiter war zweieinhalb Jahre in Karenz und engagierte drei Betreuerinnen, die sich abwechseln. „Es war und ist eine Mammutaufgabe, ihnen die jetzige Situation als normales Familienleben zu vermitteln", so Thallinger.

Eric, 12 Jahre alt, besucht das Gymnasium, der neunjährige Erwin sei ein Einserschüler, der seine Lehrer um den Finger wickle, Emil sei ein kreatives Energiebündel und bei Elvis, dem Nesthäkchen, gebe es Entwarnung. Der Sauerstoffmangel bei seiner Geburt hat keine Schäden hinterlassen, ist der Vater erleichtert. Trotzdem ist für Harald Thallinger der Kampf um Gerechtigkeit noch lange nicht abgeschlossen. Diese sei nach eigener Definition erst erreicht, wenn die Schuldigen bestraft sind und die Versorgung seiner Söhne endgültig gesichert ist.

Zusammenhalt

„Versorgung" ist in der Familie ein großes Stichwort. Der 46-Jährige hat sein kleines Häuschen zu einem großzügigen Wohnhaus für seine fünfköpfige Familie umgebaut. „Wenn ich einmal nicht mehr lebe, haben die Buben wenigstens ein Dach über dem Kopf und eine Wertanlage", sagt Thallinger, dessen eigener Vater gestorben ist, als er zehn Jahre alt war. Er habe seither eine andere Einstellung zum Tod. Offen um seine Frau zu trauern, erlaube er sich nicht. „Wenn ich Schwäche zeige, vernachlässige ich die Kinder und schwäche damit auch sie", erklärt er.

Ihm sei wichtig, dass seine Söhne zusammenhalten, wie sie es in dieser schwierigen Zeit gelernt haben. Jeder unterstütze den kleineren und messe sich am größeren Bruder. Die Familie bildet eine Front, angeführt von Harald Thallinger: „Ich kann das Schicksal meiner Frau nicht ändern, aber das meiner Kinder sehr wohl."

 

Chronologie: Der Fall Izeta Thallinger

2. September 2008
Izeta Thallinger, 42 Jahre alt, bringt ihren vierten Sohn Elvis im Landeskrankenhaus Gmunden zur Welt. Es treten Komplikationen auf. Das Baby hat einen Sauerstoffmangel und die Mutter einen Gebärmutterriss, der zu lange unbemerkt bleibt. Trotz Notoperation stirbt sie an inneren Blutungen.

17. September 2008
Der operierende Oberarzt und der Primar werden nach einer Selbstanzeige suspendiert. Gegen den Oberarzt wird wegen fahrlässiger Tötung und Urkundenfälschung ermittelt, weil er die Patientenakte manipuliert hat. Dem Primar wird Anstiftung vorgeworfen.

Jänner 2009
Ein gynäkologisches Gutachten von Peter Husslein gibt dem Verdacht des Witwers Harald Thallinger recht: Der Tod seiner Frau war ein Fremdverschulden. Der Spitalsträger gespag gibt dies zu und kündigt an, eine außergerichtliche Einigung anzustreben.
Oktober 2009 Der Oberarzt wird wegen Urkundenfälschung und des Kunstfehlers zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt. Thallinger bekommt von der gespag monatlich 3000 Euro Pflegegeld, geht in Karenz und beginnt mit dem Umbau seines Hauses.

Juni 2010
Das Mitgefühl der Bevölkerung schlägt in Missgunst um. Thallinger macht Druck auf die gespag, die das Pflegegeld auf 1060 Euro gekürzt hat. Höhepunkt ist seine Drohung, sich aus Protest zu Tode zu hungern. Seine Anwältin Karin Prutsch klagt Trauerschmerzensgeld ein.

Februar 2012
In einem Zivilprozess wird den vier Kindern 110.000 Euro wegen „Trauerschadens“ zuerkannt – so viel wie nie zuvor in Österreich. Weitere Verfahren sind bis heute anhängig: Der Witwer fordert 30.000 Euro Schmerzensgeld und weitere 91.000 für die Kinderbetreuung und Umbaukosten des Hauses.

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