Gabriel Felbermayr: Es klingt nicht realistisch. Auch nicht für Deutschland, denn das wären in zehn Jahren 15 Millionen. Zumal die Einwanderung räumlich stark konzentriert ist. In Österreich sind die Migranten zum Beispiel stark in Wien angesiedelt. Dann hätten wir schnell Städte mit einem Migrantenanteil von über 50 Prozent.
Es ist schwer vorzustellen, dass das politisch wünschenswert ist. Frau Schnitzer rechnet mit einer Nettoeinwanderung von 400.000. Sie meint, man muss vier Mal so viele Menschen holen, damit 400.00 netto bleiben.
Die Bleibewahrscheinlichkeit zu erhöhen, ist eine Schraube, an der man drehen muss. Lieber weniger Migranten brutto, dafür eine höhere Bleibewahrscheinlichkeit.
Wie kann man sie erhöhen?
Es sollte für die zuwandernden Menschen attraktiv sein, im Kern Europas zu arbeiten. Das bedeutet nicht nur eine höhere finanzielle Attraktivität, aber auch. Wir machen es den Menschen im Land nicht einfach, von ihrer Anstrengung gut zu leben.
Wir haben sehr hohe Lohnnebenkosten und eine sehr hohe Besteuerung des Faktors Arbeit. Wenn jemand aus dem Ausland kommt, gibt er zu Hause vieles auf. Es muss etwas zusätzlich dazukommen.
Da könnte man sich schon vorstellen, ob man nicht generell beim Faktor Arbeit etwas tut, wie zum Beispiel die steuerliche oder die Abgabenbelastung zu reduzieren oder gezielt Maßnahmen für Arbeitskräfte, die man besonders dringend braucht.
Ein besonderes Zuckerl?
Ja, ein besonderes Zuckerl, nicht für jeden, sondern für jene, von denen man glaubt, dass sie für den Standort besonders wichtig sind.
Wir bräuchten in Europa als Zweites auch eine einfache Regulatorik. Die ist zum Teil wirklich grausam. Ich habe jetzt 20 Jahre nicht in Österreich verbracht. Ich habe keine Ahnung, welchen Rentenanspruch ich in Deutschland habe. Ich war über zehn Jahre ein guter Kunde bei der Krankenversicherung. Meine Einzahlungen sind in Österreich weg.
Das Dritte ist, dass wir am Mindset arbeiten müssen. Da schauen wir nicht so toll aus. Die Menschen müssen verstehen, dass wir uns attraktiv machen müssen. Im Tourismus haben wir die perfekte Willkommenskultur. Die Leute lieben Österreich und kommen gern.
Als Arbeitskräfte kommen sie nicht so gern. Wir müssen verstehen, dass diesen Arbeitskräften der gesamte europäische Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, nicht nur der österreichische. Der deutsche ist beispielsweise zehn Mal so groß und bietet wesentliche mehr Möglichkeiten. Es sollten auch die deutsche Bundesagentur für Arbeit und das österreichische AMS besser kooperieren.
Ihr Kollege aus Freiburg Lars Peter Feld hat beim Sommerempfang der Industriellenvereinigung gemeint, wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, die fehlenden Arbeitskräfte allein durch Zuwanderung ersetzen zu können. Wir müssten einfach mehr arbeiten und später in Pension gehen. Teilen Sie diesen Befund?
Müssen tun wir nicht. Es muss uns aber klar sein, dass ein früherer Pensionsantritt und eine kürzere Arbeitszeit weniger Einkommen bedeuten. Wenn wir das bestehende Lebens-Niveau halten wollen, müssen wir länger arbeiten, möglicherweise auch bei der Arbeitszeit pro Kopf.
Es ist schwierig, den Leuten zu sagen, wir gehen mit dem Tempo runter. Das sagt man vielleicht im Feuilleton. Wenn man aber den Menschen sagt, dass es keine Urlaubsfahrten mehr gibt, sondern Urlaub zu Hause und Planschbecken statt Swimmingpool, wird das nicht auf eine sehr breite Gegenliebe stoßen. Wir werden länger arbeiten müssen.
In Linz startet nun die Digital-Universität. Was kann man von ihr erwartet?
Gemeinsam mit dem ifo-Institut habe ich vor zwei Jahren die sogenannte What-Works-Studie gemacht. Die vielen Millionen, die an einen Hochschulstandort gehen, produzieren dort nicht nur mehr Jobs, sondern sie strahlen auch auf das lokale Innovationssystem aus. Es gibt mehr Patente und Innovationsaktivitäten. Daraus resultierend auch mehr wirtschaftliche Aktivität. Das wird diese Universität liefern, wenn es gescheit gemacht wird.
Die Sorge, die viele haben, ist, dass das, was in Oberösterreich entsteht, an einem anderen TU-Standort noch stärker passiert wäre und das Geld einen höheren Hebel gehabt hätte. Es gibt aber wenig Zweifel daran, dass dieses Geld, das hier investiert wird, positive Effekte auf den Investitionsstandort haben wird.
Oberösterreich ist im Europäischen Regionenindex (RCI) bei den Industrieregionen erstmals auf Platz 19 vorgerückt. Was ist für Oberösterreich noch drinnen? Wird es die Region schaffen, zu den Besten Europas zu gehören? Ist das realistisch oder eine Illusion?
Es ist schwierig, unter die Top 10 vorzurücken. Es wäre eine gute Sache, wenn die Bevölkerung, die Politik und die Unternehmen sich dieses Ziel vorstellen. Ich glaube schon, dass es realistisch ist. Wo ein Wille ist, ist meistens auch ein Weg. Man muss ein paar innovative Dinge umsetzen.
Das beginnt mittlerweile bei der Frage der Arbeitskräfte. Die Bevölkerung wird älter und Altern ist zunächst einmal nicht gut, um in solchen Tabellen aufzusteigen. Man wird sich mehr anstrengen müssen, um junge Schlüsselkräfte, die unternehmerisch und innovativ sind, nach Oberösterreich zu holen.
Wenn man einen Weg findet, um das tolle Land attraktiv zu machen, vor allem für Menschen auch aus dem nicht deutschsprachigen Ausland, sind die Chancen gut. Aber das wollen alle, die Bayern wollen es, die Niedersachsen wollen es, jede starke Region will das.
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