Experte: "Auch Lärm und Feinstaub tragen zu Bluthochdruck bei“
Bluthochdruck ist ein bedeutender Risikofaktor für frühzeitigen Tod und ein Leben mit Einschränkungen. Priv.-Doz. Thomas Weber ist seit 2018 stellvertretender Leiter der Abteilung für Innere Medizin II, Kardiologie und Intensivmedizin am Klinikum Wels. Der Welser ist kürzlich zum Präsidenten der europäischen Bluthochdruckgesellschaft gewählt worden. Er ist auch Herausgeber der Journals für Hypertonie.
KURIER: Warum ist hoher Blutdruck gefährlich?
Thomas Weber: Weil er über die Jahre viele wichtige Organe schädigt. Er kann schlimme Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen, wie einen Herzinfarkt, Herzschwäche, Schlaganfall, Hirnblutung, Nierenschwäche und Demenz.
Wie entsteht hoher Blutdruck?
Bei den meisten Menschen spielen mehrere angeborene Faktoren mit dem westlichen Lebensstil zusammen, die zum Beispiel bewirken, dass man empfindlicher reagiert, wenn man zu viel Kochsalz zu sich nimmt. Wie das in unseren Breiten leider üblich ist.
Durch Fleischkonsum und durch industrielle Produkte?
Vor allem durch industrielle Fertigprodukte.
Oder essen die Menschen zu viel Schweinsbraten und Geselchtes?
Es sind eher die Fertigprodukte und die Tatsache, dass noch zusätzlich gesalzen wird.
Der Salzkonsum ist zu hoch?
Ja. Zu hoher Kochsalzkonsum (Natriumchlorid). Es gibt noch das Kalium, das wäre das gesunde Salz. Davon essen wir zu wenig.
Wo ist das enthalten?
In Obst und Gemüse. Klassisch sind die Bananen und die Bohnen. Die Hälfte der Bevölkerung hat die angeborene Neigung, auf zu viel Kochsalz mit hohem Blutdruck zu reagieren. Das ist in den Genen vorprogrammiert. Diese Menschen sollten sich salzarm ernähren.
Hoher Blutdruck entsteht also durch falsche Ernährung.
Das ist nur ein Teil des falschen Lebensstils. Übergewicht, Bewegungsmangel, zu viel Sitzen vor dem Fernseher und Computer, zu viel Kochsalz, zu wenig Kalium, zu viel Stress, zu viel Alkohol.
Wie viel Bewegung wäre angemessen?
Es gibt ganz genaue Empfehlungen, zum Beispiel 150 bis 300 Minuten mäßig anstrengenden Sport pro Woche, die man aber altersabhängig betrachten sollte. Die Bewegungsempfehlung für einen jungen Menschen ist eine ganz andere als für einen 75-Jährigen.
Das Wichtigste ist, dass man mehrmals in der Woche Bewegung macht und das am besten in den Alltag integriert. Fahrrad fahren, statt Auto fahren, Stiegen steigen, statt Rolltreppe fahren, etc. Es geht hier primär um Ausdauersport, Kraftsport spielt eine geringere Rolle.
Vom hohen Blutdruck sind vor allem ältere Menschen betroffen. Warum?
Jeder Herzschlag ist eine Belastung für die Gefäße. Man hat ja ganz viele Herzschläge. Je älter man wird, umso mehr hat man schon gehabt. Das summiert sich über die Jahrzehnte und über das Leben.
Das ist also eine Abnützungserscheinung?
Es ist eine Materialermüdung. Man kann das mit einem Gummiringerl vergleichen. Wenn das Herz pumpt, pumpt es in Wellen. Es ist nicht so wie bei einem Gartenschlauch, wo das Wasser gleichmäßig rausrinnt. Das Herz pumpt stoßweise, das ist der Puls. Dieser Puls dehnt die Hauptschlagader um zehn bis 15 Prozent, und das 60 Mal in der Minute. Wenn der Blutdruck höher ist, dehnt sich die Hauptschlagader mehr.
Ihre Elastizität nimmt über die Jahrzehnte ab, sie wird spröde und steif, ähnlich dem Gummiringerl. Wenn die Hauptschlagader steif ist wie ein Eternitrohr, steigt der Druck mit jedem Puls stärker an. Das ist für viele ältere Menschen das Hauptproblem.
Kann man dem entgegenwirken?
Ja, durch die bereits genannten Maßnahmen. Beim Blutdruck muss man schon in jungen Jahren dahinter sein. Denn je länger er hoch ist, umso mehr setzt er Schäden. Viele glauben, dass es gefährlich ist, wenn der Blutdruck einmal auf 200 ansteigt. So ist es nicht. Es geht mehr um die geringeren Belastungen, die aber Millionen Mal passieren.
Wie hoch sollte der Blutdruck eines 30-Jährigen sein?
Unter 120 (systolisch – oberer Wert) zu 80 (diastolisch – unterer Wert).
Bei einem 60- oder 70-Jährigen?
Man macht heutzutage keinen großen Unterschied. Der Unterschied liegt in der Behandlung. Früher hat man gesagt 100 plus Lebensalter, durch zwei dividiert, ist noch normal. Aber das stimmt nicht. Wenn jemand 80 Jahre alt ist, sind 120 zu 80 immer noch am idealsten. Wenn er das erreicht, hat er gut gelebt und er hat gute Gene.
Das Messen des Blutdrucks ist eine Erscheinung der älteren Mitbürger. Man sieht kaum Jüngere, die ihren Blutdruck messen.
Das ist ein Fehler. Es wird empfohlen, dass jeder Erwachsene einmal seinen Blutdruck misst. Wenn dieser normal ist, genügt es bei jüngeren Menschen, wenn er ihn in drei Jahren wieder misst. Ältere Menschen sollten jedes Jahr messen, auch wenn der Blutdruck normal ist. Im Alter haben zwei Drittel der Menschen einen hohen Blutdruck.
Diese nehmen auch etwas dagegen, zum Beispiel Tabletten.
Sie sollten. Bei vielen Menschen ist der hohe Blutdruck nicht festgestellt, das ist eines der Probleme. Man spürt den hohen Blutdruck sehr lange nicht. Die schleichenden Schäden spürt man nicht, manche Organe sind schon geschädigt, bevor man mit der Behandlung beginnt.
Wir haben einmal einen Test in einer Apotheke durchgeführt. Ein Viertel der Menschen mit hohem Blutdruck hat nicht gewusst, dass er hoch ist. Früher hat man als Obergrenze 140 zu 90 genannt. Inzwischen hat man erkannt, dass das zu hoch ist. Die neuesten Empfehlungen sind 120 zu 80.
Auch für die Älteren?
Ja, bis 85 Jahre. Man muss differenzieren. Da gibt es Menschen, die sehr fit sind, und andere, die sehr gebrechlich sind. Hier wird der Arzt individuelle Einschätzungen vornehmen.
Treibt Kaffeekonsum den Blutdruck hoch?
Der ist kein Problem. Es müssten schon etliche doppelte Espressi pro Tag sein, damit das eine Rolle spielt.
Wie kann man den Blutdruck behandeln?
Die Änderung des Lebensstils wäre das Wichtigste, sie ist auch das Schwierigste. Die Änderung des Lebensstils ist hart, man muss konsequent sein. Das wäre die Basis. Je mehr man mit dem Lebensstil macht, umso weniger Tabletten sind notwendig. Es gibt Menschen, die keine Tabletten einnehmen wollen. Wenn der Blutdruck nicht zu hoch ist, kann man sich durch eine Änderung des Lebensstils die Tabletten ersparen.
Wirkt es sich nachweislich beim Blutdruck aus, wenn jemand fünf bis zehn Kilogramm abnimmt?
Bei den meisten Menschen ja, es gibt individuelle Unterschiede. Wer zehn Kilogramm abnimmt, erspart sich sicher eine Tablette. Wer vorher vielleicht drei benötigt hat, braucht dann nur mehr zwei. Die Tabletten sind übrigens besser als ihr Ruf. Die alten Tabletten vor 50 Jahren waren wirklich schlecht verträglich.
Welche Möglichkeiten zur Blutdrucksenkung über die Lebensstiländerung und die Tabletten hinaus gibt es noch?
In ausgewählten Fällen kann man einen Kathedereingriff durchführen, um den Blutdruck zu senken.
Was heißt das?
Über die Leiste wird die Nierenarterie aufgesucht. Rund um diese verlaufen Nerven, die für Stresshormone verantwortlich sind. Diese kann man durch den Katheder veröden.
Mit welcher Wirkung?
Der Blutdruck geht meistens runter, man erspart sich im Durchschnitt eine Tablette. Manchmal ist die Wirkung auch stärker. Wenn man das mit der Lebensstiländerung und der Gewichtsabnahme kombiniert, hat man einen sehr guten Effekt.
Den Kathedereingriff nimmt man nur bei schwerem Bluthochdruck vor?
Ja, oder bei Menschen, die wegen Unverträglichkeiten keine Tabletten nehmen können oder möchten. Die Tabletten muss man ja meist dauerhaft nehmen, denn der hohe Blutdruck verschwindet nicht von selbst, wenn man nichts ändert.
Wie oft soll man den Blutdruck messen?
Wenn man einen hohen Blutdruck hat, am Anfang zweimal täglich, einmal am Morgen, einmal am Abend. Es ist normal, dass der Blutdruck schwankt. Es kommt nicht auf die Spitzen an, sondern auf den Mittelwert. Man sollte am Oberarm messen, Geräte am Handgelenk sind nicht so genau. Man spürt nicht, ob man einen hohen Blutdruck hat oder nicht.
Blutdruckapps sind zum Messen nicht empfehlenswert. Es gibt hier viele Angebote, wo man den Finger nur auf die Kamera legen muss. Beim Blutdruckmessen sollte man sich fünf Minuten ruhig und aufrecht hinsetzen und keine aufgeregten Gespräche führen. Dann sollte man die Manschette direkt auf der Haut am Oberarm anlegen und gleich noch einmal ein zweites Mal messen. Und gleich noch einmal ein drittes Mal. Und man soll die Werte unbedingt aufschreiben.
Es gibt interessante Studien, die nachweisen, dass Lärm den Blutdruck erhöht.
Nicht nur Lärm, sondern auch Feinstaub (Luftverschmutzung) erhöhen den Blutdruck. Umweltfaktoren sind allerdings für den Einzelnen schwer zu vermeiden. In Polen wurde rund um den Flughafen Warschau eine groß angelegte Blutdruck-Studie durchgeführt. Es wurde vor Corona gemessen, und während der Corona-Hochphase, als keine Flugzeuge geflogen sind. Als es ruhiger war, ist der Blutdruck runtergegangen. Lärm ist ein starker Stressfaktor. Am schlimmsten ist er in der Nacht. Deshalb sind die Forderungen nach Lärmschutzwänden schon in Ordnung.
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