"Es geht um menschliche Würde"

"Es geht um menschliche Würde"
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, forderte Immanuel Kant den Menschen auf. Wo steht heute die Aufklärung?

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmüdigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein großer Teil der Menschen gern zeitlebens unmündig bleibt."
So definierte der deutsche Philosoph Immanuel Kant 1784 die Aufklärung. Die Oberösterreichischen Kulturvermerke beschäftigten sich vier Tage lang in Gmunden mit dem Thema "Mehr Licht - Über die Notwendigkeit der Aufklärung".
Ein Gespräch mit dem Autor und Kritiker Franz Schuh (64), der sowohl die Kulturvermerke als auch die Festwochen Gmunden berät und unterstützt.

KURIER: Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? Kant hat das für seine Zeit verneint.
Franz Schuh: Wir leben in einem partiell aufgeklärten Zeit. Allerdings in einer Gesellschaft, die, bei ungeheuerlichen Unterschieden, die ganze Welt umfasst.
Das unterscheidet diese Welt entschieden vom Preußen Kants. Es gibt in dieser Welt die Möglichkeit, sie aufzukären, aber es gibt umgekehrt auch grandiose, lebensgefährliche Tendenzen von Irrationalität. Und auch eine ständige Gegenwehr gegen die Zumutungen der Aufklärung.

Wie lauten die Zumutungen?
Manche Idealismen und Illusionen, manche Religionen und manches an Religionen vermitteln Bilder, in denen viele sich selbstherrlich bewegen können. In einem aufgeklärten Bild sehen die Leute nicht so gut aus.

Würden Sie uns ein Beispiel nennen?
Das plausibelste Beispiel in den entpolitisierten Weltgegenden ist die romantische Liebe, für die manche sogar Verbrechen begehen. Sie gaukelt uns eine Leidenschaftlichkeit als Absolutum vor. Nüchtern betrachtet, steckt dahinter vielleicht bloß der vom Geschlechtstrieb umnebelte Mensch. Das lässt sich durchschauen.

In der langen Sicht.
Auch in der kurzen Sicht kann man es unter Umständen erkennen. Aber man ist nicht bereit, mit dieser Erkenntnis zu leben, weil die Lust und der Genuss am Illusionären stärker ist als das, was einem die Aufklärung an trockener Nüchternheit doch zumutet. Das gilt auch für politische Leidenschaften. Eine der Ausgeburten der Aufklärung ist der Liberalismus. Carl Schmitt hat gesagt, mit dem Liberalismus kann man keinen Staat und keine Gesellschaft machen, weil er, fasziniert von der eigenen Freiheit, stets jedem System misstraut. Dieses Misstrauen, das nicht in den Glauben an Systemstärken investiert wird, hat einen destruktiven Charakter. Man muss immer einen Überschuss an Emotion, aber auch an Vernunft in seine Pläne und Absichten investieren, sollen sie funktionieren. Daher ist die Aufklärung eine ständige Zumutung.

Wir leben doch in einer aufgeklärten Welt. Sind die Menschen aber der Aufklärung nicht ein bisschen müde, weil sie anstrengend ist? Immer selbst zu überlegen, immer selbst zu entscheiden.
Es gehört zum Mythos dieser Welt, zu meinen, sie wäre aufgeklärt. Die Gefahr des Irrtums besteht ständig. Einer dieser Irrtümer ist mit Sicherheit der Glaube, dass durch uns die Aufklärung schon ein abgeschlossenes Projekt wäre. Das wütende Bedürfnis sich selbst und andere zu täuschen ist doch in jeder zweiten Politiker- oder Künstlerrede oder überhaupt Rede herauszuhören.

Die Anstrengung bleibt.
Für Kant geht es eigentlich um die Würde des Menschen. Sie ist ein zentrales Thema der Aufklärung, in der ja auch die Menschenrechte ausgedacht worden sind. Die Würde, hat Karl Kraus gesagt, ist "die Konditionalform von Sein". Würde existiert, wenn überhaupt, im Konjunktiv. Meiner Meinung nach gibt es kein politisches System, das die Würde garantiert. Man muss um sie ständig kämpfen. Der Kampf gegen die Feigheit, die Faulheit, die Passivität, gegen das bequeme Leben unter Vormundschaften, von denen Kant spricht, ist ein Kampf um die menschliche Würde. Dieser Kampf ist von Ungleichgewichten beschwert. Die einen leben am reichen Rand der Welt und anderswo hungert man. In diesem Sinne ist das Projekt der Aufklärung gescheitert. Aber selbst wenn auf Erden noch keine Würde existiert, kann man mit dem Versuch nicht aufhören, sie herzustellen.

Was ist mit den Schatten der Aufklärung?
Es gibt die Aufgeklärtheit ohne Moral. Wenn zum Beispiel ökonomischer Rationalismus in totaler Einseitigkeit die Welt organisiert, schlägt die Rationalität in ihr Gegenteil um. Aufklärung, die zum Beispiel das Giftgas erfunden hat, oder Aufklärung, für die man Menschen ins eiskaltes Wasser wirft, um zu erforschen, wie sie darauf reagieren, ist das Umschlagen des Projekts der menschlichen Würde in die totale Demütigung.

In welchen Bereichen der österreichischen Gesellschaft ist dringend Aufklärung notwendig?
Eines unserer charakteristischen Probleme ist die Selbstfesselung durch Parteilichkeit. Wenn jemand von der Partei X etwas sagt, dann ist es automatisch falsch für die Partei Y. Das ist ein unaufgeklärtes reflexartiges Verhalten, aber es spielt eine große Rolle in der Öffentlichkeit. Im Bildungsbereich sind diese Selbstfesselungsprozesse der Parteien spürbar am Werk. Es gehört hier viel Mut dazu, sehr sehr viel Geld in das System hineinzupumpen und andererseits das System radikal zu verändern. Die Folgen werden sich ja erst in relativ langer Zeit zeigen.

Was kann so ein Symposium wie das der Oberösterreichischen Kulturvermerke über Aufklärung bringen?
Es verführt die Experten zu einem Meinungaustausch. Es kann einen Einzelnen im Publikum dazu anregen, selbst ein Experte zu werden. Und es können Leute etwas hören, zum Beispiel aus einer Schrift von Kant, das dann in ihrem Leben wichtig wird.

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