"Engel zeigen neue Perspektiven"

"Engel zeigen neue Perspektiven"
Engel-Boom: Vor allem Frauen und Oberösterreicher glauben an die Macht der Engel. Sie gelten als Boten Gottes.

Heute feiert die römisch-katholische Kirche den Schutzengel-Sonntag. Am Donnerstag wurde der Tag des Erzengels Michael begangen. Engel sind in. Laut einer aktuellen IMAS-Umfrage glauben 58 Prozent der Österreicher an Schutzengel. Für 27 Prozent gehören diese Wesen ins Reich der Fantasie. Die Engel haben es vor allem Frauen und Ober- und Westösterreichern angetan, so die IMAS-Umfrage. Ein Gespräch mit Susanne Gillmayr-Bucher, Professorin für Bibelwissenschaft des Alten und Neuen Testaments an der katholischen Privatuniversität Linz.

KURIER: Viele stehen der kirchlichen Lehre kritisch gegenüber, aber gleichzeitig boomen die Engel.
Susanne Gillmayr-Bucher: Engel standen weder im Zentrum der christlichen noch der jüdischen Lehrgebäude. Hier ist ein gewisser Freiraum, den die Menschen nutzen können, ein Freiraum, der nicht exakt definiert ist. Engel spiegeln sehr viel von der menschlichen Sehnsucht wider, dass es mehr als den mühsamen Alltag gibt. Dieses Mehr finden sie oft nicht mehr in den großen Kirchen. Hier bieten sich Engel als Symbolfiguren an, in die man mehr hineinlesen und die man emotional stärker fühlen kann.

Was sind Engel eigentlich?
In den biblischen Texten sind Engel Boten Gottes. Im Hebräischen gibt es gar kein eigenes Wort für Engel, sie werden einfach als Boten bezeichnet. Der Engel steht im Dienst des Gottes und bringt Mitteilungen von der göttlichen Welt an die Menschen. Die meisten biblischen Texte lassen die Engel in einer Notsituation auftreten. Wenn die Menschen nicht mehr aus und ein wissen, tritt ein Engel auf, der einen Ausweg, eine neue Sicht, eine neue Perspektive zeigt.

Woher kommt die Darstellung der Engel als Menschen in weißen Gewändern und mit weißen Flügeln?
In den biblischen Erzählungen erkennen die Menschen sie auf den ersten Blick als Männer und erst auf den zweiten Blick als Boten Gottes. Im Neuen Testament hören wir einmal davon, dass so ein Bote ein weißes strahlendes Gewand an hatte. Die spätere christliche Tradition, die diese Engel ausgestaltet hat, nimmt Anleihen bei anderen Kulturen, vor allem in der griechischen. Da gibt es geflügelte Engelwesen. Auch in der römischen Vorstellung ist Victoria, die Siegesgöttin, ein geflügeltes Wesen. Es ist auffallend, dass die christliche Tradition erst ab ab dem zweiten, dritten Jahrhundert Engel mit Flügeln darstellt. Die ältesten Darstellungen sind junge Männer, aber ohne Flügel.

Als Frauen sind die Engel nie erschienen?
Die Bibel berichtet nichts davon, aber bei vielen großen Malern sind Engel androgyne Gestalten. Man weiß oft gar nicht, ob es Frauen oder Männer sind.

Die Engel überbringen dem Menschen eine Botschaft.
Das ist seine zentrale Funktion. Nach so einer Engelbegegnung bleibt für die Menschen nichts mehr so, wie es gewesen ist. Entweder sie erkennen einen Ausweg oder sie erkennen, dass sich ihr Leben grundlegend ändern wird. Ein Beispiel ist die Engelbegegnung von Maria, die Verkündigungsszene. Solche Erzählungen gibt es mehrfach.
Engel haben auch noch eine andere Funktion. Sie können Mahnungen und Warnungen überbringen. So zum Beispiel, wenn sich Israel, das Volk Gottes, wieder auf Abwege begibt und nicht mehr auf seinen Gott hört.

Haben die Engel eine spezielle religiöse Bedeutung?
Über die Botenfunktion hinaus nicht. Es ist in der Bibel kein Interesse zu spüren, eine spezielle Engellehre zu entwickeln.
In der gesamten Umwelt Israels, im gesamten alten Orient, gibt es die Vorstellung von geflügelten Mischwesen. Das sind Darstellungen von Mischungen aus Tier- und Menschengestalten mit zwei, drei Flügelpaaren. Sie haben auch die Funktion Boten zu sein. Sie sind auch Wächterfiguren. Sie beschützen die Menschen. Wir finden diese Darstellungen häufig auf Siegelringen, auf Amuletten, in Form von Tonfigürchen, die man sich ins Haus stellt. Ganz häufig sind sie auch an Eingängen, auch an Tempeleingängen. Biblisch wird die Schutzfunktion wenig aufgegriffen, denn diese wird Gott selbst zugesprochen.

Sind Engel nicht untheologisch, denn es geht doch um Gott?
Menschen haben immer wieder Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass es Ihnen möglich ist, direkt mit Gott in Kontakt zu treten, sie haben eine Scheu vor dem transzendenten Gott. Um diese Begegnung zu ermöglichen, neigen sie dazu, sich Mittlerfiguren zu denken. Sie lassen die Kluft zwischen Mensch und Gott nicht so groß erscheinen. Auf der anderen Seite wird die Distanz gleichzeitig vergrößert. Denn wenn der Mensch sich nur mehr bis zum Engel traut, dann traut er sich nicht mehr bis zur Gottheit selbst. Diese Mittlerfunktion finden wir später auch in den Heiligenfiguren. In der offiziellen Theologie waren die Engel immer auch ein bisschen suspekt und man hat zu viel Engelglauben zurückgedrängt, weil die Gefahr besteht, dass die Engel an die Stelle Gottes treten.

Es gibt aber auch viele Menschen, die von Engeln gar nichts halten.
Es ist interessant, wie Engel unsere Alltagskultur bevölkern. Vor ein paar Jahren gab es beispielsweise die Kampagne "Gib Deinem Schutzengel eine Chance", "Fahr nicht schneller als Dein Schutzengel fliegen kann". Wenn man sich die Werbung ansieht, merkt man, wie viel Engelchen und Teufelchen sich tummeln. Die Engel verkörpern das Element der Sehnsucht.
In unserer sehr naturwissenschaftlich erklärbaren Welt kann alles logisch abgeleitet werden. Aber der Mensch braucht mehr, er sucht nach einer sinnhaften Ordnung jenseits des rein Rationalen.

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