„Die SPÖ ist nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft verankert“

Der Linzer Bürgermeister und SPÖ-Vorsitzende Klaus Luger
Der Linzer Bürgermeister KLaus Luger fordert eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei: Industrie, Klimaschutz, Digitalisierung, Schutz der Schwachen.

Klaus Luger (SPÖ, 61) ist seit 2013 Bürgermeister von Linz.

KURIER: Der Zustand der SPÖ ist besorgniserregend. Zu diesem Schluss kommen jene drei deutschen Experten, die für die Landes-SPÖ eine Analyse des Ergebnisses der Landtagswahl erstellt haben. Teilen Sie diese These?

Klaus Luger: Dem Grunde nach ja. Das wird in diesem Papier sehr nachvollziehbar begründet. Die Sozialdemokratie ist nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft verankert, das stelle ich in weiten Teilen der Partei fest. Das ist für eine Partei, die für sich selbst den Anspruch einer sozial-liberalen Volkspartei stellt, eine besorgniserregende Analyse.

Was heißt „nicht mehr in der Mitte verankert“ konkret?

Die SPÖ ist in vielen Bezirken im ländlichen Raum auch organisatorisch kaum mehr vorhanden. Es gab in so vielen Gemeinden wie noch nie keine Kandidaten für die Bürgermeister-Direktwahl, in ländlichen Bezirken teilweise gab es sogar keine Kandidaturen für den Gemeinderat. Die Partei ist nicht nur im ländlichen Raum weitgehend isoliert, sondern auch von gesellschaftlichen Schichten wie Jungunternehmern und Intellektuellen und Künstlern. Sie ist unattraktiv für Wirtschaftstreibende, vor allem für kleine und mittlere Unternehmer und für viele Leistungsträger. Dagegen sind die Gewerkschaften in der Mitte der Gesellschaft präsent, vor allem in den Großbetrieben. Und in Städten wie Linz ist es besser gelungen, den gesellschaftlichen Wandel nachzuvollziehen. Sonst wären wir bei der Wahl nicht die deutlich stimmenstärkste Partei gewesen.

Das Analysepapier spricht positiv über die Stärken in Städten wie Linz, Steyr oder Leonding. Das hängt vermutlich stark von den Führungspersönlichkeiten ab.

Auch, aber nicht nur. Man kann so einen Prozess nicht nur an einzelnen Personen festmachen. Dort, wo die SPÖ passende Persönlichkeiten finden konnte, gewann sie auch Wahlen. Zum Beispiel in Vöcklabruck, Freistadt oder Schärding. Linz und Leonding zeigen, dass sich die Partei mit der Bevölkerung mitentwickelt hat. Wir sind dort attraktiver und offener.

Im Papier werden neue Köpfe für die Partei und das Land gefordert. Birgit Gerstorfer hat bereits angekündigt, 2027 nicht mehr antreten zu wollen. Sie fordern auch einen neuen Landesgeschäftsführer. Wer soll das Ruder übernehmen?

Hut ab vor der Haltung von Birgit Gerstorfer. Viele von uns, und da nehme ich mich nicht aus, hätten nicht gedacht, dass sie eine so schonungslose Analyse auch öffentlich diskutiert. Es ist leichter, über die eigene Person diskutieren zu lassen, wenn man bei einer Stichwahl 73 Prozent erreicht als, wie wenn man das Ergebnis einer am niedrigsten Niveau dahindarbenden Partei zu erklären hat. Das ist mutig und von Haltung geprägt.

„Die SPÖ ist nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft verankert“

Luger in seinem Büro

Die Perspektive ist für mich ganz klar. Die relevanten Stakeholder der SPÖ, dazu gehören neben dem Landesparteipräsidium die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter, die Linzer SPÖ, der Landtagsklub, die Bezirksparteivorsitzenden und wir Bürgermeister, die gut abgeschnitten haben, müssen dafür sorgen, dass es einen menschlich korrekten, guten Übergang im Parteivorsitz geben wird. Ich glaube, dass wir im Hinblick auf 2027 ein Team bilden werden. Ich werde hier auch gern einen stärkeren Beitrag leisten. Das ist leichter, weil ich 2027 nicht mehr kandidiere. Im Landtagsklub sind acht der elf Abgeordneten neu. Das ist eine Riesenchance, weil die Vorbelastungen von Konflikten nicht da sind. Auch die Linzer SPÖ ist durch Peter Binder als Drittem Landtagspräsidenten wieder stärker in der Landes-SPÖ integriert. Es sind viele nicht mehr da, die Befindlichkeiten in den Strategieprozess bringen. Das ist eine Ausgangsbasis für eine Partei, die in einem besorgniserregenden Zustand ist, die aber Hoffnung erzeugt. Wir haben sie durch Taten umzusetzen.

Es ist noch Zeit, weil die nächste Wahl erst 2027 ist.

Das ist völlig korrekt. Wir brauchen nicht nervös werden. Es ist der Wunsch von Birgit Gerstorfer, beim Herbstparteitag nochmals zu kandidieren. Dem wird die Partei entsprechen. Es wird dann ganz wichtig sein, Schwerpunkte zu setzen, die in der Mitte der Gesellschaft sind.

Also eine neue inhaltliche Schwerpunktsetzung?

Selbstverständlich. Weil die Bisherige war nicht von Erfolg gekrönt. Der Beitrag der Linzer SPÖ wird ein inhaltlicher sein.

Was wird von Ihnen kommen?

Der Schwerpunkt ist die Verbindung des Industriestandorts mit dem Klimaschutz. Die Bewältigung der Digitalisierung. Und diejenigen, die bei diesen Prozessen an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, abzusichern. Der Focus liegt auf dem wirtschaftlichen Erfolg, auf der Arbeitsplatzentwicklung in der Digitalisierung und auf Internationalität. Das war, so selbstkritisch muss man sein, im vergangenen Wahlkampf nicht erkennbar. Eine Themenverfehlung.

Die Situation der Bundespartei wird im Analysepapier ebenfalls kritisch beurteilt. Wie sehen Sie die Lage?

Man muss hier immer wiederholen, unter welch’ katastrophalen Bedingungen Pamela Rendi-Wagner zu starten hatte. Der Rückzug von Christian Kern hat viel dramatischere Auswirkungen als eine Wahlniederlage gehabt. Er verließ von heute auf morgen das Schiff, Mann über Bord. Es ist in den vergangenen Jahren aus vielen anderen Gründen vieles in der SPÖ nicht gut verlaufen. Auch, weil es nicht gelungen ist, die Inhalte differenzierter zu diskutieren. Es geht bei vielen handelnden Akteuren um persönliche Befindlichkeiten.

Der Konflikt zwischen Hans Peter Doskozil und Rendi-Wagner nimmt kein Ende.

Das ist aus meiner Sicht von beiden Seiten ein emotioneller Sinnloskonflikt, bei dem niemand etwas gewinnen kann. Eigentlich müsste man sagen aus, diese Befindlichkeiten haben in der Öffentlichkeit keinen Platz. Als Mitglied des Bundesparteivorstandes muss ich sagen, auch nicht im Bundesparteivorstand. Wir haben Wichtigeres zu tun: Wie kann ein Land, das traditionell industriell geprägt ist, in die Zukunft transformieren? Wie kann Digitalisierung unseren Kindern ordentliche Perspektiven bieten? Wie können wir außer Après-Ski-Gejodle in den Alpen einen Tourismus betreiben, der auch noch in zehn Jahren volkswirtschaftlich Sinn macht? Es gibt in allen Regionen riesige Herausforderungen. Es gibt im Arbeitsüberkommen der Regierung von Türkis und Grünen dafür durchaus Ansätze, die aber den urbanen Raum völlig außer Acht lassen. 40 Seiten beschäftigen sich mit der Entwicklung im ländlichen Raum, zwei Seiten mit der Industrie. Das ist eine Riesenchance für die Sozialdemokratie.

Sie sind nun neun Jahre Linzer Bürgermeister, fünf Jahre wollen Sie noch bleiben. Was haben Sie noch vor?

Es war ein starker Wunsch von mir, den ich dann auch durchsetzen konnte, dass ich das Wirtschaftsressort mit dem Forschungs-, Innovations- und dem Digitalisierungsressort verbinden konnte. Oberste Schwerpunkte sind Arbeitsplätze in der Zukunft, Digitalisierung und Klimaschutz. Das wird meinen Arbeitsalltag prägen. Ich versuche Linz zum Wasserstoffzentrum Österreichs zu entwickeln. Hier geht es nicht um klassische Parteipolitik.

Was heißt Wasserstoffzentrum konkret?

Wir wollen verstärkt ein Forschungszentrum werden. Ein Beitrag ist die Forschungsanlage der voestalpine, von Borealis und der Linz AG. Wir haben mit Univ. Prof. Sariciftci einen chemischen Physiker, der seit Jahrzehnten ein Topforscher für Solarenergie im weitesten Sinn ist und der immer stärker in die Umsetzung von Wasserstoff geht. Wir haben einzelne Firmen, hidden champions, die sich mit der Zerlegung von Wasserstoff beschäftigen, seiner Aufbewahrung und seines Transports. Wenn wir uns aus dem Gasgeschäft wegen des Klimawandels zurückziehen müssen, haben wir riesige Gasleitungen, die wir für den Wasserstoff nutzen können. Wir sind auf dem Weg, diese Expertise auszubauen. In fünf bis zehn Jahren soll Linz dastehen als Stadt, die diese Technologie für ihre Industrie einsetzt.

Sie präsentieren sich als Freund der Wirtschaft und Sie sind gleichzeitig, gegen die Linzer Ostumfahrung, deren Bau die Industrie fordert und die eine verkehrsmäßige Entlastung der Stadt bedeuten würde. Wie passt das zusammen?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Ostumfahrung, wie die Grünen, die sagen, Straße produziert Verkehr. Verkehr ist wie Wasser, er findet immer seinen Weg. Man kann ihn kanalisieren, in die Wege leiten oder nicht. Meine Kritik ist, dass die vorgeschlagene Variante nicht funktionieren wird. Weil sie nicht generell unterirdisch ist. Sie sieht vor, den Schiltenberg abzutragen. Mein Vorschlag ist, die Ostumfahrung so zu bauen wie den Grazer Plabutsch. Man fährt im Norden der Stadt in einen Tunnel und kommt im Süden raus. In Linz dann bei der Westautobahn. Was in Graz bezahlt worden ist, muss in Linz auch bezahlt werden. Es wird bei der jetzigen Variante überall Widerstand geben, in Steyregg und in Ebelsberg. Neben der Plabutsch-Lösung gibt es noch die Möglichkeit, die Ostumfahrung weiter östlich zu bauen, um das Betriebsbaugebiet Asten-Enns besser einzubinden.

Wer wird Ihnen als Linzer Bürgermeister nachfolgen? Stadtrat Dietmar Prammer oder Vizebürgermeisterin Tina Blöchl? An wen denken Sie?

Wenn man sich die Gemeinderatsliste genau ansieht, wird es bei 22 Gemeinderäten sicher mehr als zwei Optionen geben.

Nennen Sie uns Namen!

Das mache ich sicher nicht. Die Nachfolgediskussion ist verfrüht. Zudem werde ich sicher nicht entscheiden, wer in welche Funktion kommt, bevor ich gehe. Wir arbeiten daran, dass es ein breiteres Führungsgremium gibt. Ich möchte, dass ein Team die SPÖ in die nächste Periode führt. Nämlich ein Team aufzustellen, das in der Partei eine Mehrheit hat und mit ihm zu arbeiten. Dieses Recht, das ich mir damals genommen habe, das möchte ich meinen Nachfolgern nicht verwehren. Natürlich darf eine oder einer Bürgermeister sein. Aber die SPÖ wird noch Spitzenfunktionen in der Stadt- und Landesregierung benötigen. Mit mir findet ein Generationswechsel statt. Karin Hörzing, Stefan Giegler und ich sind alle aus einer Generation. Wir haben versucht, die Partei nach unseren Vorstellungen weiterzuentwickeln. Das wird 2026/’27 von einer neuen Generation gemacht werden. Ich unterliege nicht der Versuchung zu glauben, wie die nächsten 20 Jahre ausschauen sollen.

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