Die Schule der bunten Hunde
Sie tanzen ihren Namen, sprechen mit Pflanzen und kennen das Wort „Leistungsdruck" höchstens vom Hörensagen: Über Klischees wie diese kann man in der Freien Waldorfschule Linz nur müde lächeln – obwohl, etwas Wahres sei schon dran, geben der 18-jährige Sebastian Perner und sein 19-jähriger Schulfreund Sebastian Mayr zu. „Als Waldorfschüler ist man ein bunter Hund." Damit enden aber auch schon ihre Gemeinsamkeiten.
„Individualität" ist in der Waldorfpädagogik nämlich ein Stichwort. „Wir wissen selbst nicht, was die Waldorfschule genau ist. Jeder erfährt für sich, inwiefern die Schule einen weiterbringt", sagt Perner, der sich von seinem Schulfreund bald verabschieden muss. Mayr will schon vor der Matura abbrechen und eine freie Lehre im biologisch-dynamischen Gartenbau beginnen, während Perner eine Karriere als professioneller Go-Spieler (asiatisches Brettspiel, Anm.) vorschwebt. „Ich habe aber einen moralischen Druck, mir einen Beruf zu suchen, in dem ich etwas Gutes tun kann", sagt er nachdenklich. Das Handwerkszeug, sich zu einem „freien, urteilsfähigen Menschen" zu entwickeln, habe man ihm hier in die Hand gegeben.
Ganzheitlich
In Österreich gibt es 13 Waldorfschulen, die Kinder von der ersten Klasse bis zur Matura nach den anthroposophischen Theorien des Gründers Rudolf Steiner betreuen. Das Konzept baut auf Ganzheitlichkeit von Körper, Seele und Geist auf. Das spiegelt sich in den Schwerpunkten Handwerk, Kreativität und Naturwissenschaft wider.
„Der musische Part ist uns ganz wichtig. Es geht nicht um das Ergebnis, sondern um den Prozess", beschreibt die Russisch-Lehrerin Alexandra Luger die Intention dahinter, den Kindern in einem großen Teil ihrer Schulzeit künstlerische Fähigkeiten angedeihen zu lassen.
Die alternative Pädagogik will die jungen Geister in ihren Entwicklungsschritten begleiten, erklärt Klassenlehrerin Shona Feldmann. Das äußere sich schon an Kleinigkeiten wie der Wandfarbe: von Rosa für Erstklässlern bis zu Blau bei Maturanten. „In den ersten Jahren dominiert die spielerische Fantasie, die ab der siebenten Klasse weg ist, wenn das logische Denken einsetzt."
Die Buntheit der Schule ergibt sich schon alleine durch die rund 240 Schüler im Alter von sieben bis 19 Jahren. Lärmend sausen Taferlklassler durch das Erdgeschoß des altehrwürdigen Schulhauses im Linzer Domviertel, während die Abschlussklassen im obersten Stockwerk an ihren Projekten werken. Die Etagenhierarchie ist in der Waldorfschule die einzig tolerierte: Einen Direktor gibt es nicht, nur einen Schulältesten – und das ist Manfred Pröll, der in seinen 30 Jahren als Pädagoge einem klärenden Gespräch stets den Vorzug gegenüber einem „Fleck" im Zeugnis gab, sagt er.
Notendruck, rauchende Köpfe zur Prüfungszeit oder gar Sitzenbleiben sind ihm und seiner Kollegin Luger fremd. „Bei Tests gibt es eine Punktebewertung. Im Zeugnis wird aber jedes Fach nur verbal bewertet. Der individuelle Fortschritt ist dadurch viel transparenter", erklärt die Russisch-Lehrerin, die aber auch weiß: „Jedes Kind will gut sein und das bestätigt haben."
Der Vorwurf, Waldorfschulen brächten antiautoritär erzogene Absolventen hervor, die besser töpfern als rechnen können, wird durch oft übertroffene Mindesstandards des Bundesministeriums Lügen gestraft. „Wir unterrichten hier nicht nach Lust und Laune. Es gibt eine Leistungslatte, die jeder passieren muss", betont Luger.
Maturaklassen werden deshalb von Gastlehrern aus dem öffentlichen Schulsystem unterrichtet – samt ihrer Methoden. „Unsere Schüler bekommen erstmals in der achten Klasse Noten, weil manche dann eine Lehre beginnen. In der 13. Klasse ist das ein zweites Mal sinnvoll", erklärt Luger, die selbst in einer lernstressfreien Atmosphäre einer Waldorfschule großgeworden ist.„Unser einziger Stress ist der, den eigenen Erwartungen gerecht zu werden", sagt ihr 18-jähriger Schüler Perner und fügt hinzu: „Was nützen einem lauter Einser im Zeugnis, während man sozial dramatisch unterentwickelt ist?"
Kommentare