„Die Kirche ist in Not“
Hubert Gaisbauer stammt aus dem mühlviertlerischen Hagenberg. Der 73-Jährige war Leiter der Abteilung Religion im ORF-Hörfunk. Vor einem Jahr veröffentlichte er ein Buch über den Konzilpapst Johannes XXIII. mit dem Titel „Ruhig und froh lebe ich weiter". Es erschien im Wiener Domverlag.
KURIER: Wie haben Sie das II. Vatikanum, das von 1962 bis 1965 dauerte, erlebt?
Hubert Gaisbauer: Ich war damals, als Johannes XXIII. das Konzil am 25. Jänner 1959 verkündet hat, in der Maturaklasse im Linzer Petrinum. Unser Griechisch-Professor, der Priester war und eine ähnliche Figur wie Angelo Roncalli hatte, hat sich unter die Tür gestellt und gesagt, also, das hätte ich diesem Papst nicht zugetraut. Die Ankündigung des Konzils hat uns unglaublich bewegt. Als es 1962 begann, haben meine Frau und ich geheiratet. In der Zeit des Konzils sind auch unsere drei Kinder zur Welt gekommen. Als armes Studentenehepaar hatten wir nur einen alten Volksempfänger, aber wir haben ihn immer aufgedreht, wenn über das Konzil berichtet wurde. Das war damals so ähnlich wie man heute die Medien zu Fußballspielen aufdreht. Die Stimme des Berichterstatters Pater Mario von Galli war geradezu unfassbar. 1968 hat er in Frankfurt bei einem Katholikentag gesprochen. Auf die Frage, warum aus dem Konzil nicht das geworden ist, was wir uns alle erhofft, erwünscht und erträumt haben, sagte er, es war die blanke Angst.
Diesen Befund hat er also schon 1968, drei Jahre nach dem Konzilsende, gezogen.
Er sagte, die Bischöfe haben ja gebibbert vor Angst, wenn sie zurückgefahren sind in ihre Diözesen. Denn sie haben ja nicht gewusst, was auf sie zukommt und was das Konzil in der Praxis heißt. Johannes XXIII. hat am deutlichsten diese Offenheit und dieses Zurückdrängen der Ängstlichkeit repräsentiert. Er ist voller Vertrauen, wie Montini, der spätere Papst Paul VI., gesagt hat, in das Hornissennest hineingegangen. Mit Hornissennest hat er die Kurie gemeint. Johannes XXIII. hat gewusst, mit der Kurie schafft er es nicht. Als Bischof von Rom brauchte er die Hilfe der anderen Bischöfe. Nur so konnte er das aggiornamento, also eine Anpassung der Kirche, an die heutigen Verhältnisse, durchsetzen.
Wie haben Sie das Konzil stimmungsmäßig empfunden?
Es war vor allem einmal die Liturgie. Das hat man ja erleben können. Wir haben in Wien in einer Pfarre gewohnt, wo der Pfarrer ein unglaublich fortschrittlicher Mensch war. Die Messe in der Landessprache, mit dem Volksaltar die Hinwendung zum Volk, er hat Dialogpredigten probiert. Dazu das neue Verständnis der Bibel. Der Laie als das Volk Gottes, er ist mündig, er darf etwas tun, die Teilhabe an der Liturgie. Das war ein toller Aufbruch, den heute viele gar nicht mehr nachvollziehen können. Die Kirche als wanderndes, pilgerndes Volk Gottes. Das ist keine Heerschar, sondern eine mühselige Angelegenheit. Dieses Bild hilft mir heute noch.
Johannes XXIII. war ein konservativer Mensch. Aber ihm war klar, es muss etwas passieren, ohne dass er genau das Resultat kannte.
Er hat schon gewusst, auf was es ankommt. Das war seine fundamentale Lebenserkenntnis. Er nannte es den succo vitale. Ihm war klar, dass die Lehre ein Schatz ist, den es zu hüten gilt, aber was hat man vom schönsten Schatz, wenn er er nicht genützt wird. In einer Zeit, in der sich die Welt vollkommen verändert hat, politisch, sozial, kulturell, soziologisch und in der Wahrnehmung von Religion. Das hat er ja alles erlebt. Er hat 30 Jahre verbracht als Schule für den Gedanken, die Kirche muss sich den neuen Verhältnissen anpassen. Sie muss eine pastorale Kirche sein, also eine sorgende. Es ging ihm mehr um die Menschen als um die Kirche. Das geht auch aus den Aussagen an seinem Sterbebett hervor, die er als Vermächtnis vor Zeugen gemacht hat. Die Kirche ist für die Menschen da und nicht die Menschen für die Kirche. Sie ist für alle Menschen da und nicht nur für die Katholiken. Paul Claudel hat ihn den Seelsorger der ganzen Welt genannt.
Um ihn richtig zu verstehen, muss man auch seine Friedensenzyklika „pacem in terris" und seine Konzils-eröffnungsrede lesen, in der alles drinnensteht.
Wenn Sie die damalige Situation mit der heutigen vergleichen, was fällt Ihnen dazu ein?
Wir sind in einer Zeit der Not. Die Not haben alle, die in dieser Kirche bleiben wollen. Das wollen letztlich doch die meisten. Sie haben die Not, weil sie nicht wissen wie es weitergeht. Wie kann die Seelsorge, die Johannes XXIII. so ein Anliegen war, weiterhin gewährleistet werden? Es gibt nach wie vor eine große Ängstlichkeit etwas aufzugeben, wenn man die Schritte, die man sofort setzen könnte, tatsächlich machen würde.
Zum Beispiel?
Das Diakonat der Frau könnte man sofort umsetzen. Das wäre ein Zeichen. Viri Probati, die Zulassung bewährter, verheirateter Männer zum Priesteramt, wäre ein weiteres. Die Kirche müsste Zeichen setzen, um zu zeigen, dass sie nicht dieser verknöcherte Verein ist, wie sie immer dasteht, sondern dass etwas möglich ist. Mir scheint, die Welt lechzt danach, dass man mit dieser Kraft rechnen kann im Sinne der Enzyklika „populorum progressio", dem Fortschritt der Völker. Die Papstreisen sind gut und schön, es werden auch wichtige Sachen gesagt, aber es bleiben die Mauern des Vatikana, die wie eine Befestigung wirken. Zugegeben, in der Ökumene, in der Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen, hat es Fortschritte gegeben, aber auch hier herrscht nun Stagnation.
Wie erleben Sie die jetzige Situation?
Ich habe volles Verständnis für die Pfarrerinitiative. Johannes XXIIII. hat gesagt, wo immer ich hinkomme, schaue ich zuerst auf das, was uns eint. Das sollte auch auf Kirchenebene passieren. Wir können uns mit der Bibel und Gebeten in Notzeiten ohne Priester selbst versorgen. Aber das ist nicht der Sinn der Übung. Der Sinn ist, dass man gemeinsam geht. Den Bischöfe ist das nicht egal. Es kommt aber immer wieder Rom ins Bild.
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