„Die E-Mobilität wird sich durchsetzen“

Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender der Verbund AG
In neun Jahren will Österreich den Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien herstellen. Das ist ein weiter und steiniger Weg

Michael Strugl ist seit Jahresbeginn Vorstandsvorsitzender des Stromkonzerns Verbund AG. Der 57-Jährige war von 2013 bis 2017 Wirtschaftslandesrat und anschließend Landeshauptmannstellvertreter. Mit Jahresbeginn 2019 wechselte er in den Verbund-Vorstand.

KURIER: Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender des VW-Konzerns, sieht allein mit den E-Autos die Möglichkeit, die Klimaziele zu erreichen. Wasserstoff für Autos sei zu teuer und zu ineffizient, argumentiert er. Sehen Sie das auch so?

Michael Strugl: Die E-Mobilität wird sich durchsetzen, das glauben wir auch. Allerdings wird es in der Mobilität einen Technologiemix geben. Die batteriegetriebene Mobilität wird vor allem im Pkw zu finden sein. Bei schweren Frachten, Lkw, Schiene, Schiff, Flugzeugen wird es wahrscheinlich Wasserstoff sein. Es gibt aber auch Alternativen wie zum Beispiel synthetische Kraftstoffe (E-Fuels).

Es gibt bereits wasserstoffgetriebene Pkw, zum Beispiel von Toyota. Wird sich Wasserstoff beim Pkw nicht durchsetzen?

Die Batterie hat jedenfalls einen Riesenvorsprung. Die Autohersteller setzen auf die E-Mobilität, auch weil sie die -Flottenziele erreichen müssen. Damit ist klar, dass diese Technologie eine große Rolle spielen wird. Jetzt muss die Ladeinfrastruktur nachwachsen.

Die Auto-Industrie hat den Ball Wasserstoff noch nicht richtig aufgenommen. Das geht nicht von heute auf morgen. Auch die Infrastruktur muss erst hergestellt werden. Man muss sich die spezifischen Vorteile jeder Technologie ansehen. Wasserstoff ist auch nichts anderes als ein E-Antrieb, anstelle der Batterie ist eine Brennstoffzelle enthalten, die Strom produziert. Unserer Einschätzung nach wird das im Frachtbereich kommen, und dort, wo eine Batterie schwer einsetzbar ist. Oder alternativ synthetische Kraftstoffe.

Ist Österreichs E-Wirtschaft in der Lage, die große Menge an E-Autos, die kommen wird, mit Strom zu versorgen?

Es ist weniger das Problem, dass man genügend Strom zur Verfügung hat. Die größere Herausforderung wird das Lastmanagement sein. Man muss die Ladevorgänge so steuern, dass es nicht zu großen Lastspitzen kommt. Wenn zum Beispiel alle um 18 Uhr nach Hause kommen und ihr E-Auto anstecken. Das wäre nicht gut.

Das wird aber so sein.

Es gibt Technologien, wie smarte Wallboxen smarte Grids, smarte Meter, die diese Lastgänge so steuern, dass dann geladen wird, wenn weniger Strom verbraucht wird. Man muss davon ausgehen, dass 90 Prozent der Ladevorgänge langsames Laden sein wird. Zum Beispiel während der Nacht oder während der Büroarbeit. Die Schnellladevorgänge sind eher die Ausnahme.

Wird diese neue Mobilität teurer als die herkömmliche?

Das lässt sich nicht mit einem Satz beantworten. Man muss sich über einen gesamten Zyklus anschauen, was ein Elektroauto den Konsumenten kostet. Von den Betriebskosten gesehen ist es eindeutig günstiger als ein fossiles Auto.

Aber von der Anschaffung ist es teurer.

Das wird sich ändern. Je mehr Modelle auf den Markt kommen, umso günstiger werden sie produziert und verkauft werden können. Zu den günstigeren Betriebskosten kommen noch Steuerprivilegien.

Bis 2030 soll der Strom in Österreich zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie kommen. 18 Milliarden Euro müssen in den Ausbau der Stromnetze investiert werden. Das sind pro Jahr zwei Milliarden Euro. Ist das realistisch?

Von der Investition her, die die Unternehmen tätigen, ist es realistisch. Das ist alles geplant. Der Unsicherheitsfaktor sind die Genehmigungsverfahren. Kann gebaut werden, bekommen wir die Genehmigungen? Das ist der kritische Engpassfaktor.

Ein Beispiel ist der Widerstand gegen den Bau der 110-kV-Leitung durch das Mühlviertel.

Ich habe in Oberösterreich drei Leitungsprojekte erlebt. Hier wird man ansetzen müssen. Wie schaffen wir es, den notwendigen Leitungsausbau umzusetzen? Parallel und synchron mit dem Zubau von Erzeugung, denn 27 Terawattstunden sollen dazukommen. Es darf nicht an den Verfahren scheitern.

Wie lange darf aus Ihrer Sicht ein Verfahren dauern? Es dauert oft Jahre.

Jahre dauert es sowieso. Die Frage ist, ob die Verfahren zehn, 15 oder 20 Jahre dauern. Wir brauchen jedenfalls eine gewisse Planungssicherheit. Wenn es 20 Jahre dauert, bis so ein Projekt wie die 380-kV-Salzburgleitung fertiggebaut ist, ist das deutlich zu lange. Wir haben jetzt für die 27 Terawattstunden noch neun Jahre Zeit. 27 Terawattstunden braucht es, um das Ziel 100 Prozent Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erreichen. Wenn die Verfahren zehn und mehr Jahre dauern, geht sich das nicht aus. Wir werden Widerstand nicht nur bei den neuen Leitungen sehen, sondern auch bei den neuen Erzeugungsanlagen. In Deutschland hat man das beim Ausbau der Windkraftanlagen bereits gesehen. Er ist beinahe zum Erliegen gekommen. Es wird auch bei uns Diskussionen geben, wenn wir Windräder und Fotovoltaikfreiflächenanlagen bauen werden.

2030 ist somit einigermaßen unrealistisch.

Es ist zumindest hoch ambitioniert. Wir reden meist vom Zubau von Kapazitäten in der Erzeugung. Wir reden zu wenig davon, dass wir das Netz und Speicherkapazitäten ausbauen müssen.

Was bedeutet Speicherkapazitäten konkret?

Es gibt Kurzzeit- und Langzeitspeicherung. Die Kurzzeitspeicherung ist hauptsächlich Batterie-basiert. Man benötigt sie für Netzdienstleistungen. Man kann sie im Einfamilienhaus für die Solarspeicherung brauchen. Hier geht es wesentlich um den Zyklus über die Nacht.

Wir benötigen lange Speicherzyklen, wenn wir immer mehr Sonnen- und Windenergie erzeugen. Denn wir haben im Sommer zu viel Erzeugung und im Winter zu wenig. Wir müssen sie daher vom Sommer in den Winter verschieben. Das kann man derzeit nur mit Hydrospeichern, also Pumpspeichern und Speicherkraftwerken. Wir haben viele solcher Wasserspeicher.

In Österreich muss man rund zehn Terawattstunden saisonal verschieben, wenn der Vollausbau kommt. Derzeit haben wir rund ein Drittel in den Hydrospeichern. Zwei Drittel fehlen. Hier wird man auch andere Technologien benötigen wie Gasspeicher. Möglicherweise auch grüne Gase wie Wasserstoff.

Sie sind in der Politik groß geworden und sind nun etwas mehr als zwei Jahre im Vorstand des Verbunds. Was sind die Unterschiede und die Parallelen zwischen Politik und Wirtschaft?

Wir sind als Verbund ein börsennotiertes Unternehmen. Bei uns zählt, was unter dem Strich herauskommt. Ein Konzern wie der Verbund ist zahlengetrieben. Alles ist messbar und wir werden auch daran gemessen.

Das ist in der Politik viel schwieriger. Da geht es um Stimmungen, um Emotionen, man muss in Echtzeit reagieren. Im Unternehmen können wir planen, wir haben Quartale, wir haben Geschäftsjahre. Insofern ist die Wirtschaft objektiver. Sie ist auch rationaler. Das liegt mir sehr.

Auch in einem Konzern, in einem Unternehmen, auch in einem Geschäft muss man Stake-Holder-Management betreiben, Beziehungen pflegen, man muss verhandeln, und eine holistische Sicht haben. Diesen Zugang habe ich in der Politik gelernt. Man muss auch strategische Kalküle anstellen. In der Politik genauso wie im Geschäft. Da kann man auch in der Politik etwas lernen.

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