„Die Bauwirtschaft boomt, die Preise sind enorm“

Johann Hingsamer, Präsident des oberösterreichischen Gemeindebundes
Die Förderungen der Bundesregierung treiben die Baupreise in den Gemeinden in die Höhe, was auch den Häuslbauern teuer zu stehen kommt.

Johann Hingsamer war von 1991 bis 2020 Bürgermeister der 1.337 Einwohner zählenden Gemeinde Eggerding (Bez. Schärding), zudem ist der 65-Jährige seit 1997 Landtagsabgeordneter (ÖVP) und seit 2010 Präsident des Gemeindebundes, Funktionen, die er im Herbst bzw. nächstes Jahr auslaufen lässt.

KURIER: Doris Hummer, Präsidentin der Wirtschaftskammer, sagt, dass die Firmen die Aufträge der Gemeinden noch nicht spüren.

Johann Hingsamer: Das stimmt nicht. Schon aufgrund des ersten Paketes des Bundes, einer Investitionsförderung, sind 1.200 Projekte beantragt worden. Allein das, was in den Budgetvoranschlägen der Gemeinden für heuer enthalten ist, ist deutlich mehr als in den beiden Vorjahren, also auch mehr als im guten 2019er-Jahr. Die Bauwirtschaft boomt und ist weit bis in den Herbst ausgebucht. Die Preise sind nicht gut für den Auftraggeber.

„Die Bauwirtschaft boomt, die Preise sind enorm“

Die Baufirmen sind ausgelastet, wie hier beim Bau der neuen Linzer Donaubrücke

Das heißt, die Bauten sind teuer?

Ja. Mich erbarmen auch schon die Häuslbauer. Die Preise sind enorm. Die Bauwirtschaft wird sagen, sie steigen, weil die Qualität immer besser wird. Das mag schon sein. Bei Ausschreibungen erzielt man derzeit keine guten Preise, weil die Auftragsbücher voll sind.

Jede Förderung beeinflusst auch das Marktgeschehen. Im Straßenbau herrscht völlige Auslastung, ebenso im Hochbau und nun auch im Tiefbau, also im Kanal- und Wasserleitungsbau.

Die Fördermaßnahmen des Bundes haben den Baubereich angeheizt. Den Preiswettbewerb gibt es eigentlich nicht mehr.

Leiden die Gemeinden unter einer mangelnden Finanzierung? Durch Corona noch verschärft?

Ja, wobei zwei Finanzpakete des Bundes und eines des Landes den Gemeinden die extremsten Sorgen abgenommen haben.

Mit welchen Hauptaufgaben sind die Gemeinden konfrontiert?

Das ist der seit Jahren steigende Aufwand in der Pflege und im Gesundheitsbereich. Dafür geht die Hälfte der Einnahmen, sprich der Steuern, auf. Mit Ausnahme des Gebührenbereichs (Wasser und Kanal).

Das ist die Abdeckung des Defizits der Spitäler.

Das macht 21 bis 22 Prozent aus. 24 bis 25 Prozent gehen für die Pflege und die Behindertenhilfe auf.

Pflege bedeutet die Finanzierung der Bezirksaltenheime.

Dazu kommt noch der Behindertenbereich. Also das Wohnen, die Tagesbetreuung und die Behindertenassistenz. Dabei ist auch noch die Kinder- und Jugendhilfe, die Schulassistenz und die Schulbegleitung mit ergänzendem Nachmittagsunterricht. Und die stationäre Unterbringung von Kindern, die nicht mehr in Familien betreut werden können.

Die Gemeinden haben von diesem Ausgabenbrocken für Pflege und Gesundheit wenig.

Die Gemeinde kann nicht steuern. In der Gesundheit haben wir überhaupt keinen Einfluss. In der Pflege haben wir den Einfluss nur über die Bezirkssozialhilfeverbände. In der Kinder- und Jugendhilfe zahlen wir, wir entscheiden aber nicht. Dasselbe gilt für den Behindertenbereich.

Dieses System passt nicht.

Der Bürgermeister ist bereit, dort zu zahlen, wo er (mit-)entscheidet. In den Bereichen, wo wir Zahler sind, wir aber nicht gefragt werden, wird es schwierig.

Die Finanzierung der Gesundheit ist unverändert eine Baustelle. Wir bräuchten hier eine Finanzierung aus einer Hand. Der niedergelassene Bereich (praktische Ärzte, Fachärzte) und der stationäre Bereich (Spitäler) sollten aus einer Hand finanziert werden.

Idealerweise von wem? Den Ländern?

Es gehört in eine Bundesländerzielsteuerung. Von dort aus sollte man steuern. Die Sozialversicherungsträger, sprich die Krankenkassen, haben ihre Beiträge zur Finanzierung der Spitäler mit 22,8 Prozent gedeckelt. Was darüber hinaus geht, müssen Land und Gemeinden zahlen. Dadurch gibt es keinen Anreiz für die Krankenversicherungsträger, zum Beispiel die Spitalsambulanzen zu entlasten und die Aufgaben mehr zu den Fach- und Hausärzten zu verlagern. Diese sind oft wesentlich kostengünstiger organisiert.

Diese gewünschte Finanzierung aus einer Hand ist zum Beispiel in Südtirol gelungen. Denn dort ist der gesamte Gesundheitsbereich steuerfinanziert und nicht versicherungsfinanziert, wie bei uns.

Das Thema Kinderbetreuung ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen, aber nicht sprunghaft. Die Ausgaben steigen. Die Bereiche Kanal und Wasser bereiten den Gemeinden wenig Sorgen, wir sind hier aufgrund der Gebühren meist kostendeckend.

Ist nicht durch die Einführung der Kindergartengebühr für die Nachmittagsbetreuung eine finanzielle Entlastung entstanden?

Um diesen Betrag ist auch die Förderung des Landes verändert worden. Eine Entlastung für die Gemeinden ist nicht wirklich entstanden.

Was ist die Haupterfahrung, die Sie in den 29 Jahren Ihrer Bürgermeisterei gemacht haben?

Es hat sich vieles geändert. Alles, was Verwaltung betrifft, ist exakter und perfekter geworden. Als ich Bürgermeister geworden bin, war das auch in Ordnung. Es war halt nicht so perfekt und exakt in Form der Bescheide und in der Kontrolle der Baupläne. Die Bauverhandlungen waren vor Ort, man hat eine Jause und einen Kaffee bekommen, es war ein Tag, an dem man mit den Menschen intensiv beisammen war, mit den Bauwerbern und den Nachbarn.

Mit den vereinfachten Verfahren ist das nicht mehr so, es geht jetzt schneller, es ist rechtlich alles positiv abgeklärt. Bevor die Nachbarn heute einen Plan unterschreiben, beobachten sie viel kritischer, ob sie eventuell Nachteile haben können. Heute schauen sich das auch viel öfter Rechtsanwälte an, was zu Beginn meiner Tätigkeit kaum der Fall war.

Früher hat man sich für die Dinge noch mehr Zeit genommen. Die Bürgermeisterkonferenz hat zwei bis drei Stunden gedauert, danach ist man noch fünf bis sechs Stunden in einem Wirtshaus zusammengesessen. Man hat hier sehr viel auf der persönlichen Ebene vereinbart, man hat auch viel Verständnis für die Probleme des anderen Bürgermeisters gehabt. Heute dauert eine Bürgermeisterkonferenz in etwa gleich lang, aber es läuft danach alles auseinander. Heute sind die Bürgermeister sehr viel Individualisten. Ich sage jetzt vorsichtig, der Weg von Individualismus zum Egoismus ist nicht sehr weit.

Wir reden jetzt sehr viel von Kooperationen, wo es vermessen wäre zu sagen, wir sind hier flott unterwegs. Das ist nicht der Fall, aber es gibt einige positive Beispiele.

Das Thema Gemeindezusammenlegung hat sich erübrigt.

Das ist ganz vom Tisch. Die Menschen wollen das nicht. Die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden wird notwendiger werden. Das Modell Bad Hall, wo drei Gemeinden eine gemeinsame Bauverwaltung haben, hat sich bewährt. Die Spezialisierung in der Verwaltung wird weitergehen. Tempo beim Thema Zusammenarbeit haben wir nicht drauf. Das zu behaupten wäre vermessen.

Das Interesse, ein Bürgermeisteramt zu übernehmen, ist zurückgegangen. Warum?

Es ist nicht einfach, dafür jemanden zu finden. Wir von der ÖVP haben noch nicht in allen Gemeinden einen Nachfolger für die Wahl im Herbst.

Was hindert Interessierte, dieses Amt zu übernehmen? Man bekommt doch einigermaßen Geld und hat ein gewisses Ansehen.

Die Bezahlung passt nun einigermaßen. Nach der Wahl gibt es einen einheitlichen Funktionsbezug. Er bezieht sich auf einen bisher hauptberuflichen Bürgermeister und bewegt sich bei einer Gemeindegröße von 1.000 bis 2.000 Einwohner bei 3.900 Euro brutto. Bei einer 10.000-Einwohner-Gemeinde hat ein Bürgermeister rund 6.000 Euro brutto. Je größer eine Gemeinde ist, umso zeitintensiver ist die Tätigkeit. Ein Gegenargument, das Amt zu übernehmen, ist, dass Interessierte sagen, ich lasse mich nicht in das politische Geplänkel hineinziehen. Jeder, der in die Politik geht, setzt sich öffentlicher Kritik aus.

Für Verunsicherung haben auch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft gesorgt. 90 Prozent sind ad acta gelegt worden, aber manche Bürgermeister hat es stark erwischt, wenn ich zum Beispiel an Pichl bei Wels denke (wissentliches Nichteinheben von Wasseranschlussgebühren, Anm.).

Heute ist das Zusammenleben in den Familien viel besser als vor 30 Jahren. Mann und Frau ergänzen sich viel besser im Haushalt und haben mehr Verständnis füreinander. Früher ist der Mann oft einfach aufgestanden und ins Wirtshaus gefahren. Für das Familienleben ist ein Bürgermeisteramt nicht angenehm. Für viele ist die Freiheit und die Freizeit wichtig. Der Bürgermeister muss aber bei seinen Bürgern sein, vor allem auch am Wochenende. Für viele, die einen guten Job haben, ist die Arbeit wichtiger als ein Bürgermeisteramt. Die Arbeitswelt wird immer fordernder.

Was sind heute die Erwartungen und Anforderungen an einen Bürgermeister?

Er sollte der Motor in der Gemeinde sein. Er sollte im Denken der Zeit stets ein paar Jahre voraus sein. Er sollte wissen, was die Gemeinde in zwei, drei, fünf Jahren benötigt. Es braucht heute aufgrund der demokratischen Prozesse Jahre, bis ein Projekt umgesetzt werden kann.

Der Bürgermeister muss immer auch zu vermitteln versuchen. Zum Beispiel zwischen Nachbarn, die einen Streit haben. In schwierigen Situationen zwischen Vereinen. Der Weg des Umarmens ist oft ein besserer als den harten Weg zu gehen.

Die Menschen erwarten von der Gemeinde immer stärker, was sein soll. Die finanzielle Entwicklung der Kommunen ist aber nicht ganz so, wie sie sein soll. Es wird nicht einfacher, denn die Menschen werden kritischer. Sie wollen besser informiert sein, was gut ist. Der Personalaufwand steigt, weil alles genauer und perfekter sein muss. Die Mittel sind dafür oft nicht ganz so da.

Viele Menschen in den ländlichen Regionen sind zum Pendeln gezwungen.Kolonnenverkehr und Staus finden nicht nur in Städten, sondern auch auf den Bundesstraßen statt.

Je besser sich in Regionen Wirtschaft und Industrie entwickeln, umso mehr Verkehr ist auf den Straßen. Zum Beispiel auf der B148 von der Autobahnabfahrt Ort/I. nach Braunau. Wir sagen, die Arbeit gehört zu den Menschen. Aber dort, wo Arbeit ist, ist Verkehr. Wir wollen die wirtschaftliche Entwicklung, weil sie Kaufkraft bedeutet. Wir haben manche Regionen im Hinterland wie den Sauwald, wo wir weder einen guten Straßenausbau noch eine gute Wirtschaftsentwicklung haben.

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