„Die Atomkraft ist am Ende. Sie war der falsche Weg“

Anzengruber: „Wir können erneuerbare Energien nicht auf Dauer fördern. Sie müssen sich rechnen.“
Wolfgang Anzengruber. Vor 40 Jahren, am 5. November 1978, stimmten 50,47 % der Österreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. Auch im Eferdinger Becken war ein AKW geplant. Für Anzengruber ist die Atomkraft am Ende.

Wolfgang Anzengruber ist Vorstandsvorsitzender des Verbunds. Österreichs führendes Stromunternehmen beschäftigt 2800 Mitarbeiter und machte 2017 rund 2,9 Milliarden Euro Umsatz. 95 Prozent des Verbund-Stroms kommt aus Wasserkraft. Der 62-Jährige stammt aus Garsten und hat die HTL in Steyr absolviert.

KURIER: Fahren Sie ein Elektroauto?

Wolfgang Anzengruber: Ja, privat fahre ich einen Renault Zoe. Mein erster war ein Nissan Leaf.

Werden sich Elektroautos durchsetzen?

Sie werden sich nicht hundertprozentig durchsetzen, aber sie werden ein wichtiges Segment in der individualen Mobilität sein. E– Autos emittieren kein CO2. Die Betriebskosten sind deutlich niedriger.

Das Fahrgefühl ist wunderbar. Ein Nachteil ist die geringe Reichweite, aber das ist sehr relativ. Die durchschnittliche Strecke eines Österreichers sind 35 km. Mein Auto hat 320 km Reichweite.

Wenn man eine längere Urlaubsreise macht, nimmt man sich ein Leihauto. Das zweite Gegenargument ist das fehlende Ladenetz. Aber das ist inzwischen auch schon gegeben. Mit der neuen Technologie steigen die Ladeleistungen massiv.

Das Ziel ist eine Ladeleistung von vier Minuten für 100 km Reichweite.

Ihr Kollege Werner Steinecker von der Energie AG glaubt, dass sich die Wasserstoffautos durchsetzen werden.

Die Wasserstoffmobilität wird sicher auch ein Thema werden. Vor allem im Schwerlastverkehr. Im Pkw sehe ich sie in der nächsten Zeit nicht. Bis eine Automobilserie herauskommt, vergehen zehn Jahre. In den nächsten zehn Jahren sehe ich das Elektroauto im Vordergrund.

Haben wir genügend Stromkapazität, um die E-Autos zu versorgen?

Es gibt rund 4, 5 Millionen Pkw in Österreich. Wenn alle mit einem Schlag auf E-autos umgestellt werden würden, würden wir 14 Prozent mehr Strom benötigen. Das ist etwas viel, keine Frage, aber das ist kein Prozeß, der innerhalb der nächsten fünf Jahre stattfindet. Das ist nicht das Limitierende.

Warum engagieren wir uns als Verbund neben der OMV und Siemens bei der Installierung des Hochleistungsladenetzes SMATRICS? Wir werden im Stromnetz der Zukunft eine Fülle von Speichern brauchen. Denn die erneuerbaren Energien sind sehr volatil. Sie erzeugen Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Die Elektromobilität kann einen Beitrag zum Aufbau der Speicherkapazität leisten. Wir haben dann eine Fülle von dezentralen Speichern, denn das Auto steht ja die meiste Zeit. Wenn es am Netz hängt, ist der Speicher auch verfügbar und man kann ihn zur Stabilisierung des Netzes heranziehen. Das ist ein Beitrag zur Versorgungssicherheit.

Ein weiteres innovatives Projekt ist H2Future, das Sie gemeinsam mit Siemens und der voestalpine in Linz betreiben.

H2Future ist das weltweit größte Pilotprojekt, das wir derzeit auf der Elektrolyse machen. Es geht darum, aus erneuerbarem Strom über die Elektrolyse Wasserstoff und Sauerstoff zu gewinnen. Im Wasserstoff kann man Energie speichern. Und Wasserstoff kann unmittelbar in der Metallurgie eingesetzt werden und Kohle und Koks substituieren. Wasserstoff ist eines der großen Gase der Energiewende: als Industrierohstoff, als Energiespeicher oder als Antrieb. Wir sehen für Wasserstoff großes Potenzial. In Tirol arbeiten wir in einem weiteren Projekt daran, die Zillertalbahn auf Wasserstoff umzustellen.

Um die Windenergie ist es relativ ruhig geworden.

Wasserkraft deckt 65 Prozent des österreichischen Strombedarfs ab. Rund sechs Prozent kommen aus Windkraft. Aus der Photovoltaik kommen 1,3 Prozent. Die besten Gebiete für Windkraft liegen in Niederösterreich und im Burgenland. Bei der Windkraft geht es einerseits um Repowering, also um das Ersetzen bestehender Anlagen durch größere. Und dann gibt es andererseits Gebiete, die man noch nutzen kann. Wir sehen die Möglichkeit, das Windpotenzial in Österreich von sechs auf zwölf Prozent zu verdoppeln.

Um jene zusätzlichen 30 Prozent erneuerbarer Energie zu erzielen, die wir zur Erreichung der Klima- und Energiestrategie 2030 benötigen, soll ein Drittel aus Wasserkraft, ein Drittel aus Wind und ein Drittel aus Sonnenenergie kommen.

Ist es realistisch, dass bis 2030 hundert Prozent des Gesamtstromverbrauchs aus erneuerbarer Energie kommen?

Das Ziel ist sehr ambitiniert, aber technisch machbar. Wir müssen nur viel, viel schneller werden. Wenn wir im Tempo der Vergangenheit weitermachen, wird es nicht erreichbar sein.

Welche Investitionen braucht es?

Das Geld aufzustellen ist nicht das Thema. Es gibt zwei Dinge, die dagegen wirken. Es muss am Markt wirtschaftlich sein. Hier gibt es zwei Ansätze. Die einen sagen, wir brauchen mehr Förderungen. Da bin ich ein Gegner, denn wir können nicht auf Dauer fördern. Oder es muss ein Marktpreis entstehen, der diese Technologien auch einsetzbar macht.

Der zweite Ansatz ist, dass die Genehmigungsverfahren schneller werden müssen.

Wie lange dürfen solche Verfahren dauern?

Die Umweltverträglichkeitsprüfung hat derzeit zwei Fristen: In der ersten Instanz neun Monate und für die zweite sechs Monate. Der Gesetzgeber sagt, in 15 Monaten seid ihr mit dem Ganzen fertig. Das ist vernünftig. In der Praxis dauern aber die Verfahren extrem lang. Das muss man in den Griff bekommen. Das Verfahren bei der 380 kV-Hochspannungsleitung dauert beispielsweise schon länger als sechs Jahre.

Die Grünen lehnen Atomkraftwerke ab. Wieviel Strom aus Atomkraftwerken importieren wir?

Das kann man nicht wirklich feststellen. Denn wir können ihn nicht identifzieren, wenn wir Strom aus Deutschland oder Tschechien beziehen. Wir können aber unseren Kunden Strom aus 100 Prozent Wasserkraft aus TÜV-Süd zertifizierten Kraftwerken garantieren.

Wie stehen Sie zu den Atomkraftwerken?

Atomkraftwerke sind am Ende. Deutschland steigt definitiv mit 2022 aus. Östereich ist nie eingestiegen. Frankreich bezieht 70 Prozent des Stroms aus Atomkraft. Grundsätzlich glaube ich, dass in Europa kaum mehr Atomkraftwerke gebaut werden. Es werdenjedenfalls mehr vom Netz gehen als neue kommen. Atomkraft war der falsche Weg. Der Atommüll hat eine Halbwärtszeit von 20.000 Jahren. Wenn man diese Kosten kalkulieren würde, hätte sich Atomkraft nie gerechnet. Man hat einfach gesagt, die Kosten trägt die Allgemeinheit. Es ist eine teure Energie. Außerdem haben wir keine Endlager.

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