„Die Almen sind kein Streichelzoo“

Johann Feßl, Obmann der oberösterreichischen Almbauern
Der Klimawandel, immer weniger Bauern und Massen von Wanderern verändern das Leben auf den Bergen, so der Almenobmann Johann Feßl.

Johann Feßl (54) ist Bürgermeister von Edlbach und Obmann der oberösterreichischen Almbauern. Das Gespräch fand auf der Pugl-Alm am Hengstpass im oberösterreichisch-steirischen Grenzgebiet statt. Er ehrte dort das Sennerehepaar Othmar und Anneliese Spannring für ihre 25-jährige Almwirtschaft. Feßl selbst bewirtschaftet mit seiner Familie die Hiasl-Alm am Fuß der Großen Pyhrgas (mit 2.244 Metern der höchste Gipfel der Haller Mauern), auf einer Höhe zwischen 1.300 und 1.700 Metern. „Die Alm liegt sonnseitig, deshalb war es die beiden vergangenen Jahre sehr trocken. Wenn viel Schnee ist, gehen auch vom Pyhrgas viele Lawinen runter. Damit müssen wir leben. Wir haben dann sehr viel Arbeit, bis die Zäune wieder errichtet sind. Wir treiben die Kühe in der Regel Anfang Juni auf, sie sind bis 10. September oben.“

KURIER: Wie viel Almen haben wir in Oberösterreich?

Johann Feßl: In Summe sind es 700, es sind aber 420, die wirklich bestoßen (bewirtschaftet, Anm.) werden. Darauf weiden 5.000 Rinder und 1.000 Schafe, Ziegen und Pferde.

Was sind die Hauptprobleme, mit denen die Almbauern konfrontiert sind?

Sie haben sich in den vergangenen Jahren geändert. Der Klimawandel fordert auch uns sehr. Die Vegetation explodiert oft förmlich. Das war früher nicht so. Wir müssen schauen, dass wir genug Vieh haben, das es schafft, das zu fressen.

Das Gras wächst so stark, aber ebenso die Unkräuter. Wenn der Druck der Weidetiere zu gering ist, suchen sie sich nur das Beste aus und die Unkräuter wuchern weiter.

Wir haben in den vergangenen 15 Jahren einen großen Schwund (Rückgang, Anm.) bei den Landwirten gehabt, die genug weidetaugliche Tiere auf die Alm bringen. Es ist nicht so lukrativ, ein Tier auf die Alm zu treiben.

Rechnet sich das nicht?

So ist es. Es hat Schließungen bei den Betrieben im Tal gegeben. Jene Betriebe, die gewachsen sind, haben einen Nachbarbetrieb oder Flächen dazugepachtet. Sie treiben nicht mehr auf, weil sie Heimweiden haben. Sie ersparen sich das Errichten von Zäunen, Schwendungen (Beseitigen von Bäumen und Sträuchern, Anm.) und die Beseitigung von Lawinenkatastrophen. Das ist das größte Problem, weil uns auch die Arbeitskräfte fehlen.

Ein durchschnittlicher Almbetrieb in Oberösterreich hat acht, neun Betriebe gehabt, die ihr Vieh auf die Alm getrieben haben. Heute sind es nur mehr fünf, sechs Betriebe, die auftreiben. Wir haben noch immer die gleiche Stückanzahl von Tieren, weil die Betriebe in der Größe gewachsen sind. Wir haben aber weniger Personal zur Verfügung, das die Arbeit kennt und das Zeit hat, wenn es notwendig ist, zu arbeiten.

Gibt es neben der Vegetation weitere Auswirkungen des Klimawandels?

Die Sommer der beiden vergangenen Jahre waren extrem heiß. So heiß war es noch nie seit wir auf der Alm sind. Auf unserer Hiasl-Alm ist es im September das erste Mal grün geworden, als es zu regnen begonnen hat. Im Juni war es so warm, dass der erste Aufwuchs nicht grün, sondern braun war. Das hat es früher nicht gegeben.

Auch die Almbauern spüren die Auswirkungen des Klimawandels.

Dazu kommen noch Krankheiten wie die Zwischenklauengeschwüre aufgrund der veränderten Bodenbedingungen. Sie entstehen durch die Verletzungen zwischen den Klauen. Die Insekten vermehren sich durch die Erwärmung explosionsartig. Waren früher ein bis zwei Rinder pro 100 Stück von der Krankheit betroffen, sind es heute 14, 15. Wir müssen das noch genau erforschen, aber die Geschwüre belasten die Almbauern nochmals. Es muss ein Tierarzt kommen, das Tier muss möglicherweise von der Alm.

Es wird zunehmend schwieriger, Sennerinnen und Senner für die Almen zu finden. Im Film ist die Sennerin jung und hübsch, die Männerwelt strömt ihr zu.

Bei den Almen hier in der Umgebung ist es schon noch so, dass sich die Sennerinnen, die Halter oder ein Sennerehepaar um das Vieh kümmern. Sie sind die gesamte Saison auf der Alm und sie bieten den Gästen unsere bäuerlichen Produkte an. Wir bekommen auch immer wieder Anfragen von Außenstehenden, ob sie auf der Alm mitarbeiten können. Das ist nicht so einfach, denn man muss den Umgang mit den Tieren und ihre Signale kennen. Wenn man nicht jeden Tag mit den Tieren arbeitet, weiß man das nicht.

Die Sennerinnen sind meistens älter. Wer das gerne macht, macht es solange, bis er es gesundheitlich nicht mehr schafft. Manche machen es bis über 80 Lebensjahre hinaus. Manche fangen jung an, sie sind Mitte 20, knapp 30.

Innerhalb von ein, zwei Generationen hat sich viel verändert. Früher kamen vielleicht die Jäger, die Holzknechte, die Förster und ein paar Sommerfrischler auf der Almhütte vorbei. Heute kommen Scharen von Wanderern. Die Senner haben heute Stress.

Heute herrscht teilweise schon Massentourismus auf den Almen, vor allem wegen Corona. Wie wirkt sich das aus?

Ich war vormittags auf der Hiasl-Alm oben. Die meisten kommen mit dem Auto und wollen möglichst nahe zur Alm fahren. Alles wird zugeparkt, wir können teilweise mit unseren Traktoren, Maschinen und Tieren nicht mehr durchfahren. Gemeinsam mit unseren Gemeinden müssen wir das Parkplatzproblem lösen.

Das Zusammentreffen von Tier und Mensch hat sich vervielfacht. Früher gingen vielleicht 50 Wanderer pro Tag über die Alm. Die Tiere nehmen kaum Notiz von ihnen. Wenn es 500 sind, und das sind sie jetzt, sind die Tiere mit den Menschen ständig in Kontakt. Die Gäste haben kaum einen Bezug zu ihnen, auch nicht dazu, dass wir dort arbeiten und leben. Man muss ihnen erklären, dass die Almen kein Streichelzoo sind, dass sie Respekt vor den Tieren haben sollen und es besser ist, ihnen auszuweichen.

Wie ist es mit den Hunden?

Es gibt kein Hundeverbot. Der Hund ist für unsere Tiere nicht gefährlich, es ist eher umgekehrt. Die Tiere sehen im Hund eher eine Bedrohung und gehen relativ schnell in den Angriff über. Aber nicht alleine, sondern es helfen alle zusammen und sie stürzen sich gemeinsam auf den Hund. Wenn der Hundebesitzer den Hund fix angeleint hat und ihn nicht loslöst, reißt der flüchtende Hund auch den Hundeführer zu Boden.

Es ist also vernünftiger, den Hund zu Hause zu lassen?

Vernünftigerweise wäre es so.

Gibt es weitere Probleme durch den Massenansturm?

Wir haben zu wenig Almhütten, auf denen die Gäste bewirtet werden. Es könnten heuer leicht doppelt so viele sein.

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