„Der Segen ist eine Ursehnsucht der Menschen“

Manfred Scheuer, Bischof von Linz
Ostern ist für den Linzer Bischof Manfred Scheuer ein Fest der Versöhnung, der Reinigung, des Mitgefühls, der Hoffnung und der Auferstehung.

Manfred Scheuer, geboren und aufgewachsen in Haibach ob der Donau, ist seit 2015 Bischof von Linz. Der 66-Jährige, der zuvor zwölf Jahre Bischof von Innsbruck war, ist auch stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz.

KURIER: Ostern bedeutet Auferstehung. Wo benötigt die römisch-katholische Kirche eine Auferstehung?

Manfred Scheuer: Die Kirche ist nicht primär eine Institution, sondern es sind die konkreten Menschen. Zu Ostern geht es auch um die Erfahrung des Leidens, des Sterbens und der Auferstehung. Es geht um die Empathie für die Schmerzen der Menschen, um ein Gespür für das, was zum Himmel schreit.

Ostern ist die Transformation dieser Erfahrung in Richtung Hoffnung, die Erfahrung von Leben, von Gemeinschaft, von Frieden und Versöhnung. Ostern heißt auch Umkehr und Reinigung, zum Beispiel des Gedächtnisses und der eigenen Verhältnisse. Das betrifft sicher auch die Kirche als konkrete Gemeinschaft und Institution massiv. Das betrifft manche Machtverhältnisse, den Umgang untereinander, das betrifft Verletzungen, die zugefügt worden sind. Es geht um das Hinschauen dorthin, wo man eigentlich wegschaut. Das betrifft Corona: Schau’ auf dich, schau’ auf mich, schau’ auf Jesus, auf den Auferstandenen.

Die Verweigerung der Segnung von homosexuellen Partnerschaften durch die römische Glaubenskongregation ist auf massive innerkirchliche Kritik gestoßen, auch bei Ihnen. Warum gibt es hier bei den vatikanischen Behörden nicht mehr Sensibilität?

Ich finde dieses Nein unverständlich, weil es ein Nein zum Segen ist. Der Segen ist eine Ursehnsucht von Menschen, von Gott angenommen zu sein, geliebt zu sein und Lebensmöglichkeiten zu erhalten.

Die Kirche segnet sehr viel, Autos zum Beispieloder Speisen in der Karwoche.

Die Segnung von Dingen wie von Autos oder von Gebäuden oder Tieren heißt, dass die gesamte Schöpfung Segen oder Fluch sein kann. Wenn in Räumen Ungeister herrschen, braucht es einen reinigenden Segen. Der Segen hat mit Reinigung, mit Befreiung, mit der guten Ausrichtung von Dingen und Beziehungen zu tun. Das Bedürfnis nach Segen ist größer als die Gläubigkeit der Leute.

Für das Nein zur Segnung homosexueller Paare habe ich kein Verständnis, weil das ganz klar am Grundauftrag der Kirche vorbeigeht. Die Positionen in dieser Frage sind nicht nur in Rom, sondern auch bei uns gegensätzlich. Und sie sind schwer zu vermitteln. Bei der Bischofssynode von fünf, sechs Jahren in Rom gab es hier teilweise kein Verständnis ...

... vor allem bei den Afrikanern.

Sie haben eine andere Haltung. Es gibt auch bei uns, nicht nur in der römisch-katholischen, sondern auch in den anderen Kirchen innerhalb der Gemeinden sehr unterschiedliche Ansätze. Das berührt die Leute im Lebensnerv, die Emotionen sind hier sehr unterschiedlich. Emotionalität ohne Reinigung durch die Liebe geht Holzwege.

Konstantinopel wurde im Jahr 626 schwer belagert. Von den Awaren und den Persern gleichzeitig. Dann wütete auch noch die Pest. Die Stadt wurde der Muttergottes geweiht und es wurde gesagt, durch das Wirken der Muttergottes sei die Stadt gerettet worden. Welche Stütze bietet die Kirche heute den Menschen in der Pandemie?

Was stärkt das Rückgrat, was stärkt die Hoffnung, was gibt Widerstandskraft in der Pandemie? Der Glaube, das Gebet, die Tiefenbohrungen im eigenen Leben stärken. Persönliche und verlässliche Beziehungen und Freundschaften stärken. Man merkt auch die Licht- und Schattenseiten der Familie, weil sie stärker auf sich selbst zurückgeworfen ist. Die Einschaltquoten bei den Gottesdiensten waren extrem hoch. Für viele ist Liturgie, Gottesdienst und Gebet etwas Wichtiges.

Bei Krisen werden manche aggressiv, andere hysterisch, manche gleichgültig, manche egoistisch. Andere setzen sich massiv ein und schauen auf andere.

Wir sind lernbedürftig und auch lernfähig. Man darf sich selbst einmal auch etwas verzeihen, es darf auch eine Selbst-Freundlichkeit geben. Wir erkennen auch ganz klar die Grenzen der Erkenntnis, der Wissenschaft und der Machbarkeit.

„Der Segen ist eine Ursehnsucht der Menschen“

Bischof Manfred Scheuer

Der Domplatz hat sich zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung entwickelt. Die Protestierenden fordern die Aufnahme der Flüchtlinge aus den Lagern in Griechenland. Die römisch-katholische Kirche pflegt enge Beziehungen zur griechisch-orthodoxen Kirche. Was macht die orthodoxe Kirche für die Flüchtlinge? Und was macht die römisch-katholische Kirche vor Ort konkret für die Flüchtlinge?

Zum Domplatz. Hier sind unterschiedliche Nichtregierungsorganisation (NGO) aktiv, es sind auch einzelne kirchliche Gruppen wie die katholische Aktion und die katholische Jugend dabei. Ich war auch einmal zu einem Solidaritätsbesuch, habe ein Gebet gesprochen und Tee gebracht. Es hat auch von der Bischofskonferenz deutlich die Botschaft gegeben, dass es wichtig ist, dass wir Flüchtlinge aufnehmen. Wir nehmen klar wahr, dass Flüchtlinge aus Nordsyrien nach Österreich kommen und hier relativ schnell Asyl erhalten. Pfarren und Gemeinden helfen bei der Integration mit. Es ist aber nicht möglich, dass die Grundversorgung von den Pfarren kommt, das ist Auftrag des Staates.

Es ist in den vergangenen Jahren viel geschehen, wir sagen nicht, es geschieht nichts. Es gibt Übereinstimmung mit der Regierung, dass es notwendig ist, an die Wurzeln der Vertreibungen und der Flucht zu kommen. Dass es notwendig ist, Hilfe vor Ort zu gewährleisten. Dafür zu sorgen, dass die Menschen möglichst in ihre Heimat zurückkehren. Die Entwurzelung der Menschen ist ein großes existenzielles Problem. Die Hilfe vor Ort ist effektiver als eine entwurzelte Konstellation in Europa ohne Einbindung in die Community. Viele in den Pfarren haben erlebt, dass die Flüchtlinge aus den Orten, wo sie aufgenommen worden sind, in die Städte zu ihren Communitys gegangen sind. Diese Kulturfragen sind wichtig.

Ich habe selber zu einer Hilfsaktion für Kinder und Jugendliche in Lagern im Libanon aufgerufen. Im Libanon sind zwei Millionen Geflüchtete, in Syrien sieben Millionen. Ich war selber in Flüchtlingslagern im Irak. Mein Anliegen ist es auch, an die Wurzeln des Konflikts zu kommen. Politisch schaut es derzeit nicht danach aus, dass eine Lösung in Sicht wäre.

Papst Franziskus war kürzlich zu Besuch im Irak. Es ist natürlich schön, wenn Franziskus den Menschen Mut zuspricht und ihnen Hoffnung gibt. Aber inzwischen sind fast alle Christen im Irak durch den Islamischen Staat vertrieben worden. Wäre es nicht eine Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, insbesondere Europas, gewesen, die Christen im Sinne von Notwehr militärisch zu schützen? Sind diese Menschen nicht im Stich gelassen worden?

Ich war 2013 und 2017 dort. 2017 nach der Zerstörung von Mossul und nach der Zerstörung der christlichen Dörfer in der Ninive-Ebene. Wir haben diesen Besuch als Zeichen der Wahrnehmung im Sinne der Solidarität verstanden. Wir haben das eine oder andere Projekt unterstützt. Die Kirchen sind dort Zeichen der Identität. Die Menschen haben dort das Gefühl, vergessen zu sein.

Daraus spricht doch eine Enttäuschung und eine indirekte Anklage.

Eine Enttäuschung. Wobei die Menschen dort auch gesagt haben, dass immer dann, wenn der Islam in Europa kritisiert oder karikiert wird, sie das zu spüren bekommen. Sie werden mit Europa, das nicht mehr so christlich ist, wie manche das zeichnen, zusammengedacht. Es ist für sie eine große Not.

Der Papst hat ganz deutlich darauf hingewiesen, dass es um ein friedliches Zusammenleben geht. Vertreibung und Säuberungen können keine Mittel der Befriedung sein. Das war ja auch bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall. Die Folgen spüren wir heute noch.

Der Besuch des Papstes hat den Menschen sehr viel bedeutet. Er hat schon des Öfteren Stellung genommen, er hat zum Beispiel 2003 sehr heftig gegen den Beginn des Irak-Krieges protestiert.

Ein anderer Krieg, der von der internationalen Ebene schon wieder verschwunden ist, war jener zwischen Armenien und Aserbaidschan. Armenien, das den Krieg gegen das von der Türkei unterstützte Aserbaidschan verloren hat, wurde von Europa alleingelassen.

Das war so ähnlich wie 1915, als Deutschland und Österreich mit der Türkei verbündet waren und keine Proteste gegen die Vertreibung, den Hungertod und die Ermordung der Armenier erhoben haben. Damals sind auch einige Hunderttausend Syrisch- und Griechisch-Orthodoxe umgekommen. Ich habe Kontakte zur armenischen Kirche in Wien und ich war selbst in Armenien. Die Industrieruinen aus der Sowjetzeit haben mich bedrückt. Auf der anderen Seite beeindruckt mich die Kultur, es ist der älteste christliche Staat, es ist die älteste Schriftkultur. Aus wirtschaftlich-materiellen Gründen sind schon ein Drittel der Armenier emigriert. Es ist mir ein Anliegen, dass die Menschen dort leben können, wo sie ihre Wurzeln haben.

Der Papst hat die Gehälter der Kardinäle um acht Prozent gekürzt. Begründung: Einnahmen-Ausfall aufgrund der Pandemie. So fehlen Millionen an Besuchsgeldern der Vatikan-Museen. Gibt es in der Diözese Linz auch Gehaltskürzungen?

Wir haben in der Diözese zum einen die Territorialreform (neue Pfarrgemeinden, Anm), zum anderen die Ämterreform. Da sind wir eher am Anfang. Ich erwarte, dass es im Bereich der finanziellen Ressourcen eine Änderung geben wird. Es geht nicht primär um Kürzungen, sondern um die Frage, wo ist etwas lebendig bzw. wo wird im guten Sinn auch etwas erwirtschaftet? Nicht nur im materiellen, sondern auch im spirituellen Sinn. Das ist auch beim Geld so. Ich kann genug Geld haben, aber wenn ich keine Leute habe, die damit unternehmerisch tätig sind, dann ist es nur Papier.

Bei der Frage um Kürzung oder Nichtkürzung geht es auch um Verlässlichkeit bei den Beschäftigungsverhältnissen, um Arbeitsrecht etc. Primär geht es um die Frage, wo wird etwas aufgebaut? Es gibt bei der Caritas Nöte, die neu daherkommen. Dafür braucht es personelle, finanzielle und infrastrukturelle Investitionen. Ähnliches ist bei den Kindergärten und Schulen der Fall. Im Bildungsbereich werden wir sicher größere Projekte haben.

Was heißt das konkret?

Es geht um die Zukunft der katholischen Universität und der pädagogischen Hochschule. Wir können hier nicht einfach die Rasenmähermethode anwenden und überall um 20 Prozent zu kürzen, sondern wir müssen schauen, was wichtig ist.

Wir sind hier auch auf die Finanzgeber der öffentlichen Hand angewiesen. Ein großer Bereich der Caritas arbeitet zum Beispiel gemeinsam mit dem Land Oberösterreich. Auch unsere Schulen wie das Petrinum oder das Musikgymnasium. Wir leben davon, dass der Bund die Gehälter des pädagogischen Personals bezahlt.

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