"Der Nationalismus ist eine Geißel"

Linzer SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger
Der Bürgermeister über die Baustellen der Stadt: das Kompromissangebot an die Bawag, den Abriss der Eisenbahnbrücke,seine Kontakte zu rechten Türken und Integrationsprobleme.

Klaus Luger ist seit November 2013 Bürgermeister von Linz. Der 55-Jährige leidet seit drei Monaten an einer Sehnenentzündung und kann momentan seine morgendlichen Läufe nicht durchführen, worunter er leidet.

KURIER: Sie haben im Rechtsstreit um die Swap-Spekulation aufgrund des nun vorliegenden Gutachtens der Bawag einen Vergleich in der Höhe von 100 Millionen Euro angeboten. Die Bawag lehnt ihr Angebot ab, denn sie benennt die Schadenssumme nicht mit 212 Millionen, sondern mit 418 Millionen Euro. Bawag-Chef Byron Hanes will den Prozess weiterverfolgen.Klaus Luger: Wir sind mit dem Gutachten nun in einer neuen Phase. Es zeigt, dass beide Seiten Fehler gemacht haben, deshalb habe ich den Vorschlag mit den 100 Millionen gemacht.

Ich bin über die Reaktion enttäuscht. Denn der Schaden beträgt laut Gutachten 212 Millionen. Die Bawag möchte offensichtlich ihre entgangenen Gewinne ersetzt haben. Das kommt für Linz nicht infrage. Es reicht schon der Schaden von 212 Millionen. Ich lade die Bawag ein, auf dieser Basis die Verhandlungen zu führen. Beide Seiten sollten sich an einen Tisch setzen. Wo ein Wille, da auch ein Weg. Es ist sicher vernünftiger, eine wirtschaftliche Lösung zu finden als jahrelang zu prozessieren.

Zur Eisenbahnbrücke. Ex-Landeshauptmannstellvertreter Franz Hiesl, 20 Jahre für den Verkehr zuständig, und Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) kritisieren den vorzeitigen Abriss.

Hiesl entgegne ich gar nichts, denn er ist dafür verantwortlich, dass es ein Jahr Verzögerung bei der Planung der Eisenbahnbrücke und der zweiten Schienenachse gegeben hat. Er ist aber in Pension und damit lasse ich das so stehen. Gutachter haben uns explizit gesagt, dass die Brücke zu sperren und auch abzutragen ist, weil herabfallende Teile die Menschen hätten gefährden können.

Es war immer klar, dass die Brücke ein Loch im Verkehrsnetz aufreißt. Im Juni/Juli 2020 wird die neue Brücke fertiggestellt sein.

Sind Sie sicher?

Wir sind von den Planungen und Arbeiten im Zeitplan.

Das Genehmigungsverfahren ist aber noch nicht abgewickelt.

Die meisten Genehmigungen liegen vor, es fehlt nur die baurechtliche.

Es könnten zum Beispiel die Kleingartenbesitzer Einspruch erheben.

Sie sind nicht Grundeigentümer. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Zeitplan halten können.

Wann ist Baubeginn?

De facto ist mit dem Abriss Baubeginn. Es wird jetzt ein bis eineinhalb Jahre keine sichtbaren Aktivitäten geben.

In der Türkei installiert Präsident Erdogan nach dem Putschversuch ein zunehmend autoritäres System. Sie stehen im Ruf, zu den Türken ein gutes Verhältnis zu pflegen. Die ÖVP kritisiert Sie wegen Ihrer Kontakte zu rechten türkischen Organisationen.

Die Entwicklung in der Türkei ist ausgesprochen besorgniserregend. Nicht nur wegen des Putschversuches. Es herrscht im Kurdengebiet Bürgerkrieg. Das ist für jede Gesellschaft destabilisierend. Ich lehne jegliche Gewalt ab. Die der PKK genauso wie die von Erdogan. Ich finde diese Entwicklung zu einem autoritären Staat besorgniserregend.

Ich habe zu fast allen Migrantenvereinen in der Stadt enge Beziehungen. Es gibt viele Organisationen, mit deren politischer und nationaler Ausrichtung ich aber überhaupt nichts am Hut habe. Ob das nun türkische oder andere Vereine sind. Ich lehne es auch ab, dass Innenpolitik aus den Herkunftsländern auf unseren Straßen ausgetragen wird. Ich halte es für kontraproduktiv, wenn diese Organisationen dies tun. Denn es macht den Eindruck, dass die Integrationswilligkeit nicht gegeben ist. Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass bei den meisten Menschen, die hier leben, die grundsätzliche Bereitschaft, hier zu leben und sich zu integrieren, da ist. Meine Aufgabe als Bürgermeister ist eine andere als die des ÖVP-Landesparteisekretärs Hattmannsdorfer, der polarisiert. Meine Aufgabe ist es, zusammenzuführen und zusammenzuhalten.

Wichtig ist die Gesprächsbasis, auch mit Menschen unterschiedlicher Meinung. Das wird mir oft vorgeworfen. Ich spreche mit Linksradikalen genauso wie mit Menschen, die gesellschaftspolitisch am rechten Rand stehen. Solange sich diese Menschen an die Gesetze halten, vom Verfassungsschutz nicht als problematisch eingestuft werden, werde ich mit ihnen reden. Das Schlimmste wäre es, als Bürgermeister einen Beitrag zur Spaltung zu leisten.

Ich rede in offener Aussprache auch über Dinge, die nicht passen. Diese Politik ist eine andere als jene der ÖVP, die sagt, wir reden mit euch nicht, solange ihr nicht so seid, wie wir sind.

Ich möchte auch daran erinnern, dass bei der Untersuchung der IS-Szene durch den Verfassungsschutz für Linz eine Leermeldung ergangen ist. Im Gegensatz zu Wien und Graz.

Ist die Integration der Türken gelungen oder misslungen?

Es gibt Defizite im Loslassen der ehemaligen Heimat. Das ist kein Problem, das die Türken alleine betrifft. Ich möchte daran erinnern, dass die Politik der Nachfolgestaaten Jugoslawiens in der Integration ebenfalls eine Rolle spielt.

Die wirklichen Probleme entstehen mit der Zuwanderung aus Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan. Hier orte ich viel größere Probleme, beginnend beim Analphabetismus und einer sehr schlechten Schulausbildung. Es kommen auch Menschen mit Werthaltungen, die andere sind als unsere gewohnten.

Was kann man hier tun?

Man muss klarstellen, was in einem demokratischen Land Sache ist. Dass wir miteinander korrekt umgehen, dass es Religionsfreiheit gibt, keine Bevormundung, dass zwischen Männern und Frauen Gleichheit herrscht, dass es Rechte für Kinder gibt und dass jeder weitestgehend über sein Leben selbst entscheidet. Von vielen Flüchtlingen wird das respektiert. Es gibt aber auch welche, die extrem religiös orientiert sind, nicht im Sinne der IS, sondern von konservativ-fundamentalistisch. Sie haben Probleme mit Frauen, die in Führungsfunktionen in Behörden und in Schulen sind.

Was soll man mit jenen machen, die unsere Gegebenheiten nicht akzeptieren? Soll man sie abschieben?

Es ist die einfachste Forderung, sie abzuschieben. Auch diejenigen, die das fordern, wissen, dass die Abschiebung in den wenigsten Fällen möglich ist. Man muss sich andere Vorgangsweisen überlegen. Es ist Aufgabe von uns allen zu sagen, so geht das nicht. Das ist der einzige Schlüssel. Vor allem funktioniert der Schlüssel über die Kinder, die man möglichst rasch in das Bildungswesen integrieren soll.

Aber es gibt auch Probleme bei türkischen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation.

Es gibt immer mehr Menschen, die in zwei Welten leben. Die türkischstämmigen Menschen, die hier demonstriert haben, ob das nun Kurden oder AKP-Anhänger sind, sind hier formal integriert. Sie haben Jobs und Wohnungen und haben hier den Mittelpunkt ihres Lebensinteresses. Gleichzeitig spielt die Politik des Heimatlandes ihrer Eltern eine überproportionale Rolle. Die Menschen hören türkisches Radio, sehen türkisches Fernsehen und lesen türkische Zeitungen. Das ist nicht steuerbar. Die meisten wollen nicht in die Türkei zurück. Es muss ihnen klar sein, dass die politischen Themen der Heimat nicht in der Öffentlichkeit auszutragen sind.

Ist es nicht so, dass die Migranten die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile des hiesigen Systems schätzen, sich aber wertemäßig in ihrer Heimatgesellschaft aufgehoben fühlen?

Ich sehe das zum Teil so. Ich bemerke, dass der Nationalismus, der ganz Europa erfasst hat, auch bei den Zuwanderergruppen gegeben ist. Die Geißel des Nationalmus ist die wirkliche Bedrohung unserer liberal-demokratischen Gesellschaft. Der Brexit ist zwar ein demokratisch legitimierter, aber doch eindeutiger Nationalismus. Es gibt überall in Europa eine Renationalisierung. Man muss auch die negativen Auswirkungen der türkischen Innenpolitik unter diesem Aspekt sehen. Das schwappt heute mit der Globalisierung viel leichter auf uns über. Wir müssen politisch klarmachen, dass wir das nicht wollen.

Es braucht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch Beiträge der Zuwanderten. Auch jene der zweiten und dritten Generation. Genauso, wie es auch Beiträge der österreichischen Gesellschaft bedarf. Wir haben uns mühsam einen Weg des gesellschaftlichen Umgangs erarbeitet, der von Respekt, Freiheit und Selbstbestimmung geprägt ist.

Wir sind mit einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft konfrontiert.

Absolut.

Das bedeutet, dass das Zusammenleben schwieriger werden wird?

Absolut.

Sehen Sie das so?

Leider ja. Der Nationalismus ist eine Geißel, ebenso die Bevormundung. Am meisten Sorge macht mir die Zunahme der Respektlosigkeit. Zum Beispiel, wie man in öffentlichen Räumen miteinander umgeht. Das betrifft die Höflichkeit und Rücksichtnahme. Dieser weitgehende Individualismus hat auch die Auswirkung, dass der respektvolle Umgang im Abnehmen begriffen ist. Das hat nichts mit Religionen oder Generationen zu tun, sondern es geht um die Überbetonung des eigenen Ichs, der eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Dem Ich entgegenstehende Interessen werden immer weniger berücksichtigt. Das merkt man auf der Straße, in den Kaufhäusern, in der Straßenbahn, bei unterschiedlichen Interessen im öffentlichen Raum, bei Bauvorhaben.

Der Lask hat die Gugl verlassen und ist nach Pasching abgewandert. Er will mithilfe des Landes ein eigenes Fußballstadion.

ÖVP und FPÖ haben auf Landesebene in ihrem Regierungsübereinkommen beschlossen, dem LASK ein neu es Stadion zu errichten. Angeblich werden 27 Standorte in und um Linz geprüft. Das ist legitim. Aber ich als Stadt habe keine Veranlassung. Es ist objektiv eine Schwäche der Gugl, dass es ein multifunktionelles Stadion ist. Vor 2009 haben Dobusch und Pühringer vereinbart, dass Linz Kulturhauptstadt wird, aber nicht an der Fußballeuropameisterschaft teilnimmt, dass aber das Stadion umgebaut wird. Wir zahlen immer noch für den 32-Millionen-Umbau. Man muss zu den Entscheidungen stehen. Ein Hinweis an beide Linzer Vereine. Es kommen schon mehr Zuschauer, wenn besser gespielt wird. Man soll nicht wegen zehn Meter Laufbahn die Probleme im Linzer Stadion sehen.

Sie sehen keinen Anlass für ein neues Stadion?

Ich habe keinen. Es ist objektiv in Linz keine realisierbare Fläche da. Ein neues Stadion kostet zwischen 70 und 100 Millionen Euro. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass wir sparen müssen. Allein in den vergangenen zwei Jahren ist Linz einwohnermäßig um die Größe von Schärding gewachsen. Wir brauchen mehr Geld für den Wohnbau, für Kinderbetreuungseinrichtungen und für mehr Personal. In so einer schwierigen Situation hat die Stadt schlichtweg kein Geld, um ein Stadion für den LASK mitzufinanzieren. Wir haben auch kein Geld für den Neubau des Donauparkstadions für Blau Weiß Iinz.

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