„Publikum muss lernen zu hören“

Dennis Russell Davies Bruckner Orchester Linz
Der Opernchef hat das neue Haus mit auf Schiene gebracht, 2017 will er abdanken.

Donnerstagmittag treffen wir Dennis Russell Davies in seinem liebsten Teesalon in der Linzer Altstadt. Nur schwer habe er sich vom Klavier loseisen können, sagt er, wirkt aber sonst völlig entspannt, als er an seinem Chai-Tee nippt. Nicht einmal die bevorstehende Eröffnung des Musiktheaters – fünf Tage vor seinem 69. Geburtstag – bringt den Chefdirigenten des Bruckner Orchesters aus der Ruhe.

KURIER: Nur noch knapp drei Wochen bis zur Eröffnung. Werden Sie langsam nervös?
Dennis Russell Davies: Es ist, wie wenn man privat in ein neues Haus einzieht. Man hat große Hoffnungen und im Alltag tauchen dann die ersten Probleme auf.Wir haben zum Glück noch Zeit, einige Dinge in Ordnung zu bringen. Ich sehe auch, dass es sich über einige Monate ziehen wird, bis wir ganz angekommen sind.

Wo hakt es noch?
Wir müssen erst lernen, mit diesem wunderschönen Klang umzugehen. Wir waren bisher in einem kleinen und akustisch sehr schwierigen Haus an der Promenade. Jetzt haben wir plötzlich einen Bühnenraum von Weltformat. Ich habe kürzlich Bob Israel (weltberühmter Set- und Kostümdesigner aus den USA, Anm.) getroffen. Er hat gesagt, das ist das beste Opernhaus Europas. Und das ist ein Mann, der schon an der Mailänder Scala und in New York gearbeitet hat.

Man hört so viel Gutes über das neue Haus. Setzen einen diese Vorschusslorbeeren nicht auch unter Druck?
Druck hatte ich in den Jahren, als man nicht wusste, ob das Theater überhaupt noch gebaut wird. Wir hatten damals ein ausgezeichnetes Team, aber keine Perspektive. In dem Moment, wo wir die bekommen haben, ging ein Fenster auf und die Sonne kam herein. Ich persönlich freue mich sehr.

Sind Sie damit zufrieden, wie sich Ihre Karriere in Linz entwickelt hat?
Die Linzer haben mich 2002 mit der Aussicht auf ein neues Opernhaus hergelockt. Dann war das Projekt in der Schwebe und es hat düster ausgesehen. Ermutigt hat mich die Volksabstimmung (im Jahr 2000, Anm.) wo 40 Prozent dafür gestimmt haben.

Obwohl sich die Mehrheit dagegen entschieden hat?
Ja, aber man muss das in Relation sehen – Donnerwetter, 40 Prozent Zuspruch für ein Opernhaus ist viel! Außerdem waren negative Emotionen im Spiel. Die Kampagne der FPÖ war zum Beispiel unter der Gürtellinie. Mit Geduld und Ausdauer haben wir es aber doch geschafft.

War aufgeben eine Option?
Nein, ich hatte ja ein tolles Orchester und Ensemble beim Bruckner Orchester. Es geht um die Menschen und nicht um die Gebäude. Auch ohne Musiktheater hätte ich eine gute Zeit gehabt. Es ist aber eine wunderschöne Aufgabe gewesen, darauf hinzuarbeiten und eine Erfüllung, am Betrieb beteiligt zu sein.

Wie reagiert man auf die Kritik, die auch jetzt nicht abreißt, wo das Haus schon steht?
Damit muss man umgehen können. Hauptsache, die Leute reden, dann kommen sie auch. Außerdem: Wir sind ziemlich gut im Etat und im Zeitplan geblieben. Was die Oberösterreicher hier geschafft haben, ist beeindruckend. Das ist immerhin ein 200-Jahr-Projekt.

Jetzt ist alles in trockenen Tüchern. Was ist die Voraussetzung, damit das so bleibt?
Wir haben ein ausgezeichnetes Repertoire und starten unter besten Voraussetzungen. Unsere Aufgabe ist jetzt, uns auf höchstem Niveau zu entfalten. Alles andere wird sich ergeben.

Wird das Linzer Opernhaus jemals mit jenen in Wien, Mailand und New York in einer Liga spielen können, wie einige es sich erhoffen?
Wir eröffnen das Haus mit „Spuren der Verirrten“ einer Uraufführung des weltberühmten Komponisten Philip Glass. Wir machen das in Linz, weil es hier fruchtbaren Boden gibt.

Ist Linz für so hohe Ziele nicht zu provinziell?
Überhaupt nicht. Linz ist eine wirtschaftlich und industriell interessante Stadt. Es ist kein Urlaubsort, sondern ein Wohn- und Arbeitsort. Ein Publikum, das viel arbeitet und zum Ausgleich gute Kultur schätzt – besser kann man es nicht haben.

Wo sind die Grenzen?
Ich wüsste nicht, wieso wir über Grenzen sprechen sollten. Es gibt keine.

Ein großartiges Haus braucht zum Beispiel Geld, um großartig zu bleiben.
Wir müssen uns so etablieren, dass die Bevölkerung stolz auf das Musiktheater ist. Es muss jeder – nicht nur Musical-, Tanz- und Opernfans – das Gefühl haben, dass die Region aufgewertet ist. Das liegt jetzt an uns. Dann sind die Leute auch bereit, Kultur zu unterstützen.

Wo steht das Bruckner Orchester und wo will es mit dem Musiktheater hin?
Das Orchester hat sich als einer der führenden Klangkörper in Mitteleuropa etabliert. Wir sind seit Jahren auf internationalem Niveau unterwegs. Nur zu Hause wusste man das nicht. Jetzt haben wir die akustischen und räumlichen Möglichkeiten, uns auch in Oberösterreich zu entfalten. Das Publikum muss aber noch lernen, zu hören. Die haben so eine Qualität noch nicht erlebt. Ich bin selbst ziemlich erstaunt.

In welcher Sparte sollte das Haus sein Profil schärfen? Oper, Schauspiel, Musical oder Tanz?
Bei allen vieren.

Sie fahren als Opernchef nicht die Ellbogen für ihre Sparte aus?
Nein, wir arbeiten auch mit dem Tanztheater und dem Musical zusammen. Ich interessiere mich für alles, was rundherum läuft.
Nur das Theater ist für mich ein Sorgenkind. Das Ensemble ist wirklich exzellent, aber in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten, weil alle Aufmerksamkeit am neuen Haus liegt und die Schauspieler an der Promenade bleiben. Ich bin bemüht, dass wir weiter kooperieren.

Das Brucknerhaus wird dasselbe Problem haben. Müssen Sie Ihr Herzblut jetzt rationieren?
Nein, wir spielen dort weiter unsere Konzerte. Der Grund, warum ich einen Job wie in Linz haben wollte, ist, dass ich nicht wählen muss. Ich bin Musiker und habe das Glück, Konzerte und Oper machen zu können.

Das Musiktheater ist ein Jahrhundertbau – woran soll man sich in hundert Jahren erinnern, wenn man den Namen Dennis Russell Davies hört?
Dass sich die Menschen, die mit ihm gearbeitet haben, wohlgefühlt und getraut haben, ihr Bestes zu geben. Und dass wir zusammen etwas Unvergessliches geschaffen haben.

Ihr Vertrag läuft vorerst bis 2017 – wollen Sie verlängern?
Das glaube ich nicht. In vier Jahren bin ich 73 und dann wird es wohl Zeit für einen jungen Mann.

73 ist doch kein Pensionsalter für einen Musiker.
Mit der Musik werde ich auch weitermachen. Aber ob ich mit 73 noch diese Verantwortung tragen muss? Ich will mehr Zeit für mich haben, für meine Familie. Ich werde aber sicher in Linz bleiben, das ist mein Zuhause. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre, und was dann kommt, sehe ich sehr entspannt.

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