„Leute liegen wieder am Gang“

Claudia Westreicher plädiert für Selbstbehalte bei den Besuchen in den Ambulanzen, um die Missbräuche des System zu beenden.
Die Spitalsreform hat Verschlechterungen gebracht, sagt die Ärztekammer-Funktionärin.

Claudia Westreicher ist praktische Ärztin in Vorchdorf. Ihr Mann ist Gemeindearzt. Die 50-Jährige vertritt die niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer für Oberösterreich.

KURIER: Wie wirkt sich die Spitalsreform auf Sie aus?

Claudia Westreicher: Es stehen offensichtlich viel weniger Betten in den Spitäler zur Verfügung. Die Patienten müssen wieder heimgeschickt werden, obwohl wir sie zugewiesen haben. Ein älterer Mensch mit einer Lungenentzündung wird nicht mehr aufgenommen.

Sie als praktische Ärztin haben jetzt mehr Arbeit.

Wir könnten prinzipell mehr Dinge machen, wie zum Beispiel Nahtentfernungen oder Wundkontrollen. Nur muss man es bezahlen. Wenn ein Kassenarzt eine Naht entfernt, fällt das in die Grundleistungsvergütung, in die Quartalsvergütung hinein. Diese ist leistungsfeindlich gestaffelt. Man erbringt die Leistung ohne Bezahlung.

Muss ein Patient mit Lungenentzündung unbedingt ins Spital?

Ein älterer Mensch mit Lungenentzündung ist prinzipiell bettlägrig. Die Versorgung für ältere Menschen zu Hause zu organisieren ist schwierig. Die Hilfsdienste sind auch heruntergefahrenworden. Hier gibt es Mängel. Man bekommt nicht innerhalb weniger Stunden jemanden, der zu den Älteren nach Hause kommt. Das Spital bietet mehr diagnostische Möglichkeiten. Eine Sauerstoffversorgung ist zu Hause schwer möglich. Die Verabreichung von Antibiotika ist manchmal intravenös notwendig.

Die Spitalsreform hat für die Patienten eine Verschlechterung gebracht?

De facto ist sie eine Verschlechterung. Sie hat eine Reduktion der Spitalsbetten und ein Ansteigen der Gangbetten gebracht, die es offiziell nicht gibt. Wenn ein Politiker ein Spital besucht, sind die Gangbetten sicher weggeräumt. In Gmunden wurde die Geburtshilfe zugesperrt, in Vöcklabruck liegen die enbindenden Frauen zum Teil am Gang. Das kann es nicht sein.

Bei meinem Besuch im Krankenhaus Vöcklabruck wurde mir erklärt, dass die Patienten im Notfall auf andere Stationen gelegt werden.

Das wird vielleicht für die Psychiatrie stimmen, denn da bekommt man nicht einmal ein Bett, wenn man als Arzt anruft. Die ist immer überbelegt. Man hat ein Glück, wenn man für einen akuten Selbstmörder ein Bett bekommt. Die Krankenhausleitungen beschönigen die Situation, die Wirklichkeit schaut es anders aus. Man wird wahrscheinlich in Zukunft die ambulanten Entbindungen fördern, denn dann braucht man kein Bett. Ob das gut ist, ist wieder eine andere Frage. Denn Frauen sind nach einer Geburt in einer psychischen und physischen Ausnahmesituation. Es kann nicht sein, dass die Reduktion der Kreissäle die Ursache dafür ist, dass man die Mütter nach Hause schicken muss.

Das passiert derzeit?

Das passiert in Vöcklabruck und Gmunden. Das ist ein Primariat. Gmunden ist jetzt geschlossen worden.

Die Begründung für die Spitalsreform sind die exorbitant steigenden Spitalskosten. Wie kann man die Kosten in den Griff bekommen?Ganz einfach ist das nicht zu lösen. Das ist auch mir klar. Das Problem ist mehrschichtig. Es ist manches im Spital gelandet, das dort nicht hingehört. Zum Beispiel die sogenannten Christkinderln. Das sind die alten Leute, die man über Weihnachten ins Spital schickt, weil sich niemand um sie kümmern will. Diese Menschen gehören in den Sozialbereich, denn sie brauchen Pflege und Betreuung. Dieser ganze Bereich liegt ebenfalls im Argen.

Die ärztliche Leiterin des Krankenhauses Steyr plädiert für die Errichtung von Heime für ältere Menschen, die kurz- und mittelfristig Pflege benötigen.

Diese Strukturen gibt es aber nicht. Wenn man als Arzt überlegen muss, was tut man mit diesen Menschen, muss man eine Lösung finden. Wir haben zu wenig Kurzpflege- einrichtungen. Ins Altenheim kommt man nur mehr, wenn man Pflegegeldstufe drei hat. Das soll jetzt noch verschärft werden, indem man das auf die Stufe vier anhebt. Die Menschen können es sich nicht leisten, die Pflege zu bezahlen. Und die Freiwilligen- organisationen stehen auch schon an. Wir brauchen Heime für die Kurzzeitpflege, also für ein oder zwei Wochen. Und für die mittelfristige Dimension, also für Menschen, die ihren letzten Weg gehen und für Alzheimer-Erkrankungen, die immer mehr werden.

Der zweite Bereich ist der freie Zugang zu den Spitälern. Die Spitals-Standorte werden reduziert und es wird weniger Personal eingesetzt. Es werden aber nicht weniger Leute krank und es suchen nicht weniger Leute das Spital auf. Die Menschen gehen von sich aus in die Krankenhäuser. Das Hauptproblem in den Spitälern sind Patienten ohne Zuweisung. Die Verletzungen kommen oft vom Sporteln oder vom Kitesurfen.

Was soll man hier machen?

Diese Spitalsbesuche sollen etwas kosten und ab dem Moment wird das abbrechen. Wenn der Besuch 100 Euro kostet, ist es vorbei. Ich bin für eine Kostenbeteiligung, für eine Ambulanzgebühr. Wir wissen aus den Zieten der Ambulanzgebühr, dass die Besuche damals runtergegangen sind.

Warum suchen die Menschen die Ambulanzen auf?

Weil es nichts kostet und weil man es bequem beim Fortgehen klären kann. Bevor die Jungen am Freitagabend ihre Tour in den Discos drehen, gehen sie vorher noch schnell ins Spital, weil sie während der Woche mit dem Fuß umgekippt sind. Das ist leider die Realität. Hier ist die Gesundheit ein Selbstbedienungsladen, was das System teuer macht. Ein vom Arzt zugewiesener Patient müsste vorrangig behandelt werden gegenüber einem, der von sich aus das Spital aufsucht.

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